Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
34. Sitzung vom 9. Dezember 1982
iungclaus
chend. Ich meine, diese Strategie ist naiv. Die Berliner Luft
ist bei Smoggefahr nur durch eine drastische Verschärfung
der Smogverordnung nachhaltig zu verbessern. Sie gestehen
selber ein, daß im Smogfall Verkehrsbeschränkungen eine
sehr wirkungsvolle Maßnahme zur Senkung der Schadstoff
belastung der Luft darstellen würden. Nur ziehen Sie daraus
keine Konsequenzen! Wir würden Sie unterstützen bei der
Durchsetzung Ihrer Meinung. Wagen Sie den Versuch, Herr
Senator, bei Alarmstufe 1 großflächige regionale Verkehrs
beschränkungen anzuordnen. Berlin könnte — ähnlich wie
beim Tausalzverbot — sich an die Spitze der Luftreinhalte-
bemühungen setzen.
[Beifall bei der SPD]
Lassen Sie mich bei diesem Punkt rügen, daß der in Zu
sammenhang mit dem Bau des Kraftwerks Reuter geforderte
und zugesagte Kraftwerks-Modernisierungs- und Still
legungsplan immer noch nicht von diesem Senat vorgelegt
worden ist. Ich halte das für skandalös. Ich fordere den
Senat von hier aus auf, unverzüglich diesen Plan vorzulegen.
[Beifall bei der SPD]
Herr Senator, am Inhalt dieser Vorlage wird das Engagement
des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz in die
ser Frage zu messen sein.
Aber dieser Senator ist nicht nur für den Umweltschutz
zuständig; er ist auch verantwortlich für den Denkmalschutz
und die Landschaftspflege sowie für das Wirken und Treiben
des Landeskonservators. Dieser Verantwortung ist der Sena
tor offensichtlich nicht gewachsen; die dabei auftretenden
Finanzierungsprobleme sind ihm über den Kopf gewachsen.
Wie sonst ist es zu erklären, daß der Senator den Auflagen
beschluß des Abgeordnetenhauses zum Haushaltsplan 1982
bis heute nicht erfüllen konnte; der Senator hat es nicht ver
mocht, innerhalb von neun Monaten seine Vorstellungen
über den Denkmalschutz und die Landschaftspflege auf einer
finanziell und konzeptionell gesicherten Grundlage darzu
legen. Der Hauptausschuß sah sich deshalb auch gezwungen,
einen Teil der Mittel des Landeskonservators zu sperren.
Aber der wichtigste Punkt, scheint mir, ist die Stadtent
wicklungsplanung. Es ist nicht erkennbar, daß dieser Senat
eine ressortübergreifende Stadtentwicklungsplanung be
treibt. Er versucht sich nur an Einzelfällen; er macht stück
weise Dinge in Rudow, in Heiligensee; er spricht von der
offenen Mitte, vom zentralen Bereich; Konflikte hierbei wer
den unter den Tisch gekehrt; es wird nichts koordiniert.
Diese Konzeptionslosigkeit macht uns Angst. Sie ist für uns
besorgniserregend, denn wir sind der Meinung — und das
haben Sie, Herr Dr. Mahlo, auch schon angedeutet —, für
Berlin ist es lebensnotwendig, zukunftsorientierte und exi
stenzsichernde Perspektiven aufzuzeigen. Sonst kommt diese
Stadt wegen ihrer Funktionsverluste, die sie in letzter Zeit
hinnehmen mußte, in große Gefahr. Ich nenne nur den Ver
lust der Hauptstadtfunktion, die Teilung der Stadt, die Ab
trennung vom Umland, den zunehmenden Verlust der tradi
tionellen Industrie und damit verbunden, wir haben gestern
und heute darüber gesprochen, der überdurchschnittliche
Abbau von Arbeitsplätzen und die unausgewogene Zusam
mensetzung der Bevölkerung.
All diese Funktionsverluste und Unnormalitäten können
dazu führen, daß die Stadt, wenn man dem nicht entgegen
steuert, in die Provinzialität absinkt, daß sie austrocknet. Wir
meinen, diese unsere Stadt darf ihre Stellung als Metropole
mit Weltstadtcharakter nicht verlieren. Berlin muß seine alte
Bedeutung als Industriestadt wiedergewinnen und seine
Stellung als Zentrum für Kultur, Wissenschaft und Forschung
ausbauen und festigen. Wir vermissen von diesem Senator
für Stadtentwicklung und Umweltschutz ein entsprechendes,
zukunftsorientiertes ressortübergreifendes Planungskonzept.
Das ist eine der vornehmsten Aufgaben dieses Senators!
