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Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
(A)
(B)
Präsident Rebsch: Zur Beantwortung Herr Senator Dr.
Hassemer!
Dr. Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
Geschichte der Chemikalienfirma Ferak muß man zwei Pha
sen unterscheiden. Bis 1979 produzierte die Firma Ferak
Thiophosgen. Das ist ein Kampfstoff aus dem 1. Weltkrieg.
Das Ende dieser Produktion wurde damals durch behörd
liche Anordnungen erreicht. Die Aktivitäten der Behörden
ergingen auf Grund von Hinweisen aus der Bevölkerung.
Die Firma Ferak verstieß damals auch gegen Vorschriften
über die Lagerung von Abfallstoffen aus dieser Thiophos-
gen-Herstellung, indem sie die gefährlichen Abfallstoffe in
ungeeigneten Metallfässern unter freiem Himmel und auf
unbefestigtem Boden lagerte.
Bis Anfang 1980 stellte die Firma Ferak außerdem auch
Bromcyan her, auch ein Kampfstoff aus dem 1. Weltkrieg.
Die Abwässer aus dem dafür benutzten Produktionsraum
wurden über ein Regenfallrohr in die Entwässerung geleitet,
die in den Teltowkanal führte. Danach wurde der Teltow
kanal im Jahre 1980 durch cyanidhaltige Abwässer ver
unreinigt.
Dieser Sachverhalt der ersten Phase ist Gegenstand der
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom Dezember 1981.
Man muß hiervon die zweite Phase unterscheiden: Bei einer
Besichtigung der drei Neuköllner Betriebsniederlassungen
der Firma Ferak am 15. Dezember 1981 durch das Bezirks
amt und die Senatverwaltung für Stadtentwicklung und Um
weltschutz wurden in dem Chemikalienlager in der Lahn
straße rd. 2,5 Tonnen PCM und in der Friedrichsbrunner
Straße 250 Gramm Thiophosgen entdeckt. Die am 1. Februar
1982 erfolgte Beschlagnahme dieser Stoffe erging auf An
ordnung der Staatsanwaltschaft zu Beweiszwecken wegen
eines möglichen Verstoßes gegen das Kontrollratsgesetz
Nr. 43.
Um jetzt insbesondere auf die Fragen von Herrn Dr.
Jänicke einzugehen: Ich meine, daß gerade im Fall des
Thiophosgens erkannt werden kann, daß durch Maßnahmen
der Behörden schließlich die Produktion eingestellt wurde.
Ich meine darüber hinaus, daß in Berlin die Besonderheit
des Kontrollratsgesetzes Gewähr dafür bietet, daß hier mit
besonderer Sorgfalt darauf geachtet wird, daß keine für die
Bevölkerung problematischen Stoffe hergestellt werden.
Auf die Fragen, wie derartige Probleme in der Zukunft
zuverlässig ausgeschlossen werden können, muß ich darauf
hinweisen, daß Probleme in Zusammenhang mit der Herstel
lung und Umfüllung von Chemikalien für alle Fälle und für
alle Zukunft nicht absolut ausgeschlossen werden können.
Allein die Firma Ferak bietet in ihrem Sortiment rd. 40 000
Stoffe an, allein auf diesem Gelände lagern Tausende von
Chemikalien. Als Konsequenz kann man nur ziehen, daß die
jenigen Vorkehrungen getroffen werden müssen, die die
Gefahren aus solcher chemischen Produktion möglichst
stark mindern. Ich möchte dafür drei Arten von Konseqenzen
andeuten:
1. Es wird in erster Linie auf die gewerberechtliche Zuver
lässigkeit der Betreiber ankommen. Die Verantwortung
gerade solcher Betreiber ist außerordentlich groß.
2. Es wird darauf ankommen, daß bei Verstößen entschie
dene Maßnahmen ergriffen werden. In diesem Zusammen
hang muß man — im Kontakt mit dem Problem der Firma
Ferak — besonders auf die Aktivitäten der Staatsanwalt
schaft hinweisen, die sicher Wichtiges und Sinnvolles in
diesem Fall unternommen hat.
3. Der Senat bekennt sich dazu, daß eine bessere Zuord
nung der zuständigen Behörden sein Ziel sein muß. Diese
bessere Zuordnung soll erreichen, daß nicht nur regelmäßig,
sondern auch abgestimmt überwacht wird, daß jede Informa
tion verwertet und daß das Notwendige schnell umgesetzt
und in die Praxis gebracht werden kann.
