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Volume Nr. 45, 2. Juni 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
45. Sitzung vom 2. Juni 1983 
Dr. Meisner 
dann wird damit gleichzeitig ein Ja zum Waldsterben ausgespro 
chen. Auf das meines Erachtens wirklich dumme Gegenargument 
des Investitionsstaus ist der Kollege Ueberhorst schon eingegan 
gen. 
Taten, meine Damen und Herren, hätten z. B. auch gestern voll 
bracht werden können; gestern im Hauptausschuß hätten die 
beiden Fraktionen, die die Aktuelle Stunde hier beantragt haben, ja 
sagen können zu dem Antrag, den die SPD-Fraktion eingebracht 
hat, nämlich endlich vier Millionen DM in den Nachtragshaushalt 
einzustellen für die Rauchgasentschwefelung der Müllverbren 
nungsanlage in Ruhleben. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Die Koalitionsfraktionen von CDU und F.D.P. haben dies abgelehnt 
Ich weiß nicht, ob ihnen bewußt war, daß wir am nächsten Tag hier 
eine Debatte über das Waldsterben führen wollten. 
Und schließlich sind Taten eben auch die Verminderung des 
Schadstoffausstoßes im Straßenverkehr. Was wird denn getan, um 
das Auto in unserer Stadt Berlin weniger attraktiv zu machen? Was 
wird getan, um den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver zu 
machen? Nun verweisen Sie bloß nicht auf Ihr S-Bahn-Schrumpf- 
konzept, das, wenn es durchgreift, darauf hinausläuft, daß noch 30 
Kilometer weniger als jetzt betrieben werden! 
[Buwitt (CDU): Und Sie hatten gar kein Konzept!] 
Und wo war der Senat im Bundesrat, muß ich fragen, als das Land 
Hessen seine Initiative für bleifreies Benzin eingebracht hat? Die 
Hinweise auf andere Bundesländer sind keine Entschuldigung, ge 
nausowenig wie Hinweise auf die Luftverschmutzung durch die 
Nachbarstaaten. Das klang mir nämlich bei Herrn Simon wieder 
ganz danach. 
[Simon (CDU): Sie sollten mal besser hinhören 
und nicht so viel in Polemik machen!] 
Der Hinweis auf die Nachbarstaaten, wie z. B. das Warten auf die 
europäische Lösung beim bleifreien Benzin, bedeutet meist nur das 
Nachgeben gegenüber den Interessen derer, die an der Umweltver 
schmutzung noch verdienen. Niemand ist befugt, den Nachbarn 
wegen der Verschmutzung in seinem Luftraum anzuklagen, wenn er 
nicht alles unternimmt, die eigenen Emissionen drastisch zu vermin 
dern. Wir, meine Damen und Herren, in Berlin haben eben nicht 
alles getan! Die Versäumnisse datieren natürlich nicht erst seit dem 
1. Juli 1981, da gebe ich den Kollegen, die das gesagt haben, 
durchaus recht, aber Sie setzen sich seitdem fort; obwohl das Be 
wußtsein der Öffentlichkeit in diesen zwei Jahren sehr viel wacher 
geworden ist, gibt es eben doch effektiv nichts, was der Senat an 
Anstrengungen unternommen hätte, die Luftbelastung tatsächlich 
zu verändern. 
Präsident Rebsch: Herr Kollege Meisner, gestatten Sie eine 
Zwischenfrage des Kollegen Liepelt? 
Dr. Meisner (SPD): Bitte sehr! 
Präsident Rebsch: Bitte, Herr Kollege! 
Liepelt (CDU): Herr Kollege Meisner, ist Ihnen nicht bekannt, 
daß, wenn die Bundesrepublik im Alleingang bleifreies Benzin ein 
führen würde, sie unweigerlich damit vor dem Europäischen Ge 
richtshof landen würde, weil die anderen Länder der Europäischen 
Gemeinschaft insoweit ein Einspruchs- und Benachteiligungsrecht 
geltend machen würden? 
Präsident Rebsch: Bitte, Herr Dr. Meisner! 
Dr. Meisner (SPD): Also das europäische Echo, Herr Liepelt, 
möchte ich wirklich hören, wenn die Bundesrepublik Deutschland 
wegen einer umweltpolitisch positiven, herausragenden Maßnahme 
voranginge und deswegen angeklagt werden sollte vor dem Euro 
päischen Gerichtshof. Ich halte das für ein lächerliches Gegenargu 
ment. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Präsident Rebsch: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage (C) 
des Kollegen Dr. Jänicke? 
