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Volume Nr. 35, 10. Dezember 1982

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
35. Sitzung vom 10. Dezember 1982 
Pätzold 
(A) gen ist uns im Sicherheitsausschuß gesagt worden, sie gäbe 
es nicht. Es gibt Hinweise, daß sich der jüdische Polizei 
schüler in der Tat schon einmal einer Lehrkraft oder einem 
Ausbilder anvertraut haben soll. Wie ist das behandelt wor 
den? Ist das auf den Dienstweg gebracht worden? Hat man 
gemeint, das regele man so unter sich, und das sei nicht so 
schlimm, das kriege man schon hin? — Obwohl man das er 
sichtlich seit zwei Jahren eben nicht hingekriegt hat, denn 
dort ist vielmehr unerträgliche Unmenschlichkeit praktiziert 
worden. Dazu müssen wir Auskünfte bekommen, und der 
Senator für inneres wird wohl noch Gelegenheit nehmen, 
dazu Näheres zu sagen. Ich möchte auch wissen, ob es da 
nähere Aufzeichnung gibt, wie das auf dem Dienstweg behan 
delt worden ist. 
Wir müssen auch, wie im Innenausschuß, die Frage stellen; 
Kann die Gruppe so zusammenbleiben? Kann der Ausbilder 
für diese Gruppe verantwortlich bleiben? Wie ist das über 
haupt mit dem Umfeld? — Wobei ich gern einräume: Es hat 
keinen Sinn, nur mit Sanktionen bei Nichtschuldigen ant 
worten zu wollen, sondern dort sind sehr intensive Gespräche 
zu führen. Aber hat es denn inzwischen von geeigneten Lehr 
kräften und Ausbildern auch Gespräche mit diesen jungen 
Menschen gegeben, 
[Städing (SPD); Sehr wahr!] 
die eben insgesamt auch durch Gleichgültigkeit oder durch 
Angst falsch reagiert haben, wenn einem ihrer Kollegen so 
mitgespielt worden ist? Ich frage mich auch: Haben alle 
Verantwortlichen in unserer Stadt immer für ein genügend 
klares Klima zum Neonazismus gesorgt? Haben wir uns 
immer klar gegenüber allen NPD-Anfechtungen verhalten? 
Hat es da jede Klarheit bei jedem Verantwortlichen in der 
Vergangenheit gegeben? 
(B) Der Senator für Inneres trägt wie jeder politisch Verant 
wortliche die volle Verantwortung für alles, was in seinem 
Bereich geschieht. Das ist sicher nicht allein in seiner Amts 
zeit gewachsen, obwohl er selber in früherer Funktion sofort 
von Skandal gesprochen und den Rücktritt des verantwort 
lichen Senators gefordert hat bzw. hätte. Wir möchten hier 
ausdrücklich bescheinigen, daß die verantwortlichen Organe, 
insbesondere der polizeiliche Staatsschutz, gut und schnell 
reagiert haben, daß der Polizeipräsident insbesondere noch 
Nachdruck hinter die Ermittlungen gesetzt hat. Aber ich habe 
mir auch mit anderen Kollegen etwa die Frage des Bundes 
vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei anhören müssen, 
ob es richtig war, daß die Betreffenden selbst ausgeschieden 
sind, bevor man sie von Amts wegen entlassen hat. Das wäre 
eigentlich die eindeutigere Demonstration gewesen. 
Wir müssen den Senator für Inneres auch fragen: Was tut 
er für die Zukunft konkret, damit sich die Dinge dort in der 
Ausbildung, in der Bildung bessern und sich solche Vor 
kommnisse nicht wiederholen — dort, wo einiges mehr ge 
schehen muß, obwohl in der Vergangenheit, das sei aner 
kannt, außerordentlich viel auch von den unmittelbar Verant 
wortlichen für die Ausbildung geleistet worden ist. 
Zum Schluß: Alles muß auf den Tisch, um der Sache willen, 
um unserer Zukunft willen. Ich hoffe sehr, daß es wirklich 
nur drei kleine Eisberge waren und nicht etwa die Spitze 
eines größeren Eisberges. 
[Beifall bei der SPD und der F.D.P., teilweise auch bei 
der CDU] 
Stellv. Präsident Franke: Nächster Redner ist Frau Ab 
geordnete Kantemir von der AL-Fraktion. 
