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Volume Nr. 37, 20. Januar 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
37. Sitzung vom 20. Januar 1983 
Dr. Kunze 
gen Kollegen Rzepka vielleicht hier doch noch etwas radikaler vor 
zutragen wäre. Was meine ich damit? 
[Feilcke (CDU): Was denn wohl?! - Heiterkeit] 
- Ja, das müßte man wohl hinzusagen. Ich dachte, daß das Parla 
ment fähig wäre, kulturpolitisch grundsätzliche Fragen auch als 
solche zu erkennen. Dann wäre es nicht nötig, das dazu zu sagen. 
[Beifall bei der F.D.P., teilweise bei der CDU 
und teilweise bei der SPD] 
Herr Kollege Lehmann-Brauns teilt mit, der Konflikt sei ja völlig 
unverständlich, weil es da nur um Nuancen ginge. Das sind seine 
Ausführungen wörtlich. Das sagt jemand, der immerhin kulturpoliti 
scher Sprecher der größten Fraktion dieses Hauses ist. Mir fehlen 
fast die Worte für soviel Ignoranz vor einem wesentlichen kulturpoli 
tischen Problem in dieser Stadt. 
[Beifall bei der F.D.P. und teilweise bei der SPD] 
Der Kollege Jänicke reiht sich in diese Sichtweise des Kollegen 
Lehmann-Brauns ein. Er erklärt, das Ganze finde hier nur aus 
Opportunismus vor Schlagzeilen statt, ohne aber zu erkennen, daß 
in der Tat kulturpolitische Grundsatzfragen in dieser Diskussion mit 
angesprochen sind und die Hauptsache darstellen. Es stünde in 
der Tat diesem Parlament gut an, kulturpolitische Grundsatzfragen 
einmal anhand eines solchen Konfliktes konkret und nicht unver 
bindlich zu diskutieren. Ich finde, daß die Beiträge der CDU-Frak- 
tion und der Fraktion der Alternativen Liste dem kulturpolitischen 
Problem, das sehr viele in dieser Stadt und über diese Stadt hinaus 
interessiert, überhaupt nicht gerecht geworden sind. 
Zunächst möchte ich drei Punkte feststellen. Eine künstlerische 
Entscheidung kann erstens nicht durch eine politische ersetzt 
werden. 
[Beifall bei der F.D.P. und teilweise bei der SPD] 
Darüber hat sich hier Einvernehmen eingestellt Ich bin froh dar 
über, daß auch der Senat offensichtlich bestehenden Versuchun 
gen, diese Entscheidungen an sich zu ziehen, nicht nachgegeben 
hat. 
Zweiter Punkt: Das Ziel für die politischen Bemühungen muß in 
diesem Konflikt sein, die Berliner Philharmoniker und Herbert von 
Karajan weiterhin zu einer musikalischen Zusammenarbeit zu brin 
gen und diese zu erhalten. Das interessiert 
[Beifall bei der F.D.P. und teilweise bei der SPD] 
Zweitrangig - dies sage ich dazu - muß an diesem Ziel gemessen 
die Frage sein, in welchen Funktionen, in welchen bürokratischen 
Zuordnungen das zwischen Herrn von Karajan und den Berliner 
Philharmonikern in Zukunft geschieht und geschehen kann. 
Der Dritte Punkt ist eigentlich der wichtigste Punkt: Die künstleri 
sche Selbstverwaltung des Orchesters darf im Zusammenhang mit 
diesem Konflikt in gar keiner Weise geschmälert werden, sie muß 
vielmehr neu bekräftigt werden. 
[Beifall bei der F.D.P. und bei der SPD] 
Ich finde, daß man sich dennoch in dieser politischen Debatte, Herr 
Lehmann-Brauns, nicht um eine Stellungnahme herumdrücken 
sollte, um festzustellen, was wirklich abgelaufen ist und noch weiter 
ablaufen wird. Die Rolle des Intendanten des Philharmonischen 
Orchesters ist kritikwürdig. Die Anstellungsentscheidung von Herrn 
Girth schien ja auf den ersten Blick einigen gleichsam als ein 
Schlag durch den gordischen Knoten, quasi als ein Befreiungs 
schlag. Meine Bewertung hierzu ist jedoch anders. Nach meiner 
Bewertung hat die Entscheidung des Intendanten das Problem ver 
schärft, und ich beurteile diese Entscheidung negativ. 
[Beifall bei der F.D.P., teilweise bei der CDU 
und teilweise bei der SPD] 
Zu dieser Verurteilung kommt man insbesondere dann, wenn man 
weiß, daß der Vorgänger von Herrn Girth, Herr Stresemann, vor vie 
len Jahren einen ganz ähnlich gelagerten Konflikt als Intendant zu 
meistern hatte. Und er hat ihn durch Vermittlung und durch Wah 
rung der Interessen aller Beteiligten gemeistert. An dieser Stelle 
kann man deshalb wohl feststellen, daß einem Intendanten Strese 
mann eine derartige Eskalierung dieses Konfliktes nicht passiert (C) 
wäre. 
[Zurufe von der F.D.P.: Sehr richtig!] 
