Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
43. Sitzung vom 28. April 1983
Landowsky
woher sie auch immer kommen, können Verhandlungen nicht erset
zen, sondern allenfalls erschweren.
[Zuruf: Sehr wahr! - Beifall bei der CDU,
der SPD und der F.D.P.]
Ich glaube, wir Berliner wissen die psychologische Situation in
unserer Stadt und in unserem Lande am besten einzuschätzen.
Wer mit schrillen Tönen Sachverhalte mit „Mord“ bezeichnet, die
nach den gegebenen Tatsachen diesen Begriff nicht rechtfertigen,
entwertet den moralischen Protest im Falle eines tatsächlichen Mor
des, den wir in den letzten zwanzig Jahren an Mauer und Stachel
draht der.innerdeutschen Grenze sehr häufig zu beklagen hatten.
Deswegen lehnen wir auch eine Qualifizierung in diesen schrillen
Tönen, in dieser Nomenklatur strikt ab.
[Beifall bei der CDU und der SPD]
Ich sage aber auch, daß die Lage in Deutschland in ihrer Anormali
tät dazu geführt hat Denn wären diese Kontrollen nicht so anormal,
würden vermutlich zwei deutsche Menschen mehr am Leben sein.
Deswegen, Herr Kollege Ulrich, lassen Sie mich das nur mit einem
Satz sagen: Auch von Ihrer Seite muß mit Sorgfalt vorgegangen
werden. Ich kritisiere das genauso, wie ich das im weiß-blauen
Raum in gleicher Weise kritisiert habe: Bagatellisierungen, wie sie
Egon Bahr und heute in der „taz“ Ihr Kollege Amonat getan haben,
werden der Lage der Menschen und auch einer demokratischen
Gemeinsamkeit nicht gerecht.
[Beifall bei der CDU]
Lassen Sie mich das Fazit ziehen: Der Bundeskanzler hat erklärt,
daß er die Politik des friedlichen Dialogs fortsetzen will. Wir als Ber
liner Christdemokraten in diesem Parlament unterstützen diese
Politik. Die Politik soll den Menschen dienen, sie soll den Menschen
die vorhandene Angst nehmen, sie soll die Verdachtskontrollen, die
kleinen Schikanen reduzieren, das heißt, letztlich umfassend den
Menschen ein besseres Miteinander ermöglichen. Eines Begriffs
wie dem der „Wende“ bedarf es in diesem Zusammenhang nicht,
meine Damen und Herren! Ohne inhaltliche Ausfüllung führt die
Forderung nach einer Wende vielleicht weg von einem friedlichen
Dialog, was wir nicht wollen, eher zu einer Verunsicherung als zu
einer Sicherung. Aus diesem Grunde meine ich - das sage ich
auch hier vor diesem Parlament -, ist es unter Abwägung aller Um
stände sicherlich den deutschen Interessen und den deutschen
Menschen dienlicher, wenn die Bemühungen der Bundesregierung
fortgesetzt werden, in einem direkten Gespräch zwischen dem
Bundeskanzler und dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR,
diese innerdeutschen Probleme persönlich besprochen werden.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Die Lage der Menschen in
unserer geteilten Stadt und im geteilten Deutschland eignet sich am
allerwenigsten für einen Parteienzwist Das gilt für die Regierungs
parteien in Bonn untereinander in gleicher Weise wie für das Ver
hältnis der Opposition zur Regierung. Ein derart vordergründiger
Streit wird immer zu Lasten der Menschen gehen. Ihre Lage aber zu
verbessern, ist Ziel der Christlich Demokratischen Union. - Schö
nen Dank!
[Beifall bei der CDU und des Abg. Rasch (F.D.P.)]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Schmidt für die AL-Fraktion.