Dr. Meisner (SPD); Bitte! 
Dr. Jänicke (AL): Herr Meisner, könnten Sie Herrn Kollegen Lie 
pelt darüber belehren, daß nach dem EG-Vertrag Maßnahmen des 
Gesundheitsschutzes sehr wohl nationale Alleingänge zulassen? 
Dr. Meisner (SPD); Bitte schön, Herr Kollege Liepelt, Sie haben 
das ja gehört! 
[Heiterkeit] 
Meine Damen und Herren, wir haben ja als Umweltpolitiker schon 
jahrelang über Maßnahmen in diesem Hause geredet, übrigens 
immer nur unter nur mäßiger Aufmerksamkeit der Kollegen, und in 
der praktischen Politik hat sich tatsächlich wenig verändert Kolle 
gen haben schon darauf hingewiesen: Die an Pseudokrupp er 
krankten Säuglinge konnten nicht zu Luftreinhaltemaßnahmen ver 
anlassen, nun hoffe ich, daß wenigstens die erkrankten Kiefern, 
nachdem sie eine Aktuelle Stunde wert waren, dazu führen werden. 
Ich meine, es ist schon recht billig, ein Thema wie das Waldsterben 
in Aktuellen Stunden abzuhandeln, aber nicht einmal eine Verschär 
fung der Smog-Verordnung in Berlin zuzulassen. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Und wer eine Autobahntrasse durch einen herrlichen alten Wald in 
Tegel schlagen wollte, der dies übrigens hier im Parlament als 
Mehrheit mit durchgesetzt hat und nur durch das Gericht gestoppt 
wurde - und dazu gehören auch Sie, Herr Vetter, Sie haben in 
dieser Legislaturperiode hier mit darüber abgestimmt! -, der kann 
nicht mit blauen Augen das Waldsterben beklagen. 
[Beifall bei der SPD und der AL - 
Buwitt (CDU); Sie haben nicht mal blaue Augen, 
Sie sind blind!] ^ 
Dazu, meine Damen und Herren, ist eben auch ein Umdenken nötig. 
Wachstumsideologie insgesamt verträgt sich nicht mit einem 
gleichgewichtigen Ökosystem, wie es der Wald darstellt 
Das griechische Wort für Umdenken übersetzt Luther übrigens 
mit „Buße“. Wir alle, meine Damen und Herren, und unsere Kinder 
werden es büßen, wenn der Gedanke des Wachstums weiter der 
bestimmende in unserer Gesellschaft ist Ständiges unkontrollier 
tes industrielles Wachstum und ein Leben in Frieden mit der Natur 
schließen sich leider aus. Der Krebstumor wächst auch, allerdings 
nur so lange, bis er den Organismus getötet hat 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Kollege Sellin. 
Sellin (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe 
Ihnen hier für diese Aktuelle Stunde entsprechend der Pieroth- 
schen Wirtschaftspolitik ein zukunftsträchtiges Produkt mitge 
bracht Dieses Produkt hätte für die Region Berlin und überregio 
nal riesige Absatzchancen, und man könnte es sich sparen - wie 
dieser Wirtschaftssenator, nach Japan zu fahren und sich vielleicht 
über die modernsten Rauchgasentschwefelungsanlagen zu unter 
richten - hoffen wir es! -, daß dieser Wirtschaftssenator in der letz 
ten Plenarsitzung seine Hoffnungen gesetzt hat auf eine herbei 
zitierte Automobilindustrie, diese Automobilindustrie, die industriell 
als Wachstumsbranche keine Chancen hat, sondern von Überkapa 
zitäten gequält ist. Hier wird von uns ein Produkt vorgestellt, das 
Chancen hat, entsprechend der Pierothschen Wirtschaftspolitik ein 
solches Mittelstandsprodukt zu sein, nämlich ein Kunststoffbaum, 
in diesem Fall eine Kunststofftanne. 
[Zuruf von der SPD: Die übersteht den sauren Regen 
auch nicht!] 
Durch das Land Berlin besieht die Möglichkeit, diese Produktent 
wicklung voranzutreiben. Man kann aus Kunststoff die robuste Ber 
liner Kiefer entwickeln, man kann entsprechend dem Berliner Stra- 
2641
	        
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