Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
48. Sitzung vom 22. September 1983
RBm Dr. von Weizsäcker
(A) Honecker betonte mit Nachdruck, daß Verhandlungsergeb
nisse in Genf nicht nur notwendig, sondern auch möglich seien.
Dies ist auch meine Meinung. Und es gilt überdies vor allem
auch für die START-Verhandlungen, die in Wahrheit ja die wich
tigeren als die über Mittelstreckenraketen sind.
Zwischen unserem Bündnispartner USA und uns hat es
ebenso über den Doppelbeschluß wie über die Genfer Ver
handlungen eine große Zahl beratender Gespräche gegeben
und gibt es sie weiterhin.
[Frau Zieger (AL); Wunderbar!]
Selbstverständlich stehen wir zur gemeinsamen, im Bündnis
beschlossenen Linie. Dies hat zu allen Zeiten gegenseitige Be
ratung in vertrauensvoller, offener Freundschaft mit sich ge
bracht. Und so wird es auch bleiben.
An diesem Punkt erlaube ich mir aber eine ernste Anmerkung
zur Haltung der Berliner SPD.
[Unruhe bei der SPD]
Selbstverständlich ist es ausschließlich Ihre eigene Angelegen
heit Ihren Kurs festzulegen. Aber wohin erführt, ist nicht nurfür
Ihre Partei, sondern auch für Berlin wichtig, und deshalb melde
ich mich aus meiner Verantwortung für Berlin zu dieser Frage
zu Wort.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. - Ulrich (SPD):
Haben Sie mit Honecker darüber gesprochen?]
Herr Ulrich, wären Sie vielleicht so freundlich, erst einmal zu
hören, was ich zu sagen habe, und erst dann zu erwidern.
[Beifall bei der CDU - weitere Unruhe bei der SPD]
Wohin soll er führen, wenn Sie sich an die Gedanken halten, die
Ihr Landesvorstand in einer Klausurtagung am 20. August
dieses Jahres bekanntgegeben hat? Ihr veröffentlichtes Papier
spricht zunächst von der zwingenden Verknüpfung von Vertei
digungsfähigkeit und Entspannungsbereitschaft. Hier stimmen
(B) wir - wie Sie wissen - voll überein. Dann aber ist die Rede da
von, die derzeitige amerikanische Regierung sei - ich zitiere
wörtlich - „einseitig und ohne Rücksichtnahme auf die Inter
essen Ihrer Partner in Europa von ihr abgerückt“.
[Zuruf von der SPD: Hört, hört!]
Man spreche von der Gewinnbarkeit eines nuklearen Krieges in
Europa.
[Starke Unruhe bei der SPD und der AL]
Die Reagan-Regierung insgesamt sei „einseitig“ zur Konfronta
tionspolitik gegenüber der Sowjetunion übergegangen.
Wie glauben Sie eigentlich mit solchen Bewertungen ein
Bündnis und damit den Schutz unserer Freiheit in Berlin durch
diese selben Amerikaner auf die Dauer aufrechterhalten zu kön
nen? Was heißt eigentlich „gegen die Interessen ihrer Partner
in Europa“? Der Doppelbeschluß wurde bekanntlich auf Initia
tive eines von der SPD gestellten Bundeskanzlers gefaßt. Auch
mir gefällt nicht jedes Wort, das in Amerika gesprochen wird!
[Wagner (SPD): Welches denn?]
Aber es kommt auf Grundlagen und Grundstimmung an. Es ist
einfach nicht wahr, daß der amerikanische Präsident auf die Ge
winnbarkeit eines nuklearen Krieges setzt. Wenn Sie stattdes-
sen Einzeläußerungen im großen Kreis amerikanischer Politiker
herausfischen, plakatieren und daran Ihr Amerika-Bild orientie
ren, verstoßen Sie dann nicht gegen einen ganz elementaren
Grundsatz der Friedensarbeit?
[Ulrich (SPD): Bauen Sie doch keinen Popanz auf!]
Man muß seinem Gegner herunterhelfen von einer unhaltbaren
Position. Man darf nicht, wie Sie es tun, Herr Ulrich, nach Indi
zien suchen, um damit seine strukturelle Unverbesserlichkeit zu
beweisen und festzuzurren. Mit solchen Äußerungen bringen
Sie sich doch selbst in den Verdacht, Sie wollten eine latente
Abneigung gegen Amerikaner mit immer neuen Beweisstücken
verstärken.