Schmidt (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn
ein Mensch im Rahmen eines Verhörs zu Tode kommt, dann ist das
für uns und für alle immer Anlaß zur Beunruhigung und zu berech
tigten Nachfragen, und wenn ein Mensch im Transitbereich, im Kon-
trollbereich an der deutsch-deutschen Grenze zu Tode kommt,
dann ist dies erst recht ein Grund zur Beunruhigung. Diese Todes
fälle zeigen die Anormalität des deutsch-deutschen Verhältnisses,
sie zeigen aber auch - und das ist das Beunruhigende und das
eigentlich Perverse an dieser Sache -, daß man versucht aus dem
Tod eines Menschen politisches Kapital zu schlagen. Es kann nicht
angehen, wenn Scharfmacher auf beiden Seiten meinen, diese tra
gischen Todesfälle vollständig ungeprüft für eigene Propaganda
gegenseitig benutzen zu können. Es kann nicht angehen, wenn der (C)
Bayerische Ministerpräsident von einem Mordfall spricht und die
Springer-Presse versucht dieses noch in ihren Schlagzeilen zu
überhöhen; es kann nicht angehen, zu versuchen, den Tod und
die Trauer im politischen Alltagsgeschäft zu vermarkten, es kann
nicht angehen, wenn man das Wort von Alexander Mitscherlich
über die Unfähigkeit zu trauern auf solch tragische Weise erneut
beweist
[Beifall bei der AL]
Es muß darum gehen - das ist wohl eine Konsequenz daraus -,
statt Scharfmacherei den Dialog zwischen den beiden deutschen
Staaten weiter aufrechtzuerhalten, es muß darum gehen, diesen
Dialog weiter fortzuführen. Gerade in einer Situation, wo sich in
Europa die politische Großwetterlage zwischen den beiden
Blöcken verschlechtert, muß es darum gehen, daß beide deutschen
Staaten alles versuchen, einen Dialog der Menschen und einen Dia
log der Regierungen zustandezubringen, um einen Beitrag zur Frie
denssicherung in Europa zu leisten. Deshalb ist dieser Fall nicht nur
ein Transitfall. Angesichts der nicht normalen Situation auf den
Transitwegen muß es auch darum gehen, daß diese für jeden West
deutschen und Westberliner ohne Risiko benutzt werden können.
Eine Hysterie in den Medien wird höchstens dazu führen, daß eine
weitere Verunsicherung bei Westdeutschen und Westberlinern ein
setzt Es muß auch in Zukunft darum gehen, weitere Verbesserun
gen im Reiseverkehr zu erreichen, was bedeutet daß die Angst die
jeder hat, der die Transitwege benutzt, zurückgeschraubt wird, und
das Gefühl einsetzt, man könne, wie sonst in anderen Fällen, auch
hier ohne Angst diese Wege benutzen, was Ziel der Politik sein
muß.
[Beifall bei der AL]
Präsident Rebsch: Nunmehr hat das Wort der Kollege Rasch
für die F.D.P.-Fraktion.
Rasch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist (pj
außerordentlich begrüßenswert, daß bis zu dieser Stunde in diesem
Hause in dieser sehr wichtigen Frage ein hohes Maß an Konsens in
der Beurteilung der tragischen Vorfälle und in der Beurteilung der
Grundlagen der Existenz und Sicherheit unserer Stadt besteht. Das
ist wirklich begrüßenswert, und es hat viele Jahre gegeben, wo
diese Gemeinsamkeit in diesem Hause nicht vorhanden war.
Es ist für Berlin unerläßlich, daß der Transitverkehr ohne Behin
derung und - wie es in den Abkommen ja heißt - auf der einfach
sten, schnellsten und günstigsten Weise, das heißt ohne Willkür
und ohne Schikanen, abläuft. Dazu gehört auch - und das sollten
wir hier deutlich formulieren -, daß vermutete oder tatsächliche Ver
stöße gegen dieses Abkommen, gegen die Verträge seitens der
DDR-Organe schnell, umfassend und auch ohne Schikane geklärt
und unverzüglich unseren Organen mitgeteilt werden. Wenn man
von Einhaltung der Verträge spricht, dann gilt dieses ohne Vor
behalt für beide Seiten.
Ich möchte hier eingangs deutlich machen, daß die DDR als Ver
tragspartner aufgerufen ist, gerade angesichts mancher Hysterie,
mancher schnell formulierter Urteile oder auch Vorurteile, in diesem
sehr wichtigen Bereich zwischen der Bundesrepublik und der
DDR, im Verhältnis zwischen Berlin und der übrigen Bundesrepu
blik und der DDR, das Gefühl der Rechtssicherheit, das Gefühl der
Sicherheit überhaupt zu schaffen, damit kein Raum vorhanden ist
für derartige Vorurteile oder hysterische Entwicklungen. Das heißt,
wir sind aufgerufen, gemeinsam - beide Seiten - Verfahren zu ent
wickeln, die hierzu konstruktive Beiträge leisten.
Meine Damen und Herren! Über die tragischen Todesfälle ist hier
schon manches gesagt worden, Worte des Mitgefühls, des Be
dauerns; man hat auch anscheinend tatsächlich sehr voreilig von
„Mord“ und ähnlichem gesprochen. Auch die Kommission und die
Gutachten scheinen Entsprechendes darzulegen, wenn auch die
Staatsanwaltschaft bisher ihre Ermittlungen, wie wir wissen, noch
nicht abgeschlossen hat.
Meine Damen und Herren! Was Berlin, unsere Bürger, das Bun
desgebiet und auch den internationalen Bereich in besonderer
Weise betrifft, ist nach unserer Überzeugung der sehr schnelle Miß-
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