Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
48. Sitzung vom 22. September 1983
Swinne
(A) Hoffnung, daß es dazu kommen wird. Der zuständige Fachaus
schuß ist derzeit zu sehr mit nicht erledigten Anträgen und Be
sprechungspunkten zugedeckt. Dazu kommt noch die anste
hende LKG-Novellierung, die nach meiner Einschätzung auch
erst Ende des Jahres oder im nächsten Jahr abgeschlossen
sein wird, so daß auch unter Berücksichtigung der vielen aktuel
len Fragen im Bereich der Gesundheits-, Familien- und Sozial
politik kaum ausreichend Zeit vorhanden sein wird, noch vor der
Sommerpause 1984 die Beratung über die vorliegenden
Gesetzesentwürfe abzuschließen. Ein neues Berliner Psychia
triegesetz in der bereits emotional aufgeladenen Vorwahlkampf
zeit im Frühwinter 1984/85 zu verabschieden, halte ich für be
denklich. Mir soll es recht sein, wenn meine Skepsis nicht be
gründet ist und es doch noch vor der Sommerpause gelingt.
Aber ich glaube das nicht.
Ich habe vorhin die Kriterien erwähnt, die man aus meiner
Sicht an ein modernes Gesetz für psychisch Kranke anlegen
soll. Schon der § 1, der Anwendungsbereich des Gesetzes,
kann unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung der Diskriminie
rung der psychisch Kranken problematisiert werden. Ich bin mir
gegenwärtig noch recht unsicher, ob es richtig ist - ähnlich, wie
es auch die SPD-Fraktion in ihrem Entwurf gemacht hat -, in
einem Gesetzentwurf die Gesamtheit der psychisch Kranken zu
berücksichtigen, das heißt, daß auch die Fragen der Unterbrin
gung aufgrund strafrechtlicher Entscheidungen aufgenommen
werden. Dieser durchaus ehrenwerte ganzheitliche Ansatz birgt
die Gefahr, daß ungewollt durch eine Vielzahl von Paragraphen,
die sich nur auf den Patientenkreis beziehen, indirekt eine Stig
matisierung der Mehrheit der psychisch Kranken erfolgt. Dieser
Hinweis soll nicht so verstanden werden, daß meine Fraktion
eine derartige Lösung grundsätzlich ablehnt oder sich ihr ver
schließt. Ich erwarte jedoch in den Ausschußberatungen
Erläuterungen, da auch dieser Weg so außergewöhnlich
sinnvoll sein soll.
[Dr. Köppl (AL): Warum möchten denn
(B) auch Sie die Zwangseinweisung?]
Der gesamte Abschnitt II über Hilfen für psychisch Kranke ist in
seinen Absichtserklärungen nur zu begrüßen. So stellt sich die
Frage, wie diese durchaus sinnvolle Erklärung zur ambulanten
Behandlung und zur Nachsorge in der Praxis umgesetzt wer
den könnte. Dazu haben sich auch schon andere Fraktionen
geäußert. Gerade wenn ich an die letzte Sitzung des Aus-
schussses für Gesundheit denke, als wir eine kurze Anhörung
über Rettungsstationen durchführten und hören mußten, wie
groß allein dort der Anteil der nicht organisch Erkrankten war,
frage ich mich, wie dies alles, was als notwendig erkannt wurde
und auch richtig ist, umgesetzt werden kann.
Breiten Raum nehmen im Senatsentwurf die Regeln der
Unterbringung ein. Ich bin zwar kein Kenner der deutschen
Sprache, aber es scheint mir doch bezeichnend für die Situa
tion der Psychiatrie in Deutschland zu sein, daß nach dem Ab
schnitt „Hilfen für psychisch Kranke“ dieses unpassende Wort
des Abschnittes III „Unterbringung“ folgt. Untergebracht wird je
mand, der isoliert, vereinsamt, kontaktarm und hilflos ist. Unter
bringung mag ein rechtstechnischer Begriff sein. Er beinhaltet
und ist auch belastet durch das Elend der psychisch Kranken.
Der Untergebrachte ist meist nicht mehr Subjekt, sondern nur
noch Objekt. In diesem Zusammenhang erscheint mir auch'der
§ 8 problematisch. Aus meiner Sicht bedarf es einer Präzisie
rung hinsichtlich der Rechtsgüterverletzung und der anderweiti
gen Gefahrenabwehr. Zwar wird in der Begründung zu diesem
Paragraphen eine Erläuterung zu diesen Begriffen gegeben, je
doch sollte überlegt werden, ob es nicht sinnvoll wäre, eine
praktikable Formulierung für die Bereiche der Nichtanwendung
des § 8 in das Gesetz aufzunehmen. Es ist eben richtig, daß Be
lästigungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen nicht ausrei
chen können, um in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wer
den zu können.
