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Volume Nr. 14, 22. Januar 1982

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1981/82, 9. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
14. Sitzung vom 22. Januar tsb; 
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Feilcke 
(A) Lassen Sie mich also zum Abschluß folgendes sagen; Wir müs 
sen bei der Behandlung des sehr ernsten Themas Arbeitslosig 
keit beide Dimensionen gleichzeitig sehen: wir müssen auf der 
einen Seite alles tun, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu 
bringen, auf der anderen Seite müssen wir auch gezielte Maß 
nahmen für jeden einzelnen Fall ergreifen. - Vielen Dank! 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Stellv. Präsident Franke: Nächster Redner ist der Abgeordne 
te Wagner. 
Wagner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Diese außerordentlich sachliche Debatte war von einem Ausfall 
gekennzeichnet, den ich nicht aufgreifen möchte. Herr Dr. Neu 
ling, wir wollten über Arbeitslose reden und nicht über den Intelli 
genzquotienten irgendeines Abgeordneten. 
[Zurufe von der CDU: Das müssen Sie mal Momper sagen! - 
Wohlrabe (CDU): „Moppel“ vergreift sich immer!] 
Das ist so unpassend wie nur irgend etwas. Aber ich muß es ja 
Ihnen überlassen, den Stil zu wählen, den Sie hier vorzeigen. 
Der DGB kann froh sein über die heutige Debatte vier Tage vor 
seiner Kundgebung. Diese Kundgebung war ein Anstoß für das 
Parlament, hier diese Debatte durchzuführen. Das ist gut. Wir 
werden uns noch lange mit dem Problem beschäftigen müssen. 
Nach allem, was wir hören, von allen Seiten, aus Bonn und aus 
Berlin, ist die Hoffnung auf eine schnelle Lösung wohl kaum ge 
geben. Aber, Herr Senator Fink, ich würde Politikern den Rat ge 
ben, die Fragen derTarifautonomie-auch in Zusammenhang mit 
Arbeitslosigkeit - sehr sorgfältig zu behandeln und vor allem sehr 
zurückhaltend. 
[Beifall bei der SPD - Sund (SPD): Sehr wahr!] 
Ich finde, die Tarifparteien haben in all den Jahren bis heute 
ein hohes Maß an Verantwortung gezeigt und haben Tarifab- 
schlüsse gemacht, die die Wirtschaftskraft dieses Landes in der 
Regel gestärkt und überhaupt erst den Wohlstand in diesem Lan 
de in dieser Ausgewogenheit mit hergestellt haben, 
[Beifall bei der SPD] 
Ich halte es für wenig aussichtsreich, eine Lohnpause einlegen 
zu wollen, und damit den Lohn nur als Kostenfaktor zu sehen; er 
muß auch in Zusammenhang mit Nachfrage gesehen werden, mit 
Nachfrage, die so dringend notwendig ist, wenn es gelingen soll, 
die Arbeitslosigkeit in diesem Lande zu beseitigen und der Kon 
junktur wieder Dampf zu geben. 
ln der Tat, Herr Fink, sind Arbeitszeitverkürzungen notwendig, 
langfristig sogar sehr notwendig. Es wird sich heraussteilen, ob 
der bessere Weg über Wochenarbeitszeitverkürzungen oder Le 
bensarbeitszeitverkürzungen oder über beides führt. Job-sharing 
aber ist keine Arbeitszeitverkürzung, ist bestenfalls die Auftei 
lung vorhandener Arbeit. Es könnte unter Umständen sogar zur 
Zeit Nichttätige auffordern, tätig zu werden. Damit würde sich die 
Nachfrage nach Arbeit nur vermehren. 
[Zurufe; Warum?] 
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Fink, daß Sie hier offiziell mit dem 
Märchen aufgeräumt haben, in Berlin sei der Krankenstand höher 
als anderswo. Lange Jahre hat Ihre Fraktion das Gegenteil be 
hauptet, 
[Landowsky (CDU): Ist eben alles besser geworden!] 
In letzter Zeit, meine Damen und Herren, wurde von vielen Seiten 
die Kopflastigkeit des öffentlichen Dienstes gegenüber der Pro 
duktion, der gewerblichen Wirtschaft beklagt. Das ist doch aber 
kein Naturereignis. Das ist doch die Folge des Verhaltens der 
Unternehmer in Deutschland, die hier in diesem Lande eben nicht 
genug Industrie angesiedelt haben, die hierzulande nicht genug 
produzieren und damit das Übergewicht des öffentlichen Dien 
stes überhaupt erst ausgelöst haben. 