Ich werde Ihnen in einigen Punkten die Vorstellung der (C)
SPD-Fraktion darlegen, wie wir uns diese Planung vor
stellen;
Erster Punkt: Die Bevölkerungsstruktur und darauf abge
stimmt die Bedarfsplanung. Herr Senator, die Bevölkerungs
entwicklung in Berlin wird weiterhin rückläufig sein; da kann
Ihr Kollege Fink noch so viel Prämien ausgeben. Die Stadt
entwicklungsplanung hat den Problemen Rechnung zu tra
gen, die sich daraus ergeben. Entscheidendes Gestaltungs
kriterium darf nicht das starre Festhalten an einer bestimm
ten Bevölkerungszahl sein, wie es Herrn Fink anscheinend
vorschwebt, sondern die Schaffung einer ausgewogenen Be
völkerungsstruktur. Wir meinen, die rückläufige Bevölke
rungsentwicklung in Berlin muß als eine Chance für die Ver
besserung der Wohn-, Lebens- und Freizeitqualität in einer
Stadt ohne Umland genutzt werden. Der Bedarf für Wohnen,
Verkehr, Erholung, Infrastruktur, Gewerbe und Industrie ist
daher entsprechend realistischen Prognosen zur Bevölke
rungsentwicklung neu einzuschätzen, um die knappen Res
sourcen optimal nutzen und Flächen für andere Zwecke um
widmen zu können. Wir vermissen hierfür Aussagen dieses
Senators.
Punkt zwei: Arbeitsplatzsicherung und Wirtschaftsförde
rung. Wir meinen, auch hier ist der Senator für Stadtentwick
lung und Umweltschutz gefordert. Denn für eine intensivierte
Industrie- und Gewerbeansiedlung müssen ausreichende
Flächen zur Verfügung gestellt werden, aber dabei gewinnen
immer mehr Kriterien der Umweltverträglichkeit, der Stadt
gestaltung und des sparsamen Haushaltens unter Nutzung
des Vorhandenen eine hohe Priorität. Wir meinen, unter die
sem Gesichtspunkt muß die bisherige Philosophie des relativ
undifferenzierten Vorhaltens von Reserveflächen überprüft
und korrigiert werden. Da werden Sie sicher in Konflikte mit
Herrn Pieroth kommen; ich sehe auch, daß die Industrie-
ansiedlung dadurch auf gar keinen Fall behindert werden
darf; aber diese Probleme müssen ausqeräumt werden.
(D)
Der dritte Punkt: Umwelt und Naturschutz. In der Umwelt
politik wird seitens der SPD der vorbeugenden Vermeidung
von Umweltschäden durch aktive Umwelterhaltung, Umwelt
planung und Umweltgestaltung hoher Vorrang eingeräumt.
Wir meinen, daher sind Luft, Wasser, Bodenpflanzen und
Tierwelt in ihrer natürlichen Zusammensetzung und Beschaf
fenheit zu erhalten, wiederherzustellen und zu pflegen. Die
ses umfassende politische Gestaltungsprinzip hat gegenüber
anderen im Naturschutz Vorrang. Unter Berücksichtigung der
Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege muß die
Entwicklung neuer Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrs
flächen dort ihre Grenzen finden, wo das vorhandene System
von Grün-, Wald- und Freiflächen schutzwürdig ist oder noch
einer Ergänzung bzw. weiteren Fortführung bedarf. Faule
Kompromisse können wir uns in Berlin wegen des einge
grenzten Stadtbereichs nicht mehr erlauben.
Punkt vier: Wohnen, Stadterneuerung, Konzentration auf
die Innenstadt. Hier vertreten wir immer noch den Stand
punkt, die Städtebau- und Wohnungspolitik Berlins konzen
triert sich auf die Innenstadt; Stadtreparatur und Substanz
erhaltung haben für uns Vorrang. Der Neubau von Wohnun
gen auf Baulücken in innerstädtischen Gebieten dient als
zentrales Element der städtebaulichen Gestaltung, das heißt
noch lange nicht, Herr Dr. Mahlo, daß alle Lücken zugebaut
werden dürfen. Der Wohnungsbau auf der grünen Wiese
muß für uns so gut wie abgeschlossen sein; in den Außen
bezirken kann es nur noch eine Füllung oder Schließung von
Baulücken geben.
Es gibt weitere Punkte, die man in diesem Zusammenhang
ansprechen müßte; das wären die soziale Infrastruktur, der
öffentliche Personennahverkehr unter Berücksichtigung der
S-Bahnplanung, das wären Erholungs- und Grünanlagen;
ich kann das alles wegen der fortgeschrittenen Zeit hier
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