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Volume Nr. 46, 9. Juni 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
46. Sitzung vom 9. Juni 1983 
Dr. Lehmann-Brauns 
(A) Sinn der Toleranz, daß sie gegenüber Andersdenkenden gewährt 
wird; zwischen Gleichgesinnten ist sie nicht nötig. Und das müssen 
Sie aushalten, der Sie doch sonst ein Bewußtsein entwickelt haben, 
das sehr weit ist für bestimmte Spielräume. Ich erinnere Sie an den 
Grunewald-Spaziergang. Niemand hat ihn verboten hier, obwohl 
das wirklich - ich habe ihn erlebt - der erpresserische Versuch war, 
eine ganz bestimmte Öffentlichkeit einzuschüchtern. 
Präsident Rebsch; Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol 
legen Koilat? 
Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Ja, bitte sehr! 
Präsident Rebsch: Bitte sehr! 
Koilat (SPD): Herr Kollege Dr. Lehmann-Brauns, teilen Sie nicht 
meine Auffassung, daß es höchste Zeit ist, daß wir uns wieder da 
ran erinnern, daß die demokratischen Parteien nach 1945 angetre 
ten sind nach dem Motto: Keine Toleranz mit den Gegnern der Tole 
ranz? 
[Zurufe von der CDU: Eben! Eben!] 
Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Herr Koilat, ich freue mich, daß 
Sie eine solche politisch inhaltliche Frage stellen. Angesichts des 
gesellschaftspolitischen Vakuums Ihrer Fraktion ist das ein Silber 
streifen am Horizont. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich bin nicht würdig genug, Herr Ulrich, Ihnen und Ihrer Fraktion 
Empfehlungen zu geben. Wenn Sie aber einen ernsthaften aktuel 
len Ansatz hätten finden wollen, — 
[Zuruf des Abg. Momper (SPD)] 
- Herr Momper, es fällt manchmal schwer, die Ernsthaftigkeit Ihrer 
Beiträge zu akzeptieren, ich tue es dennoch. - Wenn Sie, Herr 
Ulrich, wirklich gewollt hätten, den 17. Juni in einen ernsthaften Zu 
sammenhang zu bringen, dann hätte es nahegelegen, die Art und 
Weise, wie die Friedensbewegung der DDR derzeit behandelt wird, 
hier einmal zur Sprache zu bringen, z. B. die Vorgänge um Herrn 
Jahn, der wie ein Stück Vieh in einen Zug geschmissen und abge 
schoben worden ist. Das wäre ein politischer Inhalt gewesen. Aber 
eine unbekannte Nebenorganisation hier aufzutischen, damit scha 
den Sie nicht nur dem Instrument der Aktuellen Stunde, sondern 
Sie verletzen auch den Geist des 17. Juni, der heute noch leben 
dig ist. - Ich danke Ihnen. 
[Beifall bei der CDU] 
Präsident Rebsch; Nächster Redner ist Herr Dr. Meisner. 
Dr. Meisner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Die SPD-Fraktion hat genau vor einem Jahr eine Anhörung zum 
Rechtsradikalismus hier in diesem Hause durchgeführt. Die SPD- 
Fraktion hat das nicht aus Jux und Dollerei gemacht, sondern des 
wegen, weil wir alle nach der deutschen Vergangenheit es nötig ha 
ben, ganz besonders scharf auf den rechten Rand der Gesellschaft 
zu gucken. 
[Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Kunze (F.D.P.)] 
Wir müssen wachsam sein. Und die Mahnung zur Wachsamkeit, 
die heute von den Sozialdemokraten hier geäußert worden ist, Herr 
Regierender Bügermeister, diese Mahnung zur Wachsamkeit ist 
keineswegs Propaganda für jene, die vom rechten Rand her unsere 
Gesellschaft anknabbern wollen, sondern sie ist der Versuch, das 
Scheinwerferiicht auf Vorkommnisse und auch auf Aktivitäten zu 
lenken, die sonst im Verborgenen bleiben und - das war die Gefahr 
- sich am Rande einer Senatskundgebung abspielen und mit dieser 
identifiziert würden. Denn darüber sind wir ja nun alle einig: daß 
das, was die dort Vorhaben, überhaupt nichts mit dem 17. Juni 1953 
zu tun hat, und daß diejenigen, die diese Aktionen vorbereiten, die 
erklärten Feinde der Gewerkschaften sind, die bei jeder möglichen 
Gelegenheit, die Fachmanns und die Loewenthals, die Gewerk 
schaften verleumden, daß die natürlich nicht das Recht haben, den 
17. Juni, an dem für die Rechte der Gewerkschaften auf die Straße 
gegangen wurde - von Arbeitern auf die Straße gegangen wurde -, 
zu mißbrauchen, darüber sind wir uns auch alle klar. Aber die 
Chance, Herr Regierender Bürgermeister, die darin lag, daß Sie auf 
die Fragen der Sozialdemokraten klare Antworten geben, haben Sie 
leider verpaßt. 
