Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
52. Sitzung vom 10. November 1983
Ueberhorst
damit nicht leben können, denn ich sage Ihnen noch ein
mal: Es geht hier in der Tat um wichtige energiepolitische
Fragen; es geht darum, ob wir im Hinblick auf diesen Kraft
werksbau auch hinreichend flexibel bleiben und die Block
größenprüfung nicht nur so eine rhetorische Veranstaltung
ist; wir müssen in der Lage sein, die Ergebnisse einer sol
chen Prüfung auch umzusetzen, und wir dürfen jetzt nichts
tun, was uns das verbaut; deshalb haben wir in unserem
Antrag dazu eine klare Forderung, nämlich den Umbau
dieses Kraftwerks auch praktisch möglich zu machen.
Wenn wir jetzt erleben, daß Sie nicht nur in der Energie
politik in bezug auf Reuter-West und die Modernisierungs
planung nicht weit genug gehen können, dann sage ich
ihnen noch einmal: Dies ist nicht nur eine schlechte Ener
giepolitik, sondern es ist auch eine Erfahrung, die uns
als Mitglieder dieses Abgeordnetenhauses, als Mitglieder
der derzeitigen Opposition Zweifel daran haben und im
mer mehr Zweifel gewinnen läßt, ob das dann überhaupt
ernst gemeint ist, wenn Sie hier oder auch der Regierende
Bürgermeister bei verschiedenen Anlässen betonen, daß
wir in wichtigen Fragen unserer Stadt fraktionsübergrei-
fend arbeiten und uns gemeinsam um Lösungen bemühen
wollen. Zu diesem Stil paßt es überhaupt nicht, wenn Sie
im Ausschuß einem Antrag zustimmen, danach aber wieder
davon runterspringen und kein Gespräch suchen mit der
anderen Fraktion. Das paßt nicht dazu und läßt deutlich
erkennen, daß Ihnen daran überhaupt nicht gelegen ist,
sondern daß Sie mit knappen Mehrheiten Anträge durch
pauken wollen, und das wird Sie noch ärgern; das wird Sie
ärgern, wenn Sie erleben müssen, daß Sie sich auf diese
knappen Mehrheiten vielleicht jetzt gerade stützen kön
nen, aber wenn es der F.D.P. anders gefällt, dann eben
nicht mehr stützen können. Insbesondere aber schadet
es der Energiepolitik, denn die Energiepolitik braucht
breite, tragfähige Mehrheiten über die Legislaturperioden
hinaus.
Ihr Antrag, den Sie jetzt hier zur Abstimmung stellen,
kann von uns nicht akzeptiert werden, weil er im Hinblick
auf die Zielsetzungen des Umweltschutzes, im Hinblick
auf die Zielsetzung der politischen Gestaltung im Bereich
der Modernisierung der Kraftwerke hinter das zurückfälll,
was parlamentarisch geboten ist.
Dem Antrag der AL-Fraktion muß man attestieren, daß
die AL-Fraktion sehr viel aus der interfraktionellen Dis
kussion, aus der öffentlichen wie wissenschaftlichen Dis
kussion aufgenommen hat. Es ist in der Tat völlig richtig,
darauf hinzuweisen, daß man nicht nur bei gleicher Ge
samtkapazität die Frage der Blockgrößen prüfen muß,
sondern natürlich auch bei geringerer Gesamtkapazität,
was für manchen eine technische Frage zu sein scheint,
aber es ist eine sehr wichtige politische Frage. Natürlich
ist es auch richtig, die Alternativen in der ganzen Breite
zu untersuchen.
