Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
44. Sitzung vom 5. Mai 1983
Dr. Meisner
diesem Wunsch im Aufsichtsgremium des SFB Nachdruck ver
leihen können, und an diesem Wunsch sollte auch der Sender
Freies Berlin nicht Vorbeigehen.
Die SPD-Fraktion legt heute einen Antrag vor, der einen neuen
Modus anregt, wie der Finanzbedarf der Rundfunkanstalten in Zu
kunft ermittelt werden soll. Die wesentliche Änderung gegenüber
dem bisherigen Verfahren ist die Einbeziehung der Länderparla
mente. Die Art, wie der Sender mit einer politischen Willenserklä
rung des Abgeordnetenhauses von Berlin umgeht, wird sicherlich
ihren Einfluß haben auf das Verhalten des Parlamentes in der näch
sten Runde.
Lassen Sie mich gleich noch ein paar Bemerkungen zu unserem
Antrag machen. In allen Bereichen, die der Gesetzgebungskompe
tenz der Länder unterliegen, die aber gleichwohl - aus guten Grün
den - eine bundeseinheitliche Regelung verdienen, ist der tatsäch
liche Einfluß der Länderparlamente auf ein Minimum geschrumpft.
Die Ministerpräsidenten der Länder werden quasi zum Gesetz
geber, und zwar nicht über das verfassungsmäßig vorgesehene
Organ des Bundesrates, sondern vermittelst der politischen Eini
gung über Staatsverträge, Staatsverträge, die den Länderparlamen
ten dann nur noch zur endgültigen Bestätigung vorgelegt werden.
[Rasch (F.D.P.): Sehr wahr!]
Wir haben hier bei der 1. Lesung alle unseren Unmut über diese Ver
fahren geäußert. Wenn wir den Weg gehen, den der Antrag der
SPD-Fraktion weist, dann holen sich die Landtage ein kleines Stück
ihrer Kompetenz zurück, und dann ist auch der Antrag zum Finanz
gebaren des Senders Freies Berlin, über den wir nachher abstim
men, mehr als eine bloße politische Willenserklärung.
Mit der reinen Gebührenerhöhung, die alles in allem maßvoll aus
gefallen ist und weit unter den ursprünglichen Forderungen von
ARD und ZDF geblieben ist, hat die SPD-Fraktion keine Schwierig
keiten. Es fällt uns allerdings schwer, dem Staatsvertrag zuzustim
men, weil darin gleichzeitig Gebühren erhoben werden für die
Kabel-Pilotprojekte. Wir stimmen heute über Kabelgroschen ab und
wissen dabei immer noch nicht, wie das Berliner Kabel-Pilotprojekt
aussieht. Die erste offizielle Information erwarten wir am kommen
den Montag im Kulturausschuß. Die Verzögerung hat ganz be
stimmt nicht der jetzige Kultursenator Hassemer zu vertreten, aber
der Senat insgesamt hat sie verschuldet. Senator Kewenig hat
20 Monate hindurch eine Vorlage wieder und wieder angekündigt,
ohne daß etwas anderes produziert wurde als Gerüchte und Vermu
tungen.
Auch die Kabel-Pilotprojekte verdanken ihre Entstehung einer
Absprache der Ministerpräsidenten der Länder. Sie waren einmal
der Kompromiß zwischen sehr unterschiedlichen medienpoliti
schen Vorstellungen. Sozialdemokratische Ministerpräsidenten
wollen auch dann, wenn die Kabeltechnik mehr Fernseh- und Hör
funkprogramme zuläßt als die Übertragung durch den Äther, am
öffentlich-rechtlichen Prinzip festhalten. Einige Ministerpräsidenten
der Union - nicht alle - wollen die zusätzlichen Frequenzen für pri
vate, kommerzielle Anbieter freigeben und damit das Mediensystem
in der Bundesrepublik Deutschland verändern.
Man hat sich 1980 in Kronberg darauf geeinigt, die Zeit, in der
die Kabel-Pilotprojekte laufen, als eine Denk- und Atempause im
medienpolitischen Streit zu nutzen. Diese Vereinbarung ist durch
das Handeln der unionsregierten Länder Niedersachsen und
Baden-Württemberg gebrochen worden. Und der Wille zum Bruch
auch durch den Berliner CDU-Senat war in den ebenfalls mehrfach
wiederholten Ankündigungen zu einem sogenannten Medienerpro
bungsgesetz deutlich geworden.