Frau Kantemir (AL); Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Die polemischen Ausfälle von Herrn Rösler, der die Qua 
len und Leiden, die ein jüdischer Mitbürger hier zu ertragen 
hatte, zum Anlaß genommen hat, gegen antiautoritäre Erzie 
hung vorzugehen, waren unerträglich. Deshalb ist uns nichts 
anderes übrig geblieben, als auszuziehen. Denn er ist ja nicht 
auf den Punkt gekommen, sondern es waren Ausfälle gegen 
die sogenannte Linke. Ich habe mich gefragt, als die Aktuelle 
Stunde hier anberaumt wurde, ob man auch eine Aktuelle 
Stunde angesetzt hätte, wenn in der Schulzendorfer Polizei 
kaserne auf der Tafel das Wort „Türkensau“ gestanden hätte. 
Wenn wir diese Aktuelle Stunde dann für ein solches Thema 
beantragt hätten, hätte man uns wahrscheinlich vorgeworfen, 
wir spielten die Ausländerfeindlichkeit hoch. Sie sind empört 
über diese Vorkommnisse in der Schulzendorfer Kaserne, und 
ich bin auch empört darüber. Ich schäme mich auch dafür, aber 
ich verstehe nicht, daß Sie sich darüber wundern. Denn Sie 
von der CDU-Fraktion und vom Senat sind es doch gewesen, 
die ständig von Überfremdung dieser Stadt sprechen; Sie 
haben Befürchtungen und rechnen die Geburtenzahlen der 
Deutschen gegen die der Türken auf. Und dann wundern Sie 
sich, wenn junge Polizeibeamte sich eben auch vor Über 
fremdung fürchten und dann keinen Unterschied zwischen 
Türken und Juden machen. Dieser jüdische Mitbürger ist in 
Israel geboren, und für sie war er ein Ausländer. Für sie war 
es wohl richtig, auch anhand der hier betriebenen Politik, 
daß man eben einen Ausländer, diesmal einen Juden, be 
schimpfen und quälen kann. Ich finde das alles sehr, sehr 
schlimm. Verbales Bedauern reicht hier nicht aus. Ich frage 
Sie alle hier im Saal: Wo sind Sie denn, wenn es zu Nazi- 
Veranstaltungen in dieser Stadt kommt? — Ich bin mehrmals 
dort gewesen. Ich fange bei der Breker-Ausstellung an; ich 
habe mir durch das Ringen vor dieser Ausstellung zwar einen 
ziemlich blauen Rücken geholt, um den Nazis den Eintritt zu 
verwehren, aber damals war die Polizei noch recht human — 
sie kam nicht im Kampfanzug. Ich war dann im Oktober 1981 
im Wedding, wo die Nazis einen NPD-Parteitag geplant hat 
ten, und zwar in einer Kneipe. Wir haben einige Leute zu 
sammengetrommelt, darunter auch Leute aus der von Ihnen 
so verpönten Hausbesetzerszene, ich nehme an, aus der 
antiautoritären Erziehung. Die haben auch dort gestanden, 
stundenlang im Regen, und versucht, diesen NPD-Parteitag 
zu verhindern. 
[Beifall bei der AL] 
Es wäre sicher angebracht gewesen, wenn irgend jemand 
aus diesem Hohen Haus, der vielleicht bekannter ist als wir es 
sind, dort gewesen wäre. Vielleicht hätte er dort zur Beruhi 
gung der Situation beigetragen. Denn wir mußten uns von den 
Polizeibeamten beschimpfen lassen, und ständig mußten wir 
Angst davor haben, daß wir und nicht die Nazis verprügelt 
werden, was ich hier mal sagen muß. 
[Beifall bei der AL] 
Vor dem Hotel Intercontinental hat sich vor einigen Wochen 
Ähnliches zugetragen. Dort war auch eine Nazi-Veranstal 
tung; draußen wurde dagegen protestiert. Ich verallgemeinere 
hier nicht, sondern beziehe das nur auf diesen Fall; Dort 
haben die Polizeibeamten zu den Demonstranten gesagt, die 
gegen diese Veranstaltung demonstriert haben: Hoffentlich 
verprügeln euch die Faschisten, dann brauchen wir das nicht 
zu tun! Da frage ich mich, was das für eine Einstellung dieser 
Polizeibeamten ist, wenn sie gegen uns vergehen und nicht 
gegen diese Nazis. Ich verlange ja nicht, daß sie die Nazis 
verprügeln, aber die Polizei soll dafür sorgen, daß wenigstens 
wir vor den Prügeleien der Nazis geschützt werden, denn 
wir kriegen dann zusätzlich Prügel von den Nazis, und die 
Polizei guckt zu. 
[Beifall bei der AL, der F.D.P. und der SPD] 
Ich möchte Ihnen einmal sagen: Es reicht wirklich nicht aus, 
wenn Sie zu Herrn Galinski zur Geburtstagsparty gehen und 
2210
	        
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