Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
46. Sitzung vom 9. Juni 1983
Stellv. Präsident Franke
(A) Wachsmuth. Wer seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte
ich um das Handzeichen. - Danke sehr! Ich bitte um die Gegen
probe. - Danke sehr! Das erste war die Mehrheit
Ich rufe auf
lfd. Nr. 9, Drucksache 9/1181:
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Auslän
derfragen vom 27. Mai 1983 zum Antrag der Fraktion
der SPD Uber zukünftige Ausländerintegrationspoli
tik, Drucksache 9/1135
Wird das Wort in der Beratung gewünscht? - Bitte schön, Herr
Abgeordneter Lorenz!
Lorenz, H.-G. (SPD); Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ziel des Antrags der SPD war es nicht, die Ausländerpolitik des
Senats neu anzuregen und neu zu definieren. Wir haben im Verlau
fe der letzten beiden Jahre sehr deutlich bemerkt, daß wohl auf
kaum einem Gebiet der Rat der Opposition so wenig gefragt ist wie
auf dem Gebiet der Ausländerpolitik. Wir haben uns daher nicht
vorgemacht, wir könnten durch einen neuen Antrag die bisherige
praktische Politik der Koalition verändern.
Ziel unseres Antrags war es vielmehr, nach der Türkenreise und
den darauf bezogenen Äußerungen des Regierenden Bürgermei
sters abzufragen, welcher denn nun der bestimmende Faktor in der
Ausländerpolitik sei: der Herr Regierende Bürgermeister oder die
Herren Lummer, Diepgen und viele andere Mitglieder der CDU-
Fraktion. Notwendig war diese Klarstellung geworden, weil der
Regierende Bürgermeister einerseits davon sprach, vorhandene
Unsicherheiten und Ängste in der ausländischen Bevölkerung müß
ten zum Zwecke und zum Ziele der Integration abgebaut werden,
andererseits Herr Lummer nicht einmal daran dachte, seine
(B) zwischenzeitlich nun schon berühmt-berüchtigte Ausweisungsre
gelung in dem nach ihm benannten Erlaß zu überprüfen. Herr Diep
gen bejubelte sogar, daß die CDU beschloß, man solle handstreich
artig türkische Eltern auf Dauer von ihren siebenjährigen Kindern
trennen.
[Buwitt (CDU); Das ist ja ein Ouatsch,
was Sie da erzählen!]
Herr von Weizsäcker sprach vom Zusammenwachsen von deut
scher und ausländischer Bevölkerung. Er definierte damit erstmalig
Integration von Senatsseite so, wie wir sie verstehen. Wir hofften
natürlich, daß mit der Einkehr des richtigen Integrationsbegriffes
auch eine neue Integrationspolitik ihren Ausgang nehmen würde.
Gleichzeitig erläuterte aber Herr Lummer in der Presse Ausländer
politik fast nur als Ausgrenzungspolitik.
Herr von Weizsäcker sprach von gleichberechtigter Teilhabe. Die
CDU-Fraktion wehrt sich verzweifelt gegen die Gewährung auch
nur einiger politischer Beteiligungsrechte für die ausländische Be
völkerung. Das sind Rechte, die weit unter denen des kommunalen
Wahlrechts liegen, das auch wir nicht befürworten.
Herr von Weizsäcker sprach von sozialer Teilhabe und glaubwür
digen Angeboten zum Einstieg in unsere Gesellschaft. Die CDU-
Fraktion erregte sich künstlich darüber, daß wir und andere von „tür
kischen Mitbürgern“ sprechen, statt von „Mitmenschen“. Wir hatten
sogar den Eindruck, daß am liebsten das Wort „Mitwesen“ ge
braucht worden wäre.
[Beifall bei der SPD]
Herr von Weizsäcker sprach davon, man dürfe nicht zulassen,
daß in Berlin Teilstädte entstünden mit getrennt lebender deutscher
und ausländischer Bevölkerung. Die CDU lehnte es ab, über
Stadtplanung unter ausländerpolitischen Gesichtspunkten auch
nur zu diskutieren, geschweige denn darüber nachzudenken.
