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Volume Nr. 42, 17. März 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
42. Sitzung vom 17. März 1983 
Patzold 
(A) etwas dadurch relativiert, daß der bayerische Ministerpräsident, wie 
erwähnt, auch in andere Richtung einmal laut - vor der Wahl - 
nachgedacht hat. 
Ich muß an dieser Stelle tragen, wenn es um den Fragebogen 
selbst geht: Was haben eigentlich zu Recht erhobene statistische 
Daten mit der Angabe zur konkreten Person zu tun? Begreift denn 
niemand, daß dies dann keine bloßen Daten mehr sind, sondern 
daß sie für den einen oder anderen Bürger mindestens zum Teil als 
höchstpersönliche Offenlegungen in Intimbereichen empfunden 
werden und daß diese Menschen nicht wollen, daß die ohnehin 
sehr großen, von ihnen gefürchteten Bürokratien mit ihren vielen 
Mitarbeitern und Computern das alles zu Gesicht bekommen? Wie 
so müssen berechtigte Interessen der Einwohnermeldebehörden 
am einzelnen Bürger, die ich durchaus als berechtigt anerkenne, 
die eigentlich nur für sich ihren Wert haben, in einem Vordruck ge 
koppelt werden mit statistischen Fragen, die nur in großer Zahl, also 
anonym interessant sind? Wieso muß jeder Fragebogen mit einer 
Kenn-Nummer versehen werden, der bei einigen Bürgern die Be 
fürchtung auslöst, daß dies zur Rückverfolgung zu einzelnen Perso 
nen hinführen könnte? 
[Starke Unruhe] 
Da gibt es einen Menge Fragen, die man in diesem Zusammenhang 
sehen müßte und sehen sollte, und ich denke, wir haben uns das 
damals bei der Gesetzgebung vielleicht zu leicht gemacht, und wir 
werden vernünftigerweise daraus Schlußfolgerungen ziehen müs 
sen. 
Wir bitten Sie deshalb, unseren Änderungsantrag zu unterstüt 
zen. Wir wollen nicht der Ideologie fröhnen, daß man diese Volks 
zählung am besten verschiebt - das wäre völlig unsachgerecht - 
und schon gar nicht auf Jahre hinaus. Wir wollen aber auch nicht 
die Gegenideologie fördern, daß man eine einmal beschlossene 
Sache wider spätere, bessere Einsicht um jeden Preis durchziehen 
muß. Deshalb kommt es darauf an, daß mit der gebotenen Be 
schleunigung hier die notwendigen Fragen aufgeworfen werden, 
(B) daß der Fragebogen bundesweit gemeinsam überarbeitet wird, daß 
dabei strikt nach statistischen Daten einerseits und nach melde- 
rechtlichen personenbezogenen Angaben andererseits getrennt 
wird. 
Nur so werden wir wirklichen Datenschutz und Vertrauensschutz 
gewährleisten können! Nur so werden wir zu einer wirklichen Ak 
zeptanz dieser Volkszählung kommen! Nur so reagiert ein freiheit 
lich verfaßtes Gemeinwesen angemessen und mit der gebotenen 
Gelassenheit auf berechtigte Sorgen von Bürgern in einer etwas 
kompliziert gewordenen Situation! Gerade unser demokratischer 
Staat sollte immer darauf achten, daß er Vertrauen festigt und daß 
er Gegnern keine Vorwände liefert. 
[Beifall bei der SPD] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Kollege Karl-Heinz 
Baetge für die F.D.P. - Bitte sehr, Herr Kollege, ich hoffe, es wird ein 
kurzes Statement. 
[Heiterkeit] 
Baetge (F.D.P.); Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! 
Meine Herren! Sicherlich, ich mache es ja immer kurz, und das will 
ich auch jetzt tun. 
Herr Kollege Pätzold, ich frage mich: Warum haben Sie sich 
eigentlich auf den Schlitten der Volkszählungsmuffel schieben las 
sen, obgleich Sie ganz genau wissen, daß am 27. April die Volks 
zählung läuft und man sehr viel nicht mehr ändern kann? Wir haben 
gemeinsam mit unserer Koalitionsfraktion einen Antrag eingebracht 
- ich bin da ganz korrekt -, der wenigstens versucht, noch einiges 
in dieser Angelegenheit besser zu machen, dieser Antrag lautet: 
Der Antrag der Fraktion der AL über die Verschiebung der 
Volkszählung 1983 wird durch folgende Fassung ersetzt: 
Der Senat wird aufgefordert, auf Bundesebene dahin zu wir 
ken, daß bei dem Vollzug der Volkszählung 1983 das Höchst 
maß an Anonymität der Bürger gewahrt wird. 
