Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
48. Sitzung vom 22. September 1983
Frau Schulz
(A) lungsauftrag bewußt damals nicht mitformuliert und die Kompe
tenz soweit wie möglich auf die Richter verlagert Denn noch
deutlich war damals zu dieser Zeit die Erinnerung an die soge
nannten Euthanasieprogramme des deutschen Faschismus, die
die Ermordung von Tausenden von Menschen zur Folge hatten.
Und nun werden hier in diesem Gesetz - und das muß man
auch der SPD vorwerfen - diese beiden Teile zusammengefaßt.
Zwangsbehandlung hat es in der Psychiatrie, auch wenn die
Methoden wechselten, immer gegeben. Noch bis Anfang der
70er Jahre wurde sie mit der Begründung für zulässig gehalten,
daß sie sich aus der Anstaltsgewalt ergebe oder daß der Zweck
des Unterbringungsgesetzes die Zwangsbehandlung ermög
liche. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
14. März 1972 hat aber dieses Institut des besonderen Ge
waltsverhältnisses als Rechtsgrundlage für Grundrechtsein
schränkungen verworfen und die Notwendigkeit einer speziel
len gesetzlichen Regelung hergeleitet. Dies ist der eigentliche
Grund, warum wir heute über diese Senatsvorlage diskutieren.
Denn für ambulante hülfen und Unterstützung von Selbsthilfe
braucht man kein Gesetz, dafür braucht man Geld. Auch die
Veränderungen in bezug auf die Zwangsunterbringung wer
den die bisherige Unterbringungspraxis kaum verändern. Das
Ziel dieser Gesetzesvorlage ist es deshalb vor allem, eine
Rechtsgrundlage für die Einschränkung der Grundrechte in
psychiatrischen Anstalten zu schaffen.
Da durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
diese Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung entfallen ist,
kann diese im Moment nur gestützt auf die gesetzlichen Notfall
regelungen oder auf die Vorschriften der Geschäftsführung
ohne Auftrag durchgeführt werden. Das Problem dabei ist, daß
diese Rechtsgrundlagen voraussetzen, daß der Arzt die Be
weise dafür liefern muß, daß eine akute Notlage Vorgelegen hat
und daß schwerwiegende gesundheitliche Gefahren für den
Betroffenen abzuwehren waren. Es stimmt nicht, was Herr Fink
gerade vorhin gesagt hat, daß man die Rechtsstellung ver-
(B) bessern würde, jetzt braucht der Arzt gar nicht mehr beweisen,
ob die Zwangsbehandlung wirklich notwendig war.
Ich erinnere noch einmal daran, daß die psychiatrischen Mei
nungsstreite dazu führen, daß es dort keine anerkannten Regeln
der ärztlichen Kunst gibt. Unbestritten ist aber, daß auftretende
Konflikte im sozialen Bereich und bei absoluter Freiwilligkeit ge
löst werden müssen.
Für den Hintergrund dieser Auseinandersetzungen in der
Psychiatrie erfährt der zwangsbehandelnde Arzt erst durch
einen Prozeß, eventuell durch einen Strafprozeß, ob er gegen
oder ohne den Willen des Betroffenen handeln durfte. Diese
Senatsvorlage wird den Forderungen der zwangsbehandeln
den Anstaltspsychiater voll gerecht. Das rechtliche Risiko des
Arztes soll vermindert werden, es soll die rechtliche Notwendig
keit aufgehoben werden, im jedem Einzelfall die Erforderlichkeit
der Zwangsmaßnahme zu begründen.
Die Zwangsbehandlung verstößt gegen das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht, das erst vor
kurzem bei der Diskussion um die Zwangsernährung bei Hun
gerstreikenden eine große Rolle spielte, wird nun durch diese
Senatsvorlage einzig und allein in das Ermessen des Psychia
ters gestellt.
Das stört mich, wenn Sie da reden.
[Schicks (CDU); Das müssen Sie dann auch
Ihren Kollegen sagen, wenn sie immer
dazwischenrufen!]
Stellv. Präsident Frau Wiechatzek: Darf ich bitte um
Ruhe auf der Senatorenbank bitten. Die Rednerin fühlt sich ge
stört. Bitte sehr, Frau Kollegin!
Frau Schulz (AL); Danke sehr! - Und das gilt ebenso für die
Einschränkung anderer Grundrechte wie des Briefgeheimnis
ses und die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Daß der Senatsentwurf in diesem Zusammenhang
[Glocke des Präsidenten]
von Heilbehandlung spricht, wirft die Frage auf, mit welchen
Fachleuten der Senat hier eigentlich zusammengearbeitet hat.