Denn so ist es in Wahrheit: Der alte Herr spricht in hohlen Wor
ten und in sehr wohlklingenden Reden von der Integration und von
der Aufnahme der ausländischen Bevölkerung in unsere Gesell
schaft Meineidig wird ihm dann auch noch Gefolgschaft geschwo
ren. Dort aber, wo in Wahrheit Politik gemacht wird, werden seine
emphatisch beklatschten und euphorisch verkündeten Thesen und
Prinzipien untergepflügt. Und er lächelt dann auch noch meistens
milde dazu.
[Beifall bei der SPD - Buwitt (CDU): Das ist
ziemlich dümmlich, was Sie da erzählen!]
- Wie anders könnten Sie es dann erklären, Herr Buwitt, daß die
CDU kategorisch, unsubstantiiert, undifferenziert und im ganzen
einen Antrag ablehnt der Stadtplanung unter ausländerpolitischen
und integrationspolitischen Gesichtspunkten fordert. Selbst aber
beklagt man die Gettoisierung von Ausländern.
[Zuruf des Abg. Dr. Wruck (CDU)]
Wie sonst ist zu erklären, daß man den Abbau der administrativen
Schwellen bei der Einbürgerung ablehnt während man aber an
dererseits sagt, daß diese Einbürgerung erleichtert werden müsse.
Wie ist es sonst zu erklären, daß man von seiten der CDU es
abiehnt, auch nur einen Gedanken an politische Beteiligungsrechte
zu verschwenden, andererseits dann aber von sozialer Teilhabe
spricht.
Wie ist es sonst zu erklären, daß die CDU die Herabsetzung des
Zuzugsalters einzig und allein unter Ausgrenzungsgesichtspunkten
betreibt.
[Beifall bei der SPD]
Ich stelle hier namens meiner Fraktion fest, daß das nicht glaubwür
dig ist
Wer über Ausiänderkonzentration und über ihre verheerenden
Folgen für die Integration jammert, aber nicht bereit ist, sich plane
risch mit der Bewältigung dieser Probleme zu beschäftigen, ist
nicht glaubwürdig. Ich stelle fest daß nicht glaubwürdig ist wer von
Erleichterungen der Einbürgerung spricht und bürokratische
Schwellen nicht abbauen will.
Ich stelle fest, daß nicht glaubwürdig ist, wer von gesellschaft
licher Teilhabe von Ausländern spricht und es ablehnt, sich auch
nur Gedanken über diese Teilhabe zu machen.
Und ich stelle fest, daß nicht glaubwürdig ist, wer von menschen
würdigem Leben von Ausländern in diesem Lande spricht und
andererseits Ausländer nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet,
wie man sie möglichst schnell, möglichst effektiv und möglichst
andauernd von ihren minderjährigen Kindern trennt, statt sich dar
über Gedanken zu machen, wie wir es gefordert haben, wie man
Zustände schafft, die es den Ausländern ermöglichen, ihre Kinder
nicht erst mit 14 Jahren, sondern zu einem Zeitpunkt hierher zu
holen, wo ihnen die Integration in diese Gesellschaft noch gelingen
kann,
[Beifall bei der SPD und der AL - Vetter (CDU):
Dümmliches Gerede!]
Es ist die freie Entscheidung der Mehrheit dieses Hauses,
[Unruhe - Glocke des Präsidenten]
ob sie diesen Weg der Unglaubwürdigkeit gehen will oder nicht.
Und wenn Sie diese Unglaubwürdigkeit bewußt in Kauf nehmen,
dann müssen Sie wissen, daß es dabei nicht bleiben wird, daß wir
es hier sagen; sondern dies wird auch überall, wo über Ausländer
gesprochen wird, von uns festgestellt werden.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsident Franke: Nächster Redner - Frau Abgeord
nete Kantemir.
[Dr. Wruck (CDU): Aber differenziert!]
Frau Kantemir (AL); Er hat etwas liegengelassen, der Kollege,
ich bringe es gleich mit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr
Lorenz recht temperamentvoll hier vorgetragen hat
[Schicks (CDU): Nein, verbissen!]
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