Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
48. Sitzung vom 22. September 1983
Diepgen
(A) Mir drängt sich hier immer mehr die Frage auf, ob Sozialdemo
kraten es als Ziel ihrer Politik ansehen, unsere Stadt Berlin zu
einem Beispiel einer staatlichen Einheit zwischen den Blöcken
zu machen.
[Momper (SPD): Das ist eine dumme Unverschämtheit!
Nicht nur eine dumme, sondern eine . ..! -
Schaum haben Sie auch vorm Mund! -
Glocke des Präsidenten]
Das wäre ein Verstoß gegen alle Überlegungen zur Sicherung
der inneren Lebensfähigkeit unserer Stadt,
[Zuruf des Abg. Thomas (SPD)]
und es wäre eine Gefährdung der äußeren Sicherheit dieser
Stadt.
[Beifall bei der CDU - Ulrich (SPD): So wird
alles kaputt gemacht, was an Gemeinsamkeiten
da ist! - Momper (SPD): Nein! Weil Sie Schaum
vor dem Mund haben!]
Stellv. Präsident Longolius: Herr Diepgen, gestatten Sie
eine Zwischenfrage?
[Zuruf des Abg. Thomas (SPD) - Unruhe]
Diepgen (CDU): Ich weiß, daß der Kollege Thomas immer
dann so heftig reagiert, wenn er sich getroffen fühlt, und das ist
er insbesondere deshalb, weil er ähnliche Ausführungen genau
in der Vergangenheit gemacht hat bei allen Seminaren, wenn
wir gemeinsam diskutierten. Da überholen Sie mich doch im
mer rechts, und jetzt versuchen Sie, dies zu kompensieren.
[Beifall bei der CDU]
In die deutschlandpolitischen Zielsetzungen und Aktivitäten
müssen auch die Ergebnisse der KSZE einbezogen werden,
(B) das ist in diesen Tagen —
[Unruhe - Glocke des Präsidenten - Momper (SPD);
Sie müssen Staatsmann werden, Staatsmann, wenn
Sie Regierender Bürgermeister werden wollen! -
Staatsmann müssen Sie werden!]
- Der Herr Momper wird das nie lernen, ruhig zuzuhören!
[Momper (SPD); Nein, das fällt mir bei Ihnen
immer schwer!]
- Schütteln Sie richtig, dann platzt die Flasche noch eher!
[Zuruf: Er müßte Oberlehrer werden! -
Kunzeimann (AL): Ihr Teelöffel, Herr Diepgen! -
Glocke des Präsidenten]
Das in diesen Tagen mit einem guten Ergebnis abgeschlos
sene KSZE-Folgetreffen in Madrid ist ein Beispiel dafür, daß
trotz aller Belastungen der Ost-West-Beziehungen - man den
ke an Afghanistan, Polen oder auch an die Flugzeugkatastrophe
im Fernen Osten -, trotz bestehender Spannungen wichtige
Vereinbarungen zwischen Ost und West möglich sind. Das Er
gebnis dieser Konferenz von 35 Staaten beruht in starkem
Maße auf westlichen Interessen und ist von westlichen Wertvor
stellungen geprägt. Einigkeit und Entschlossenheit der west
lichen Demokratien haben dies möglich gemacht. Der Helsinki-
Prozeß wurde hier um weitere Verpflichtungen ergänzt,
(Momper (SPD): Donnerwetter!]
darunter Bestimmungen, die sich mit den Menschenrechten,
dem Terrorismus, den zum Beispiel in Polen verletzten Freihei
ten der Gewerkschaften, der religiösen Freiheit und dem freien
Informationsfluß befassen.
[Momper (SPD): Eberhard Diepgen und die Weltpolititkl]
Zwei Expertentreffen auf dem Gebiet der Menschenrechte und
der menschlichen Kontakte sind vorgesehen. Wir werten
dieses als einen Erfolg.