[Beifall bei der SPD] 
Ich finde, es ist zu begrüßen, was der Senat heute hier in Teilen 
vorgetragen hat. Ich begrüße die beschleunigte Auftragsvergabe 
Ich begrüße es, daß ein Beschäftigungsprogramm vorbereitet 
werden soll für den Fall des Startzeichens aus Bonn. Ich stimme 
Ihnen auch zu, Herr Pieroth, daß wir mehr Arbeitsplätze in der p r j. 
vaten Wirtschaft brauchen. Aber wo bleiben diese Betriebsam 
Siedlungen? Wo bleiben diese Arbeitsplätze? Wo sind hier Hoff 
nungen, daß es in der deutschen Industrie eine Umstimmung 
gibt, die Berlin als Produktionsorl, als Forschungsort, als Verwal 
tungsort wiederentdeckt? Ich werfe Ihnen ja nicht vor, daß Sie be 
schleunigt durch öffentliche Auftragsvergabe der Ausweitung dei 
Arbeitslosigkeit entgegenwirken wollen, daß ist ja genau die Poli 
tik, die wir fordern, die wir auch meinen, aber das ist keine Dauer 
lösung. Die Dauerlösung kann nur in der Veränderung der An 
siedlungspolitik liegen, 
[Glocke des Präsidenten] 
in der Ansiedlung von Industrieunternehmen. Dazu, meine Da 
men und Herren, habe ich allerdings von diesem Senat noch 
nichts überzeugendes gehört. 
[Beifall bei der SPD] 
Stellv. Präsident Franke: Nächster Redner, Herr Abgeordneter 
Dr. Jänicke! 
Dr. Jänicke (AL): Lieber Herr Kollege Feilcke, Sie meinen, daß 
eine ökologische Argumentation, wie ich sie hier angedeutet 
habe, Arbeitsplätze vernichtet. 
[Feilcke (CDU): Kann!] 
Sie haben nicht beachtet, daß ich ganz bewußt nicht von Umwelt 
schutz gesprochen habe, sondern von Verringerung des Mate 
rialverbrauchs, Verringerung des Energieverbrauchs, von einer 
Verbesserung der Kostenstruktur der Berliner Industrie. Ich be 
haupte, auch nach Kenntnisnahme des japanischen Beispiels 
„vor Ort“, daß die Vernachlässigung just dieses Typs von Investi 
tionen ganz wesentlich daran Schuld ist, daß wir heute da stehen, 
wo wir stehen. 
Es geht also nicht um einen unproduktiven Umweltschutz. Wo 
bei man immer noch fragen muß: Ist der sekundäre Umwelt 
schutz, der mit Senkundärtechnologien arbeitet, der einen Filter 
draufsetzt und eine Kläranlage dazu baut, nicht auch arbeits- 
plalzschaffend? Selbst zu dessen Gunsten wird man noch sagen 
können, daß er auf der anderen Seite schließlich Schadenskosten i 
verringert. Wenn Sie diesen Smog, diese fürchterliche Luft hierin 
Berlin abschaffen würden, dann würden Sie Schadenskosten er 
heblichen Ausmaßes senken, Sie würden die Attraktivität der 
Berliner Wirtschaft auch dahingehend verbessern, daß hier nicht 
mehr wegen des hohen Krankenstandes nicht investiert wird 
Ganz abgesehen vom schlimmen Stadtimage, das sich insoweit; 
ergibt. Wie auch immer Sie es also drehen und wenden, eine mu 
tigere Politik in dieser Richtung, eine strukturpolitische Orientie 
rung kann ganz sicher nicht schaden. 
Zum Stichwort „Reuter West“: Der Punkt ist doch nicht, daß die 
Bürgerinitiativen und die Alternative Liste moderne Kohlekrafl- 
werke mit Entschwefelungsanlagen ablehnen. Darum geht es 
hier gar nicht. Wenn gesagt wird. „Reuter West“ ist ein Beitrag 
zum Umweltschutz, dann ist zunächst einmal der Haupteinwand 
dagegen; Wir brauchen jetzt eine verbesserte UmweltsituatioM 
und nicht irgendwann in sechs Jahren. Wir bezweifeln ferner, daß 
dieses Kraftwerk diese Verbesserung bringt, weil es eine weitere 
Überkapazität schafft. Wir haben doch auch jetzt, im Januar 
1982, 42% zuviel Kraftwerkskapazität - über der höchsten Spit- : 
zenbelastung. Auch jetzt noch! Vor zwei Jahren sollten schon diel 
Lichter ausgehen; und jetzt haben wir immer noch die Ver-; 
schwendung. Und wir haben auch die entsprechenden Strom 
preise, die damit Zusammenhängen, daß zu wenig Strom verkauft | 
wird. Wir sagen, daß der umweltpolitische Effekt, der da behaup 
tet wird, nicht eintreten wird. Die Überkapazität soll doch verkauft 
werden; man wird also wiederum Betriebe ansiedeln, auf der Li 
nie der Berlinförderung, die viel Strom verbrauchen, die viel 
Energie verbrauchen, die viel Material verbrauchen, die also die 
Umwelt noch weiter belasten. Das wird also keine Verbesserung
	        
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