Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
2. Sitzung vom 25. Juni 1981
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Wagner
(A) AEG-Produktion in den letzten Jahren geschont worden ist.
Daran ändert auch nichts die Entscheidung, nunmehr die
Video-Produktion hier in Berlin aufzubauen, die wir im übri
gen ausdrücklich begrüßen. Aber der Zeitpunkt der Produk
tionsaufnahme wird Schwierigkeiten bereiten, und der Senat
hat an dieser Stelle einen Bewährungsauftrag, denn es ist
noch lange nicht sicher, daß die angekündigte Zahl der
500 oder, wie gesagt wurde, in der Spitze 800 Menschen
auch bis zur Produktionsaufnahme beschäftigt wird. Mir
scheint jedenfalls, daß es ein Loch zwischen der Produk
tionseinstellung in der Schwedenstraße zum Ende des Jahres
und der wahrscheinlichen Aufnahme der Produktion im
Herbst 1982 in Lübars geben wird.
Ich wiederhole: Der Vorgang bei AEG ist nicht isoliert zu
sehen. Der letzte DIW-Wochenbericht verdeutlichte dies
noch einmal. Danach sind in den ersten Monaten des Jahres
1981 bei den Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes
keine stabilisierenden Tendenzen festzustellen. Das DIW
sagt aus, daß die Beschäftigtenzahl des verarbeitenden Ge
werbes in Berlin sich in den ersten vier Monaten um 2,2 %
verringert hat. Dagegen betrug die Abnahme im Bundes
gebiet nur 1,5 %, obwohl die allgemeinen Faktoren des
Wirtschaftsgeschehens in Berlin zur Zeit günstiger einge
schätzt werden. Das verdeutlicht nur eines: Die Mechanis
men der Berlinförderung taugen nur bedingt. Sie haben auf
jeden Fall den Abbau von Arbeitsplätzen in Berlin nicht
verhindert, und wenn nicht sogar — und diese Meinung wird
heute auch glaubhaft vertreten — beschleunigt. Darum ist es
höchste Zeit, das Berlinförderungsgesetz zu überarbeiten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert dies seit Jahren;
er fordert seit Jahren eine Bindung der Berlinförderung an
die Schaffung neuer bzw. an den Erhalt vorhandener Arbeits
plätze.
[Beifall bei der SPD]
Auch nach Auffassung Ihrer Partei, Herr Wirtschaftssenator,
müssen in den nächsten Jahren etwa 20 000 neue Arbeits
plätze geschaffen werden, wenn die Leistungs- und Lebens-
(B) fähigkeit unserer Stadt erhalten und verbessert werden soll.
Wie Sie das allerdings bewerkstelligen wollen, ohne das
Instrumentarium der Berlinförderung grundsätzlich zu ver
ändern, müssen Sie uns noch erklären. Ihre im Wahlkampf
geäußerte Auffassung, die Forderung der Gewerkschaft nach
der Bindung der Präferenzen an die Schaffung bzw. Erhal
tung von Arbeitsplätzen sei „ökonomischer Unsinn“, läßt
fürchten, daß Sie nicht mit der notwendigen Aufgeschlossen
heit an diese Frage herangehen. Ich hoffe, wir täuschen uns
da.
Sie haben heute hier gesagt, Herr Senator, daß Sie nach
Vorlage des DIW-Gutachtens — wenn ich richtig informiert
bin, ist damit in der nächsten Woche zu rechnen — in die
Diskussion über die Berlinförderung zu diesem Thema ein-
treten werden.
Namens meiner Fraktion begrüße ich das ausdrücklich, und
ich unterstreiche auch, was Sie sagten, daß es dabei nicht
allein um die Quantität von Arbeitsplätzen gehen kann, son
dern sehr wohl die Frage der Qualität gleichrangig zu
sehen ist.
[Landowsky (CDU): Richtig!]
Letztendlich muß es bei dieser Frage darum gehen: Arbeits
plätze für alle, die arbeiten wollen und damit auch arbeiten
sollen!
Wir stehen in der Verantwortung der Arbeitnehmer Ber
lins. Die Zahl der hier angebotenen Arbeitsplätze der ge
werblichen Wirtschaft ist letztendlich mit entscheidend für
die weitere Entwicklung dieser Stadt und für das Wohl
ergehen ihrer Menschen. Darum haben die Sozialdemokraten
bereits vor der Wahl ausgesagt, sie werden sich darum be
mühen, das Berlinförderungsgesetz zu verändern. Wir be
dauern es, von Ihnen — meine Damen und Herren von der
CDU, von Ihnen, Herr Feilcke — hier in dieser Richtung bis
lang nichts Vernünftiges gehört zu haben.
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Jetzt hat der Abgeordnete
Professor Dr. Kunze das Wort.
Dr. Kunze (F.D.P.); Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die von Entlassungen bedrohten Arbeitnehmer im .