[Beifall bei der SPD - Unruhe - Zurufe 
von der CDU] 
- Wissen Sie, die Distanzierung vom Rechtsradikaiismus oder die 
Distanzierung von der Konservativen Aktion war doch gar nicht ge 
fragt. Wer hat denn dem Regierenden Bürgermeister etwa vorge 
worfen, er würde der Konservativen Aktion nahestehen? Nein, was 
wir Ihnen vorwerfen, ist etwas anderes: Ein Regierender Bürgermei 
ster, der in dieser Stadt nicht nur dieses Amt, sonden gleichzeitig 
das Amt des Landesvorsitzenden einer der großen Parteien ausübt, 
hat eine besondere Verpflichtung dazu, sich von falschen Freunden 
rechtzeitig und nicht nur hinter verschlossenen Türen im Landes 
ausschuß oder sonstwo, sondern in der Öffentlichkeit zu distan 
zieren. Das haben wir von Ihnen vermißt! 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Sie haben hier pauschal geantwortet. Ich frage noch einmal: Ist es 
denn wahr, daß weder der Herr Graf Huyn noch der Herr Böhm von 
der CDU auf diesen Veranstaltungen sprechen werden? Was ist 
denn mit der Veranstaltung der Internationalen Gesellschaft für 
Menschenrechte mit dieser Aktion - und die ist nun wirklich weit in 
die Union hineingewachsen? Was ist, Herr Regierender Bürger 
meister, denn nun wirklich mit der Androhung von Straßenschlach 
ten, die sich in dem schon von Herrn Fabig zitierten „taz“-lnterview 
des Herrn Fachmann findet? Ist das wirklich keine Beeinträchti 
gung öffentlicher Interessen, oder ist es nicht so, daß nicht nur der 
Landesvorsitzende der CDU, sondern auch der Senat rechtzeitig 
hätten einschreiten müssen? Herr Regierender Bürgermeister, daß 
Sie nun an dieser Stelle sogar die Kontenance verloren haben, 
zeigt, daß Sie selbst gemerkt haben, daß Sie sich nicht rechtzeitig 
und nicht deutlich genug distanziert und damit jenes Zwielicht 
haben aufkommen lassen, das uns dazu gebracht hat, ja dazu ge 
zwungen hat, eine solche Aktuelle Stunde durchzuführen. 
[Beifall bei der SPD] 
Ich frage weiter: Wie sieht es dann aus mit den Programmen der 
Jugendgruppen, die sich an diesen Tagen in Berlin aufhalten? Sind 
die Programme nicht etwa doch so gestaltet, daß wenigstens die 
Zeit bleibt, der Raum freigelassen wird, an jenen Veanstaltungen 
der Konservativen Aktion teilzunehmen? Ich will noch etwas sagen: 
Wer sich guter Verbindungen mit der Union brüstet und es schafft, 
Berlin-Reisen über mehrere Tage für 30 DM anzubieten - da hätten 
wir wirklich gern etwas gehört, ob diese Verbindungen alle so ge 
kappt worden sind, wie Sie das behaupten. 
[Glocke des Präsidenten] 
Sie sind nämlich auch als stellvertretender Bundesvorsitzender 
Ihrer Partei dazu verpflichtet, die Verbindungen, die Sie eben hier 
geleugnet haben, genau durchzusehen, genau anzugeben, daß 
diese Verbindungen gekappt worden sind. 
Stellv. Präsident Franke; Ihre Redezeit ist beendet. 
Dr. Meisner (SPD); Lassen Sie mich eine letzte Antwort geben - 
ich bin sofort fertig -, ein letztes Zitat geben, das ich im „Berliner 
Sonntagsblatt“ gefunden habe, das nun wirklich nicht aus der links 
radikalen Ecke kommt. Ich zitiere: 
Dem Senat, der für die Sache kostenlos Quartiere zur Verfü 
gung stellte und keine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen 
zu erkennen vermag, ins Merkbuch geschrieben: Demonstra 
tion der Intoleranz, Uneinsichtigkeit und politischen Dummheit 
beeinträchtigt die Interessen Berlins empfindlich. 
- Vielen Dank! 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
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