Wie jeder weiß, sind Zwangsbehandlungen keine Heilmaßnah
men, sondern sind auf Symptome ausgerichtet, und zwar aus
schließlich. Das gilt für die Anwendung von Elektroschocks als
auch für die Psycho-Pharmaka, für Isolierungen als auch für
operative Eingriffe, Eine Heilbehandlung gibt es in der Psychia
trie nicht.
All die schönen Begriffe wie Hilfe, Fürsorge und Heilbehand
lung sollen nur darüber hinwegtäuschen, daß dieser Entwurf für
die Situation der Betroffenen nur Verschlechterungen bringen
wird. Es ist kein Gesetz für psychisch Kranke, es ist ein Gesetz
für Anstaltspsychiater. Dieser Entwurf verstärkt die Macht der
Psychiater sowohl in bezug auf den Kreis der Betroffenen als
auch in der Rechtsstellung im Unterbringungsgesetz und nicht
zuletzt bei der Einschränkung der Grundrechte. Die Senatsvor
lage schränkt die Rechte der Untergebrachten weiter ein, und
das, wo spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsge
richts die Einschränkung der Grundrechte in der Psychiatrie ins
Zwielicht geraten ist Die Notwendigkeit der öffentlichen Kon
trolle muß im Vordergrund stehen, der geplante Patientenfür
sprecher täuscht diese Kontrolle nur vor.
Darüber hinaus verkündet der Senat, daß die geschlossene
Unterbringung über den Bereich der psychiatrischen Anstalten
- nicht heute hier in Ihrer Rede - und Abteilungen hinaus aus
gedehnt werden soll. Im Ergebnisprotokoll eines Gesprächs
zwischen den Leitenden Ärzten der Krankenhäuser - Abteilung
Chronisch Kranke - mit Frau Dr. Mattheis, Senatsdirektorin,
[Frau Dr. Launen (CDU); Senatsrätin!]
vom Januar dieses Jahres heißt es; ich zitiere aus diesem Proto
koll, das von der Krankenhausleitung oder von den Ärzten ge
schrieben worden ist:
Vor besondere Probleme werden die Krankenhäuser - Ab
teilungen für Chronisch Kranke - durch die sogenannten
bett- und hausflüchtigen Patienten gestellt, die sowohl so
matisch als auch psychiatrisch krank sind und die niemand
aufnehmen will. (Frau Dr. Mattheis kündigt an, daß im Zu
sammenhang mit der Neufassung des Unterbringungsge
setzes eine Regelung beabsichtigt ist, die es ermöglichen
soll, solche Patienten mit richterlicher Zustimmung in nicht
psychiatrischen Einrichtungen zu belassen und zu sichern,
zum Beispiel durch Einschließen in Haus oder Zimmer, um
ihnen eine Verlegung in ein Krankenhaus für psychisch
Kranke zu ersparen.
Das hat der Senat sehr geschickt im §10 untergebracht. Als ich
das gelesen habe, fragte ich mich, was der Senat am Ende
dieses Jahres als Psychiatrieplan eigentlich vorlegen wird, was
er eigentlich alles mit diesem Gesetz, das uns vorliegt, auf eine
Rechtsgrundlage stellen will und welche Maßnahmen er noch
ergreifen will, um die Undurchsichtigkeit der Psychiatrie und die
fehlenden Kontrollmöglichkeilen zu fördern.
Ich bin mir der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause wohl
bewußt, besonders, was die Psychiatrie angeht - die AL steht
hier wohl allein da -, ich fordere Sie aber auf, die vielen grund
sätzlichen Einwände - die bereits von mir genannten — Ge
rade sehe ich am Leuchtzeichen das Ende meiner Redezeit.
Meine Fraktion wird dafür sorgen, daß bei der Anhörung zu
diesem Gesetz alle grundsätzlichen Einwände von Juristen und
Betroffenen wirklich geprüft werden, damit die Anhörung nicht
nur eine Alibifunktion hat. Wir halten diesen Gesetzentwurf für
gefährlich, und wir fordern den Senat auf: Machen Sie mit
diesem Entwurf das, was mit den vielen anderen Psychiatrie-
Entwürfen gemacht wurde, nämlich ziehen Sie ihn zurück!
Stellv. Präsident Frau Wiechatzek: Nun hat für die CDU-
Fraktion das Wort Frau Abgeordnete Blankenburg.
2824