[Beifall bei der CDU - Ulrich (SPD): Das ist doch
reine Demagogie und unter Ihrer Würde!]
- Ich bin in der glücklichen Lage, auf diesem Gebiet meine (q
Würde mit sehr prominenten Sprechern und Führern Ihrer eige
nen Partei, angefangen von Helmut Schmidt, zu teilen.
[Dr. Köppl (AL): Hat Lummer Ihnen die Rede
geschrieben? - Ulrich (SPD): Sie brauchen wohl Ihren
rechten Flügel wieder?]
Meine Damen und Herren! Sie erwecken den Eindruck, als
suchten Sie nicht die Einigung mit der verantwortlichen ameri
kanischen Regierung, sondern den Beweis, daß es keinen Sinn
mehr habe, Versuche dieser Einigung mit ihr zu machen.
Wer sonst die Weltereignisse nicht verfolgt, sondern zur Orien
tierung über sie sich etwa beschränkt auf das Papier Ihres Lan
desvorstandes, der muß den Eindruck gewinnen, als wären wir
aus einer friedlichen Entspannungsphase in eine Konfrontation
geraten, nur weil die amerikanische Regierung dies aus heite
rem Himmel so will. Denn sie ist es - laut SPD -, die „einseitig“
auf Konfrontation übergegangen ist, so, als habe es die einsei
tige Aufrüstung der Sowjetunion, als habe es Afghanistan,
Polen und nun - freilich nach Ihrer Beschlußfassung über
dieses Papier - den Abschuß der koreanischen Maschine über
haupt nicht gegeben.
[Beifall bei der CDU - Ulrich (SPD):
Haben Sie denn protestiert? - Unruhe -
Glocke des Präsidenten]
Ich wiederhole: Sie werden mich an Ihrer Seite finden, wenn es
darum geht, eine eindeutige Verteidigungsfähigkeit in Richtung
auf eine Entspannungspolitik einzusetzen. Aber, meine Damen
und Herren, wäre ich amerikanischer Politiker und würde ich
das Papier des Landesvorstandes der SPD lesen, dann aller
dings würde ich mich fragen, wie ich vor meinen amerikani
schen Wählern verantworten soll, mit eigenen Menschen und
mit hohem Risiko für mein Land die Freiheit von Leuten in einem
anderen Land zu garantieren, die mich in einem Papier so be
handeln, als sei und bliebe ich in meiner Politik einseitig und (D)
ohne Rücksicht auf sie gegen ihre Interessen orientiert.
[Beifall bei der CDU - Ulrich (SPD): Haben Sie
denn protestiert?]
Was Ihre bevorstehenden Parteitagsbeschlüsse betrifft, so
kann ich nur hoff^gj.daß Sie im Interesse Deutschlands und
Berlins nicht vergessen, was Ihr stellvertretender Parteivorsit
zender und ehemaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt
hat. Er und wir alle wissen nicht, ob es zu Ergebnissen in
Genf kommt. Aber er und Bundeskanzler Kohl und praktisch die
ganze übrige Welt - übrigens auch Honecker und ich -
[Heiterkeit bei der SPD]
treten dafür ein, daß Ergebnisse in Genf velangt werden sollen
und möglich werden. Und nur die Berliner SPD, allein in der
Welt, lacht darüber!
[Beifall bei der CDU und des Abg. Rasch (F.D.P.)
- Heiterkeit bei der SPD - Ulrich (SPD): Unter
aller Würde, kleinkarierte Parteipolitik!
- Unruhe - Glocke des Präsidenten]
Ich kann nur sagen: Es dient dem Interesse Berlins nicht, wenn
eine Partei wie die Berliner SPD sich in dieser Weise in die
Selbstisolierung begibt.
[Beifall bei der CDU]
Und sollte es dann doch zu Ergebnissen kommen, dann wollen
Sie sie gegebenenfalls schon einmal vorsorglich abgelehnt
haben, sofern sich die derzeitige sowjetische Position nicht
durchsetzt, daß nämlich keine NATO-Mittelstreckenraketen, zu
denen die nationalen französischen und britischen Systeme
bekanntlich nicht gehören, in Europa stationiert werden dürfen.
Wir brauchen - zumal in Berlin - die Zusammenarbeit. Wie
Sie wissen, suche ich sie immer wieder. Deshalb muß ich mit
allem Nachdruck sagen: Um des Schutzes unserer Freiheit in
Berlin willen kann das Papier Ihres Landesvorstandes nicht Ihr
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