Ich füge auch in Richtung auf die Aktivitäten des Senats hinzu: Ich 
würde es begrüßen, wenn die guten Dienste von Herrn Stresemann 
auch bei der Bewältigung dieses Konflikts möglichst intensiv 
genutzt und eingebracht werden würden. 
[Striek (SPD); Sehr gut! - Beifall bei der F.D.P., 
teilweise bei der CDU und teilweise bei der SPD] 
Ganz offen sage ich auch zu dem Ehrenbürger dieser Stadt, 
Herrn von Karajan: Die Geschäftsgrundlage für die Arbeit von 
Herrn von Karajan als Chefdirigent der Philharmoniker sind die 
100 Jahre lang gewachsenen künstlerischen Selbstverwaltungs 
rechte des Orchesters. Dazu paßt es nicht, wenn man mit dem Ent 
zug von Subsidien droht im Falle eines künstlerischen Konfliktes, in 
dem das Orchester seine Rechte wahrnimmt. Dieses Verhalten 
- ich sage das mit aller Zurückhaltung, aber es ist nötig, daß ich es 
sage - des Chefdirigenten ist nicht in Ordnung. Es ist notwendig, 
daß der Chefdirigent zur Geschäftsgrundlage, der Zusammenarbeit 
mit dem Philharmonischen Orchester, zurückkehrt. 
[Beifall bei der F.D.P. und teilweise bei der CDU] 
Fragen an den Senat sind natürlich nicht auszusparen. Ich habe 
im Hinblick auf die Aktivitäten des Senats schon positiv gewertet, 
daß der Kultursenator nicht diese Entscheidung über den Vertrags 
abschluß selbst getroffen hat. Ich will gar nicht ausmalen, wie man 
das hätte kommentieren müssen. Ich sage nur allgemein, das wäre 
ein völliges Unding gewesen. Man muß aber feststellen, daß bisher 
die Aktivitäten des Kultursenators in dieser Angelegenheit ein Miß 
erfolg gewesen sind. Und nur von daher wird der Ruf in dieser Stadt 
nach einem vermittelnden Engagement des Regierenden Bürger 
meisters in den letzten Tagen lauter. Der Mißerfolg des Senats 
scheint mir zu einem Teil im Problem selbst zu liegen. Ich billige 
Ihnen also zu, Herr Senator Kewenig, daß man nicht durch ein fröh 
liches In-die-Hände-Klatschen dieses Problem hätte einfach sich in ^ 
Luft auflösen lassen können. Zu der unglücklichen Rolle des Kultur 
senators bisher hat nach meiner Überzeugung die nahezu beliebige 
Undeutlichkeit der Haltung des Kultursenators zu den in diesem Zu 
sammenhang angesprochenen kulturpolitischen Grundsatzfragen 
beigetragen. Es ist notwendig, daß der Kultursenator in der heuti 
gen Debatte klarstellt, daß er die Entscheidung des Intendanten 
über den Vertragsabschluß in keiner Weise gefördert oder hinten 
herum gebilligt hat oder er womöglich aus heutiger Sicht diese Ent 
scheidung hilfreich und nützlich findet. Diese Klarheit in der Sache 
ist wünschenswert. Und wünschenswert ist insbesondere Klarheit 
über die Haltung des Senators in der Frage der künstlerischen 
Selbstverwaltungsrechte des Orchesters. Es ist notwendig, daß der 
Kultursenator zumindest heute hier eindeutig feststellt, daß für ihn 
die gewachsenen künstlerischen Selbstverwaltungsrechte der Phil 
harmoniker in keiner Weise zur Disposition stehen und da Bera 
tungen, wie die Verwaltungsordnung anders formuliert werden 
kann, nur mit dem Ziel vom Kultursenator aufgenommen werden 
können, diese Selbstverwaltungsrechte unzweideutig und unge 
schmälert zu bekräftigen. Diese Erklärung ist in der Öffentlichkeit 
vom Kultursenator so deutlich nicht gemacht worden, da hat er sich 
in eine undeutliche Position begeben, die schädlich war. Ich sage 
jedenfalls sehr entschieden; Es gibt fast kein anderes Beispiel auf 
der Welt, wo sich demokratische Strukturen, Mitbestimmung, 
Selbstverwaltung im künstlerischen Bereich auf so eindrucksvolle 
und hervorragende Weise mit einem unbestritten hohen Leistungs 
standard verbinden, wie bei den Berliner Philharmonikern. Und weil 
ich ein Anhänger der kulturellen Selbstverwaltung, weil ich ein 
Anhänger der Mitbestimmung im kulturellen Bereich bin, liegt mir 
daran, gerade bei dieser Auseinandersetzung, gerade bei diesem 
Konflikt, auch nicht das geringste Maß an Schmälerung dieser 
erreichten künstlerischen Selbstverwaltung der Philharmoniker hin 
zunehmen. Ich hoffe sehr, daß dies auch die unzweideutige Richt 
linie für das Handeln des Senats ist. 
[Beifall bei der F.D.P. und der SPD] 
Stellv. Präsident Longolius: Ich muß jetzt doch unsere Gäste 
darauf hinweisen, daß entgegen den Gepflogenheiten beim Philhar- 
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