Ich glaube, daß dies das einzige ist, was wir überhaupt noch 
machen können, denn die Volkszählung ist nun einmal eine durch 
Bundesgesetz beschlossene Sache. Verehrter Herr Kollege Pät 
zold, wir gemeinsam, nämlich die Regierung Schmidt/Genscher, 
haben diese Volkszählung beschlossen. Schließlich sind Volkszäh 
lungen auch eine ziemlich teure Sache. Man muß immerhin darauf 
hinweisen, daß diese den Staat 371 Mio DM koset. Eine Verschie 
bung - wie sie hier gewünscht wird - würde rd. 100 Mio DM 
kosten. 
Präsident Rebsch; Herr Kollege Baetge, gestatten Sie eine 
Zwischenfrage? 
Baetge (F.D.P.): Ja, gerne! 
Präsident Rebsch; Bitte schön, Herr Kollege Nagel! 
Nagel (SPD): Herr Kollege Baetge, ich frage Sie: Ist Ihnen be 
kannt, daß in der heutigen Ausgabe der „liberalen“ Zeitung „Die 
Zeit“ auf vier Seiten das Problem der Volkszählung dargestellt und 
problematisiert wird? Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht 
für völlig unangemessen, die Sozialdemokraten als Leute zu be 
zeichnen, die sich als Volkszählungsmuffel auf einen ganz 
bestimmten Schlitten schieben lassen? 
Präsident Rebsch: Bitte schön, Herr Abgeordneter Baetge! 
Baetge (F.D.P.): Das Wort „Volkszählungsmuffel“ stammt gar 
nicht von mir, Herr Kollege Nagel. Ich habe auch ein Zitat, allerdings 
nicht aus der „Zeit“. Ich habe das Zitat eines wirklich Liberalen - 
das werden Sie gar nicht bestreiten können nämlich des Hambur 
ger Informatik-Professors Dr. Klaus Brunnstein, der erklärt hat: „Die 
Totalverweigerer wollen unseren Staat funktionsunfähig machen.“ 
[Schmidt (AL): Das ist ein entschiedener 
Gegner dieser Volkszählung!] 
- Das ist nicht wahr. Ich zitiere Ihnen, denn er hat weiter erklärt; „Die 
Bürger werden leicht feststellen, daß die sogenannten sensiblen 
Daten, vor deren Speicherung und Mißbrauchsmöglichkeiten zu 
Recht gewarnt wird, nicht erhoben werden. Auch die oft behauptete 
Weitergabe an beliebige private Stellen gehört ins Reich der Lügen 
märchen.“ - Ich kann Herrn Brunnstein nur zitieren. Damit ist die 
Frage beantwortet. Es gibt eben auch Liberale, die das völlig anders 
sehen als Sie. 
Präsident Rebsch: Lassen Sie noch eine weitere Zwischen 
frage zu? 
Baetge (F.D.P.): Selbstverständlich! 
Präsident Rebsch: Bitte, schön, Herr Kollege Finger! 
Finger (AL); Herr Kollege Baetge, würden Sie sich denn auf die 
persönliche Zusicherung des Innenministers Zimmermann verlas 
sen? Zimmermann wird auch Old Shurehand genannt. Er hatte 
schon einmal einen totalen Blackout in der Vergangenheit. Er hat 
sich persönlich dafür eingesetzt, daß sich die Bevölkerung auf ihn 
verlassen könne. Aufgrund des Blackouts aber in der Vergangen 
heit muß man aber davon ausgehen, daß er sich auch wiederum 
später an diese Aussage nicht erinnern wird. 
Präsident Rebsch: Bitte schön, Herr Kollege BaetgeI 
Baetge (F.D.P.): Ich verlasse mich auf Herrn Zimmermann und 
seine Beamten, denn ich bin schließlich ein Beamtenvertreter. 
[Heiterkeit bei der SPD - Beifall bei der F.D.P. 
und bei der CDU] 
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