Heute besteht die Gefahr, daß mit dem Geld, das eigentlich für
den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestimmt ist, die Infrastruktur
für einen künftigen Kommerzfunk finanziert wird. Wenn meine Frak
tion dem Staatsvertrag über die Gebührenerhöhung dennoch ihr Ja
gibt, dann hat sie dafür drei Gründe:
1. Dem Staatsvertrag nicht zuzustimmen hieße, die öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten zu Einschränkungen ihrer Leistun
gen zu zwingen. Damit würden wir dem Ruf nach Kommerzfunk erst
das Argument liefern, das bis jetzt noch fehlt. Denn ein Bedürfnis,
mehr Programme - und dann noch kommerzielle Programme - zu (C)
empfangen, gibt es bisher nicht.
2. Dem Staatsvertrag in Berlin nicht zuzustimmen hieße, die
finanzielle Existenz des Senders Freies Berlin als einer Anstalt zu
untergraben, die im Finanzausgleich zwischen den Rundfunkanstal
ten der Bundesrepublik ein gut Teil mehr bekommt als in Berlin an
Gebühren eingenommen wird.
3. Wir sagen Ja zu dieser Gebührenerhöhung, weil wir damit
weiterhin gewährleisten, daß die Bevölkerung in Ost-Berlin und in
einem großen Teil der DDR über Vorgänge bei uns, aber auch über
Vorgänge in der DDR selbst informiert wird.
Deshalb, meine Damen und Herren, aber auch wirklich nur des
halb wird die SPD-Fraktion dem Staatsvertrag zähneknirschend zu
stimmen.
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Nächster Redner ist Kollege
Dr. Jänicke.
Dr. Jänicke (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Wohlrabe! Sie haben hier einen verheerenden Satz gesagt:
Scheibenwischer Hildebrand, schade Berlin. Ich wende mich mit
aller Vehemenz gegen solche Zensurinstinkte, insbesondere bei
einer Regierungspartei.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Ich ziehe meinen Hut vor der Courage dieses Mannes und ich sage
hier in aller Form, nicht Herr Hildebrandt schadet Berlin, sondern
Herr Schmitz. Um diesen Fall ging es ja wohl in der Sendung,
Und im übrigen, Herr Wohlrabe, wenn die politischen Kabaretts
eine solche Konjunktur haben - neuerdings auch das „Institut für
Lebensmut“, für das ich hier in aller Form werben möchte -, dann
hat das ja wohl sehr viel mit Ihrer Politik zu tun. Sie fördern doch
solche Entwicklungen.
[Rasch (F.D.P.): Man darf doch wohl noch einmal lachen! - (D)
Wohlrabe (CDU): Der Martin hat es schon früher ungern gehabt,
wenn man über ihn gelacht hat!
- Glocke des Präsidenten]
Nun zur Sache! Wir lehnen dieses Gesetz wegen des Kabel
groschens ab. Auch wir kritisieren die Verschwendung und die Ein
kommensprivilegien im Rundfunk, insbesondere in einer Zeit, in der
ein Teil der Bevölkerung an der Armutsgrenze vegetiert. Auch das
sind Leute, die Rundfunkgebühren zahlen und die diese unglei
chen Einkommensverhältnisse mitfinanzieren müssen. Das ist so
nicht hinnehmbar!
Im übrigen sind wir keine Fans eines Rundfunksystems, in des
sen Aufsichtsräten die Parteien und die großen Verbände und die
gesellschaftlich ohnehin Tonangebenden ein solches Gewicht
haben. Speziell gilt das für den SFB, in dem die Position der Unter
nehmer, der Verleger und der Konservativen gerade erst hand
streichartig verstärkt worden ist.
[Beifall des Abg. Wendt (AL)]
Wir sind - um dies hier auch positiv zu sagen - für ein öffentlich-
rechtliches System, in dem nicht die Interessen der Reichen und
Mächtigen und gut Organisierten, sondern die Interessen der Bür
ger den Ton angeben. Und wir sind für unabhängige, nichtkommer
zielle lokale Sender; in dieser Kombination, Das wäre im übrigen ein
billigeres Rundfunk- und Fernsehsystem, denn immer, wenn der
Bürger zu Wort kommt, kostet das nicht viel Geld. In jedem Fall
wäre das ein System, das ein Gegengewicht gegen die von privaten
Anzeigen abhängige Presse darstellt.
[Beifall des Abg. Sellin (AL)]
Dennoch würden wir auch im konkreten Fall sagen: Gebt dem
Rundfunk, was des Rundfunks ist! Denn angesichts der kommen
den Sint- und Sündflut der Kommerzialisierung der Medien ist
selbst der bestehende öffentlich-rechtliche Rundfunk dann immer
noch das kleinere Übel. Wir sehen sehr wohl das Problem, daß man
diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell austrocknen könn
te, und wir warnen vor solchen Strategien!
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