Der KSZE-Prozeß hat - so formulierte es der Bundesaußen
minister - die Funktion eines Katalysators für die Hoffnungen
der Menschen. Vertragstreue und Vertrauensbildung stehen (C)
hier erneut auf dem Prüfstand. Den hier feierlich abgegebenen
Erklärungen müßten jetzt Taten folgen. Die Menschen im geteil
ten Europa haben ein Recht auf Fortschritte im Alltag ihres Zu
sammenlebens, und zwar über die Grenzen hinweg. Und dies
gilt ganz besonders für uns Deutsche. - Ich möchte deshalb
von dieser Stelle aus die DDR-Führung auffordern, daß sie auf
die Impulse der von der Bundesregierung und von führenden
deutschen Politikern ausgesandten Signale jetzt auch reagiert,
und zwar mit konkreten Maßnahmen zum Wohle der Menschen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Ich fordere Sie auf, erfüllen Sie, erfüllen Sie im Sinne des
Schlußdokuments von Madrid das Wort Vertrauen gegen Ver
trauen mit Inhalt. Das Feld der Themen ist dabei weit - wirt
schaftlich, kulturell und auch bei dem immer dringender wer
denden Schutz unserer Umwelt -, es reicht vom Mindestum
tausch über die Grenzkontrollpraxis bis hin zu konkreten Ver
besserungen bei den Reisemöglichkeiten für die Menschen.
Die DDR muß einen Beitrag dazu leisten, daß wir dem Ziel
des Grundlagenvertrags näherkommen, der Normalisierung
und den gut nachbarlichen Beziehungen. Und am Ende des
KSZE-Prozesses, am Ende des langfristigen historischen Pro
zesses der Überwindung der Gegensätze zwischen Ost und
West muß eine dauerhafte Friedensordnung stehen, eine Frie
densordnung, die auf gegenseitigem Vertrauen, auf der Ver
wirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der
Verwirklichung der Menschenrechte beruht.
Das Gespräch, das Richard von Weizsäcker mit Herrn
Honecker hatte,
[Dr. Kunze (F.D.P.); Der Regierende Bürgermeister!]
diente diesem Ziel. Berlin hat sich in diesem Zusammenhang
als ein Motor der Deutschlandpolitik bewiesen, und dieses Ge
spräch unterstützt und unterstreicht die deutschlandpolitische
Verantwortung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. ^
Und Richard von Weizsäcker ist für diese Funktion geradezu
maßgeschneidert!
[Anhaltender Beifall bei der CDU und bei der F.D.P.]
Stellv. Präsident Longolius: Nächster Redner ist der
Abgeordnete Tietz.
Tietz (AL); Meine verehrten Damen und Herren! Ich freue
mich, daß ich meine erste Rede zu einem Zeitpunkt halten kann,
der eventuell eine gewisse Wende markieren könnte, eine
Wende, weg von der Konfrontationslinie der CDU/CSU gegen
über der Sowjetunion, eine Wende, weg von der bedingungs
losen Unterordnung der bundesrepublikanischen Republik
unter das Motto des US-Präsidenten Reagan „Kampf des Guten
gegen das Böse!“ Doch ist dies wirklich eine Wende oder ist es
nur eine Reaktion auf die auch unter CDU-Mitgliedern grassie
rende Angst vor dem atomaren Endkampf, den verschiedene
Vertreter der US-Administration zu gewinnen hoffen?
Ich glaube, wir können alle festhalten, daß der Besuch des
Regierenden Bürgermeisters in der DDR unter den gegenwärti
gen Bedingungen in der Hauptsache positiv zu bewerten ist.
Gespräche, Dialoge auf allen Ebenen, insbesondere aber auf
der Ebene der Menschen, sind positiv zu bewerten und können
dem Frieden dienen. Die Frage ist nur, was wurde besprochen?
Welche Perspektive verbirgt sich hinter solchen politischen
Aktivitäten? Hat Herr von Weizsäcker im Vergleich zu seiner im
Oktober 1982 gehaltenen Bundestagsrede, in der er in begrü
ßenswerter Offenheit darlegte, daß er keine Antwort auf die Pro
bleme des geteilten Deutschland, des Aufeinanderprallens der
atomaren Supermächte auf deutschem Boden weiß, heute eine
Antwort gefunden? Diese Fragen beziehen sich auf das Faktum
des Besuchs. Es ist zwar zu begrüßen, daß sich Herr Honek-
ker und Herr von Weizsäcker flexibel über Statusfragen hin
weggesetzt haben. Liegt aber in der De-fakto-Anerkennung der
DDR-Interpretation des Viermächte-Abkommens - und zu einer
solchen würde es kommen, wenn die Besuche auf dieser
2803