Wir bekennen uns zu dieser Aufgabe, können aber Ergeb
nisse unserer Bemühungen heute noch nicht vorlegen.
Präsident Rebsch: Das Wort für eine Zusatzfrage hat Herr
Professor Dr. Jänicke.
16. Sitzung vom 11. Februar i
bgei
Dr. Jänicke (AL): Herr Senator, Sie haben versucht,
mit dem Hinweis auf die fürsorgliche Rolle der Behörde:
zu beruhigen. Ich frage Sie: Warum wurden nicht bereit: !tS '
Maßnahmen im Jahre 1980 ergriffen, und wie beurteilt de:
Senat überhaupt die Zuverlässigkeit einer Kontrollbehörde
die sogar bei Kontrollgängen diese Mißstände übersehe:
hat? Und wie beurteilt der Senat die Tatsache, daß Journj
listen und aktive Bürger diese Mißstände aufgedeckt haben
und aufdecken mußten?
Präsident Rebsch: Zur Beantwortung hat Herr Senator D
Hassemer das Wort.
IPrä
Dr. Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt 1,
schütz: Herr Professor Jänicke! Ich muß darauf hinweisen
daß für das Jahr 1980 — deswegen habe ich die Vorgänger
zwei Phasen unterteilt — die Behörden davon ausgehe:
konnten und auch noch heute davon ausgehen können, dal |
die Produktion dieser Kampfstoffe eingestellt war.
Zweitens muß ich darauf hinweisen, daß die Aufdeckun: i
der Einzelheiten in der Tat den Mitarbeitern der zuständige:
Behörden zu verdanken ist.
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Was die anwohnenden Bürger dazu beigetragen habet
waren Hinweise im Jahre 1980 auf mögliche Gefahren, dii
Geruchsbelästigungen betrafen.
Präsident Rebsch: Zu einer Zusatzfrage - der Abgeord :
nete Swinne!
Swinne (F.D.P.): Herr Senator! Wie wird künftig sichet J
gestellt, daß eine illegale Einleitung in die Kanalisation ode
in offene Gewässer wie dem Teltowkanal durch Chemie
firmen nicht passiert? Hält der Senat die Installierung ent
sprechender Kontrollmeßgeräte für angebracht und wün
sehenswert?
Präsident Rebsch: Zur Beantwortung — Herr Dr. Hassemer
Dr. Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schütz: Herr Abgeordneter Swinne, wir sind der Auffassung
daß wir über die Gewässer-Gütemessung hinaus gerade be
solchen Anlagen nur weiterkommen, wenn wir abgestimm
und sorgfältig die Anlagen selbst überprüfen. Auch dabe
muß ich darauf hinweisen, daß die Erkenntnis, daß Gifte ir
den Teltowkanal eingeleitet wurden, sich nicht etwa aus de;
Wasser-Gütemessung, sondern aus Oberprüfungsmaßnah-
men der Wasserbehörde ergab. Die Wasserbehörde hat be;
ihren Oberprüfungsmaßnahmen — damals zwar aufmerksam!
gemacht durch die Umweltbehörde — erkannt, daß über
Regenwasserkanal unsachgemäß Schmutzwasser aus Reini-
gungsvqrgängen in den Teltowkanal abgeleitet wurden. Aud
diese Überprüfungen der einzelnen Anlagen muß künftig
forciert koordiniert werden.
[Prä;
:hol;
Präsident Rebsch: Zu einer Zusatzfrage — der Abgeord-
nete Städing!
Sr zu
Städing (SPD): Herr Senator, können Sie schon heuteii
darüber Auskunft geben, ob Ihnen bekannt ist, daß chemi
sche Endprodukte dieser Firma bewußt unter falscher 1|
Namen verkauft und versandt wurden, um die Gefährlichkeil
dieser Stoffe zu verschleiern?
[Zuruf von der CDU: Woher wissen Sie denn das?]
Präsident Rebsch; Herr Senator!
Dr. Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Herr Städing, es tut mir leid, daß mir hierzu keine
Erkenntnisse vorliegen. Ich kann aber hinzufügen, daß uns
solche zusätzlichen Hinweise sehr nützen können.
[Beifall bei der CDU]