Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
45. Sitzung vom 2. Juni 1983
Sen Wronski
werden. Aber ich meine, diese Frage, ob wir eine Produktionsstätte
mit Altglas in Berlin aufmachen, ist letzten Endes eine Frage des
Marktes. Nach meiner jetzigen Einschätzung ist eine solche Investi
tion im Land Berlin nicht erforderlich. Wir werden unser Glas billig
und günstig für beide Seiten auch woandershin los.
Stellv. Präsident Franke: Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordne
ter Swinne!
Swinne (F.D.P.): Herr Senator, teilen Sie das Zitat in den „Per
spektiven für die leistungsfähigen öffentlichen Unternehmen“, der
von der ÖTV herausgegebenen Broschüre:
Während alle Berlinförderungsmaßnahmen für die private
Wirtschaft keinen Umschwung am Arbeitsmarkt herbeiführen
konnten, garantieren die öffentlichen Unternehmen durch ihr
Mitbestimmungsmodell, daß neue Aufgaben mit zusätzlichen
Arbeitsplätzen verbunden sind.
Haben Sie die gleiche Einschätzung wie die ÖTV in diesem Zusam
menhang?
Stellv. Präsident Franke: Herr Senator Wronski!
Wronski, Senator für Arbeit und Betriebe: Herr Abgeordneter
Swinne, nein, die kann ich nicht haben, denn ich kenne die Kosten
rechnung der ÖTV nicht, die dieser Behauptung zugrunde liegt.
Stellv. Präsident Franke: Das Wort hat nunmehr Herr Ab
geordneter Krüger zu einer Mündlichen Anfrage über
Vollstreckungshilfe nach § 71 des am 1. Juli 1983
in Kraft tretenden Gesetzes über die internatio
nale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG -
Krüger (CDU): Herr Präsident! Meine Kollegen! Ich frage den
Senat:
1. Sind bereits Maßnahmen getroffen worden, die Anzahl der
Fälle festzustellen, in denen Rechtshilfeersuchen nach § 71 IRG an
einen ausländischen Staat um Übernahme der Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe, die von einem deutschen Gericht gegen einen hier
inhaftierten Ausländer verhängt worden ist, in Betracht kommen?
2. Liegen dem Senat Erkenntnisse darüber vor, wie viele von den
in Berlin inhaftierten Ausländern mit einer Überstellung in den Hei
matstaat zur Vollstreckung einverstanden wären und/oder dieses
wünschen?
Stellv. Präsident Franke: Herr Senator Oxfort!
Oxfort, Senator für Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Abgeordneter Krüger, bereits im Februar dieses
Jahres hat der Senator für Justiz - mein Vorgänger, Professor
Scholz - Erhebungen darüber angestellt, auf wieviel ausländische
Gefangene in den Justizvollzugsansfalten Berlins § 71 IRG ange
wendet werden könnte. Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Inkrafttre
tens des IRG, den 1. Juli 1983, und die voraussichtliche Dauer des
erforderlichen gerichtlichen Verfahrens haben wir uns dabei auf die
Fälle beschränkt, in denen der voraussichtliche Entlassungszeit
punkt nach dem 15. August 1983 liegt. Dies war im Zeitpunkt der
Erhebung bei 361 ausländischen Gefangenen der Fall. Hiervon bil
den türkische Staatsangehörige mit 141 die größte Gruppe, gefolgt
von 94 Palästinensern aus dem Libanon. Die restlichen 126 auslän
dischen Gefangenen stammen aus 24 weiteren Staaten.
Zu 2.: Bei der genannten Erhebung haben wir auch den Wunsch
der einzelnen Gefangenen bzw. ihre Zustimmung für eine even
tuelle Überstellung in den jeweiligen Heimatstaat soweit wie mög
lich erkundet, unter anderem auch deshalb, um die voraussichtliche
Zahl der Rechtsmittelverfahren abschätzen zu können. Von den
361 befragten Gefangenen haben sich 144 mit einer Überstellung
in den Heimatstaat einverstanden erklärt; 207 haben dies abge
lehnt; zehn Gefangene waren zu einer Antwort nicht bereit Unter (C)
den zustimmenden Gefangenen bilden wiederum die türkischen
Staatsangehörigen mit 90 die größte Gruppe, gefolgt von den Palä
stinensern aus dem Libanon mit 31. Die restlichen 23 Gefangenen,
die ihre Zustimmung erklärten, stammen aus acht verschiedenen
Ländern.