Ich fasse zusammen: Den SPD-Antrag haben wir hier
gestellt — und bitten nochmals um Ihre Zustimmung — er
stens, weil es uns darauf ankommt, in der Dimension der
neu mit Reuter-West gebauten Kapazität wirklich ersatzlos
stillzulegen; interessanterweise fehlt auch dieses Wort
„ersatzlos“ in Ihrem Antrag, und das ist deshalb wichtig,
weil wir ja immer wieder gehört haben, daß man sich unter
„Stillegung“ jedenfalls als Bewag auch etwas vorstellen
kann, was wohl eher ein Neubau ist. — Zweitens: Wir wol
len die Fragen der Blockgrößen geprüft sehen, und so
lange dies geprüft wird, wollen wir auch sehen, daß der
Senat dies ernsthaft betreibt und gegebenenfalls auch
eine Umplanung realisieren kann. Es ist schon ein Skandal,
daß diese Frage immer noch geprüft wird und ohne Ant
worten im Raume steht, denn der vorhin angesprochene
Koalitionspartner F.D.P. in dem SPD/F.D.P.-Senat hatte
schon im März 1981 gesagt — also Herr Brunner —, daß
es selbstverständlich auch ein Gebot planerischer Ratio
nalität wäre, neben dem Bau des Kraftwerks Reuter-West
auch eine Alternative Modernisierungsplanung zu über- (C)
denken und vorzutragen. Ungefähr ein Jahr später hatte
ich den Senat gefragt; Welche Gutachten sind dem Senat
bekannt, durch die die Entwicklung der Schwefeldioxid
emissionen der Bewag-Kraftwerke im Vergleich zwischen
Kapazitätserweiterung durch Modernisierung alter Anla
gen bzw. Zubau des Kraftwerks Reuter-West aufgezeigt
wird? — Und die Antwort des Senats war — das muß man
sich einmal vorstellen —: Dem Senat sind über das eine
Gutachten hinaus, das im Bereich der Bürgerinitiativen er
stellt worden ist, keine Gutachten bekannt, durch die die
Entwicklung der Schwefeldioxidemissionen der Bewag-
Kraftwerke im Vergleich zwischen Kapazitätserweiterung
durch Modernisierung alter Anlagen bzw. Zubau des Kraft
werks Reuter-West aufgezeigt wird. Der Senat hat auch
keine eigenen Arbeiten zu diesem Thema erstellt bzw. in
Auftrag gegeben — teilte der Senat mit; immerhin, das war
im Jahre 1982, im Januar war die Frage eingegangen.
Dann darf ich Sie noch einmal daran erinnern: Hier geht
es eben nicht um Energiepolitik als eine Fachpolitik, son
dern Sie müssen auch erwarten, daß der Bürger ein be
gründetes Vorgehen bei ihnen erkennt, und wenn das
nicht der Fall ist, haben Sie eben nicht nur eine Krise der
Energiepolitik, sondern auch — und hier nehme ich das
Wort von Herrn Brunner auf — eine Rationalitätskrise in
Ihrer Politik.
Wir haben — drittens — unterstrichen, daß es sinnvoll
wäre, die intakte und arbeitsfähige und vor allen Dingen
auch mit bestimmten Kompetenzen ausgestattete Enquete-
Kommission diese wichtige Frage der Modernisierungs
planung behandeln zu lassen, und daß es natürlich auch
sinnvoll wäre, Planungsalternativen auf den Tisch zu be
kommen. Ich bitte noch einmal den Senat bzw. die Senats
fraktionen, vorzutragen, wie in dem Zusammenhang die
heutige Mitteilung der Bewag zu verstehen ist und wie (D)
Ihr Antrag zu verstehen ist, wenn Sie sagen, Sie wollten
annähernd in der Dimension von Reuter-West stillegen,
wenn es hier heißt, 308 Megawatt sollten stillgelegt wer
den. Da gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder
wollen Sie die Blockgröße verringern auf zweimal 150 Me
gawatt, dann paßt das ungefähr mit 308, oder aber Sie
wollen 600 Megawatt bauen, 308 stillegen und nennen das
„annähernd“. Das ist aber nun wirklich sehr, sehr wenig
annähernd. Diese Logik können Sie einer aufgeklärten
Öffentlichkeit nun weiß Gott nicht mehr verkaufen.
[Beifall bei der SPD]
Ich habe Ihnen vorgetragen, was wir dazu zu sagen ha
ben, und wir dürfen auch erwarten, daß Sie hier abstim
men werden, wie Sie es sich vorgenommen haben. Sie
dürfen aber erwarten, daß wir gelernt haben, daß der Ver
such einer gemeinsamen Erarbeitung und Weiterentwick
lung der Berliner Energiepolitik derzeit mit Ihnen nicht
möglich ist.
[Beifall bei der SPD]
Präsident Rebsch: Das Wort hat der Abgeordnete Freu
denthal.
Freudenthal (AL): Meine Damen und Herren! Wenn Sie
heute morgen oder in den vergangenen Tagen nicht nur
Auto gefahren sind, sondern auch einmal Ihre Nase in die
Luft gehalten haben, dann werden Sie wissen, wie
schlimm die Situation mit der Luftbelastung in Berlin ist,
dann werden Sie wissen, wie dringlich die Sanierung der
Altanlagen der Bewag ist, dann werden Sie wissen, daß
das alles viel schneller gehen muß, als es von der Bewag
geplant und von Ihnen offenbar abgesegnet ist. Das alles
muß nicht nur schneller, sondern vor allem in einem viel
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