Werk in der Schwedenstraße sind ja nicht von einem un- |-
abwendbaren Schicksal betroffen, sondern — das ist aus j’
meiner Sicht Grundlage einer kritischen Diskussion — es
geht dabei um die Entscheidungen und um die Folgen frü-1
herer Entscheidungen von Unternehmensleitungen. Eine
kritische und sachgerechte Diskussion dieser Probleme l
kommt allerdings nicht daran vorbei, einige ökonomische .
Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, denn wenn man sich in 91
Illusionen flüchtet über ganz einfache ökonomische Möglich- i i
keiten, dann wird man Probleme überhaupt nicht lösen kön- I
nen, Z. B. ist es selbstverständlich eine ökonomische Tat- J:
Sache, daß eine Fortsetzung der Produktion, die gegenwärtig
in der Schwedenstraße durchgeführt wird, ökonomisch nicht f i
möglich, nicht vertretbar ist. Man sich also nicht einfach hin-
stellen und sagen kann, die sollen gefälligst weiterprodu- i
zieren, und damit ein Konzept anzubieten meint, wie man j:
Entlassungen vermeidet.
Insoweit ist die aktuelle Entscheidung der Unternehmens
leitung, diese Produktion nicht fortzuführen, unvermeidbar.
Die Kritik an diesem Vorgang muß an der richtigen, anjl
einer anderen Stelle ansetzen. Genauso, wie es bei der Ein- i
Stellung der Fernsehgeräte-Produktion bei Loewe-Opta der A
Fall war, ist auch hier festzustellen: Die Unmöglichkeit, die f
Rundfunkgeräte-Produktion ökonomisch vertretbar am Stand- : I
ort Berlin auf Dauer fortzusetzen, war schon seit Jahren I
absehbar. Das ist also nicht einfach im letzten halben Jahr;:
über die Firma gekommen — als neue Einsicht. Es war schon : (
lange klar, daß der gesamte Produktionsstandort Bundes-; ;
republik Deutschland für eine solche Produktion nicht mehr I
vernünftig zur Verfügung stehen kann. Und die eigentliche
Kritik muß sich gegen frühere Unternehmensleitungen rich
ten, die es an Voraussicht haben fehlen lassen und die un !
fähig waren, rechtzeitig vernünftige neue und zukunftsträch
tige Produktionen an diesem Standort — und nicht irgend
wo — und mit diesen Arbeitnehmern — und nicht mit irgend
jemandem — aufzubauen und zu entwickeln.
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[Einzelner Beifall bei der CDU]
Das Schlimme ist — das ist leider nur ein Management-
Fehler unter vielen, was den gesamten AEG-Konzern be
trifft —, mir fällt in diesem Zusammenhang allerdings auch
auf, daß die Sozialpläne für diese Manager, die sehr schwer
wiegende Fehlentscheidungen getroffen haben, deren Aus
Wirkungen erst heute richtig zutage treten, immer noch un
vergleichlich gut dotiert worden sind — im Verhältnis zu
denen, die jetzt als Arbeitnehmer die Folgen solcher Fehl
entscheidungen auszubaden haben.
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Ich finde, es gibt auch einen weiteren Gesichtspunkt, de s
hier erneut zu unterstreichen ist. Die abgewanderten Vor-jjl
stände der Großunternehmen in Berlin — das gilt für alle 4|t
haben — wie die Tatsachen es ausweisen — für den ver-'js
bliebenen Produktionsstandort Berlin in der Vergangenhei}|f
und bis heute immer nur erschreckend wenig Sorgfalt unc|s
Pflege übrig gehabt. Ich meine, wenn der AEG-Vorstand i||e
all den Jahren seinen Sitz in Berlin gehabt hätte, wäre ei |c
ganz selbstverständlich gewesen, daß man frühzeitig ökono Jf
misch machbare Möglichkeiten für eine andere Produktiorjz
an diesem Standort, mit diesen Arbeitnehmern in die Weg; jji
geleitet hätte. Dieses ist u. a. auch deswegen versäumt woi Ic
den, weil die Entscheidungen in den Unternehmen eine zi jf
große Berlinferne in diesen Jahren entwickelt haben, und ei Je
ist und bleibt eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik, dort ein; |r
Umkehr, jedenfalls in der Richtung, zu erzielen, wenngleid |l.
dort spektakuläre Erfolge nicht zu erwarten sind. Wir habe: |e
auch an diesem Platz die damalige Schließung der Spinni |£
in Zehlendorf diskutieren müssen. Damals haben wir zi|
Recht gemeinsam die Forderung an den Großkonzen
Hoechst gestellt, daß er eine andere Produktion seines Kon
zerns in Berlin aufbauen soll, und wir haben ihm gemeinsam |u
gesagt: Es ist diesem gesunden Großkonzern Hoechst zu
mutbar, weil er das zunächst versäumt hat, bis eine neu;
Produktion anläuft, die auftretenden finanziellen Verluste