Stellv. Präsident Franke: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Krüger!
Krüger (CDU): Wie lange, Herr Senator, wird es nach Auffas
sung des Senats noch dauern, bis die ersten dieser ausländischen
Inhaftierten zur weiteren Strafverbüßung in ihre Heimatländer über
stellt werden können?
Stellv. Präsident Franke: Herr Senator Oxfort!
Oxfort, Senator für Justiz; Herr Präsident! Herr Abgeordneter
Krüger, der Senat hofft, daß in absehbarer Zeit die ersten auslän
dischen Strafgefangenen zur weiteren Strafvollstreckung in ihre
Heimatländer überstellt werden können. Allerdings wird die Anwen
dung des Rechtsinstituts der Vollstreckungshilfe nach § 71 IRG
voraussichtlich zunächst auf einzelne Fälle und Länder begrenzt
bleiben - dies deshalb, weil das IRG als innerstaatliches Recht
lediglich die Möglichkeit eröffnet und die Voraussetzungen der Voll
streckungshilfe festlegt. Vollstreckungshilfe stellt jedoch einen völ
kerrechtlichen Akt dar, der die Mitwirkung von zwei Völkerrechts
subjekten, also auch des Staates, der um Übernahme der Vollstrek-
kung ersucht wird, voraussetzt Das bedeutet, daß ein die Materie
der Vollstreckungshilfe regelndes multinationales Übereinkommen
oder ein Vertrag mit dem in Betracht kommenden ausländischen
Staat von der Bundesregierung abgeschlossen werden muß. Derar
tige Vertragswerke sind kurzfristig nicht zu erwarten. Ein unkompli
zierterer Weg, nämlich per Notenaustausch zu einer Regelung zu
gelangen, ist nur mit den Staaten gangbar, die ihrerseits eine die
Vollstreckungshilfe erfassende gesetzliche Regelung haben. Das 1 '
sind im europäischen Raum - soweit dem Senat bekannt - lediglich
Österreich, die Schweiz und die Türkei. Nach den genannten Erhe
bungen verbüßen aber nur fünf Österreicher und ein Schweizer zur
Zeit Freiheitsstrafen in Berlin; alle sechs haben überdies erklärt, mit
einer Überstellung in ihr Heimatland nicht einverstanden zu sein.
Ob und in welchem Umfang ein auf die Vollstreckungshilfe bezo
gener Notenaustausch mit derTürkei erreicht werden kann, vermag
der Senat nicht abzuschätzen. Für die türkische Seite dürfte die
hohe Zahl der für eine Überstellung in Betracht kommenden Gefan
genen ebenso ein Problem darstellen wie das Strafmaß, das für ver
gleichbare Staftaten in der Türkei regelmäßig höher ausfällt.
Dadurch könnten nach unseren Einschätzungen Unruhen in den
türkischen Strafanstalten zu befürchten sein.
Unbeschadet der aufgezeigten Schwierigkeiten wird der Senat
jedoch in geeigneter Form an die Bundesregierung herantreten und
unter Hervorhebung der humanitären Gesichtspunkte für die Be
troffenen das vordringliche Interesse Berlins am baldigen Zustan
dekommen entsprechender Vereinbarungen verdeutlichen.
Stellv. Präsident Franke: Zu einer weiteren Zusatzfrage, der
Abgeordnete Krüger!
Krüger (CDU): Herr Senator, welche Vorstellungen hat Ihre Ver
waltung, die ausländischen Strafgefangenen von dieser augen
blicklichen Rechtslage und der Situation hinsichtlich ihrer mög
lichen Überstellung in das Heimatland - so sie es wünschen - zu
unterrichten? - Ich glaube, daß wir den Strafgefangenen eine Ant
wort vor dem 1.Juli schuldig sind.
Stellv. Präsident Franke: Zur Antwort, Herr Senator Oxfort!
Oxfort, Senator für Justiz: Herr Präsident! Herr Abgeordneter
Krüger, die Erfahrung lehrt zwar, daß Informationen über den Straf
vollzug sich unter Strafgefangenen immer außerordentlich schnell
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