[Beifall des Abg. Vetter (CDU)]
Insbesondere dann, wenn ich daran denke, wie im Abschnitt II
die Hilfen für psychisch Kranke sinnvoll formuliert wurden, fällt
der § 8 nach einer ersten Durchsicht weit hinter diesen Erkennt- (C)
nisstand zurück. So bedarf es nur eines in der Psychiatrie erfah
renen Arztes - also keines Facharztes für Psychiatrie -, um fest
zustellen, ob eine Unterbringung aus medizinischer Sicht gebo
ten ist. Ausgerechnet dann, wenn der Staat mit hoheitlicher Ge
walt gegen das Individuum vorgeht, scheint jeder Arzt geeignet
zu sein, entscheidend in die Lebensverhältnisse eines Patien
ten einzugreifen. Ob dies so stromlinienförmig gehen muß, das
muß im Ausschuß noch eingehend besprochen werden.
Der Entwurf des Senats für psychisch Kranke enthält in den
Paragraphen 30 bis 35 eine Reihe von Vorschriften, die die
Grundrechte des Patienten - z. B. Art. 2, 4 und 10 des Grund
gesetzes - in teilweise sehr präziser Weise einschränken.
Dieser Eingriffskatalog wird durch den Auffangtatbestand des
§29 ergänzt, nach dem auch solche Beschränkungen zulässig
sind, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder der
Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung sowie eines
geordneten Zusammenlebens in der Einrichtung unerläßlich
sind. Ähnlich wie im § 8, wo erhebliche Rechtsgüter, die verletzt
sein müssen, um eingewiesen werden zu können, besprochen
werden, gilt auch hier die nähere Beschreibung der Eingriffe, an
die gedacht wurde. Was hier fehlt, ist eine klare Beschreibung,
wann derartige Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden
dürfen und welcher Art diese Sicherungsmaßnahmen sind.
Dazu gehört auch, daß jede Sicherungsmaßnahme ärztlich zu
überwachen und unverzüglich aufzuheben ist, wenn die Vor
aussetzung für ihre Anordnung weggefallen ist.
Es ist aus der Sicht meiner Fraktion auch die Diskussion wert,
ob § 30 Abs. 1 in dieser Form in ein Gesetz eingebracht werden
sollte. Nach meinem positiven Verständnis gehe ich davon aus,
daß ein Patient, der in ein Krankenhaus kommt oder anderweitig
von einem Arzt behandelt wird, stets nach den anerkannten
Regeln der ärztlichen Kunst behandelt wird. Es bedarf auch der
Erklärung, wie es - zwar in vereinfachter Form, wie auch von
der Fraktion der SPD favorisiert - dazu kommt, daß auch der
Behandlungsplan für einen Patienten auftaucht. Ich habe erheb- (D)
liehe Zweifel, ob durch die Aufstellung eines Behandlungspla
nes für einen Patienten diesem tatsächlich geholfen wird. Ich
habe noch nie gehört, daß es zur ärztlichen Kunst in Allgemein
krankenhäusern gehört, daß vor einer Operation oder einer The
rapie ein solcher Behandlungsplan aufgestellt wird. Tatsache
ist, daß zur Aufstellung und Kontrolle eines Behandlungsplanes
viel Bürokratie erforderlich ist, die dann wieder vom Arzt erledigt
werden muß. Das Vorhandensein eines Behandlungsplanes ga
rantiert keinesfalls eine optimale Versorgung in einem Kranken
haus.
[Beifall des Abg. Vetter (CDU)]
Schließlich noch der Hinweis auf den Patientenfürsprecher,
der im § 40 auftaucht. Ein Patientenanwalt mit der Qualifikation
zum Richteramt scheint mir übertrieben. Es sollte kein Sonder
recht für psychiatrische Krankenhäuser geben, wenn es nicht
unbedingt notwendig erscheint. In diesem Zusammenhang
scheint es mir sinnvoll zu sein, allgemein das Ehrenamt eines
Patientenfürsprechers für die Bereiche der chronisch und der
psychisch Kranken in den Krankenhäusern unseres Landes ein
zuführen. Für Beschwerden aller Art sind auch jetzt schon bei
den psychisch Kranken der Richter und der Anwalt des Patien
ten zuständig. Mit dem Patientenfürsprecher ohne ausdrück
liche juristische Qualifikation sollte es genügen. - Ich danke
Ihnen.
[Beifall bei der CDU und bei der F.D.P.]
Stellv. Präsident Frau Wiechatzek: Nächster Redner für
zwei Minuten ist der Abgeordnete Momper von der Fraktion der
SPD.
Momper (SPD): Das reicht auch. Ich möchte hier nämlich
meine Betroffenheit übereinen Vorgang im Zusammenhang mit
den Beratungen dieses Gesetzesentwurfes zum Ausdruck brin
gen, meine persönliche Betroffenheit. Draußen hat ein Bürger
versucht, eingelassen zu werden, weil er Betroffener in dem
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