Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
10. Sitzung vom 12. November isbi ab
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Sen Wronski
eine nützliche Basis für jeweils aktuelle Diskussionen sein. Wenn
gleich auch die Ausführlichkeit der Antwort die Bemühungen
unseres Ältestenrats fördern dürfte, die Form der Behandlung
Großer Anfragen zu straffen oder gar auf neue Formen zu kommen.
[Heiterkeit und Beifall]
Dies war aber nicht die Absicht meines Vortrags, diese wünschens
werten Bestrebungen zu fördern. Wenn es ein Nebeneffekt gewe
sen sein sollte, um so besser.
Die Absicht meines Hauses war es in der Tat, Ihnen pflichtgemäß
auf gestellte Fragen sorgfältige Antworten zu geben. Ich möchte zu
rückkommen auf meine Eingangsworte, wie ich, wie dieser Senat
Arbeitsmarktpolitik sieht, nämlich immer im Zusammenhang und
vor dem Hintergrund von Wirtschaftspolitik. Deshalb fasse ich kurz
wie folgt zusammen.
[Gelächter des Abg. Baetge (F.D.P.) - Heiterkeit]
- Es sind wirklich nur vier Sätze!
Erste Bemerkung: Arbeitsmarktpolitik ist keine abgrenzbare Spe
zialsparte, sondern untrennbar mit Wirtschaftspolitik, genauer: mit
dem Wohl und Wehe der Wirtschaft selbst, verbunden.
Zweite Feststellung: Die Gesamtsituation unserer deutschen
Wirtschaft wird von allen politischen Kräften übereinstimmend als
schlecht bezeichnet. Gesellschaftlicher Sprengstoff ist offensicht
lich.
Dritte Feststellung: Die Reaktion der öffentlichen Hände, insbe
sondere der Bundesregierung, zeigt deutlich genug die derzeit be
grenzten Einflußmöglichkeiten des Staates - das gilt auch für den
Berliner Senat - auf Investitionsanstöße und Arbeitsplätze.
Schließlich meine vierte Feststellung: Umso dringlicher - nun
schwenke ich völlig in den Bereich der Wirtschaftlichkeit über - ist
es, das in Deutschland nach wie vor vorhandene „private“ Investi
tionspotential endlich durch Beseitigung bestehender politischer
Hemmnisse freizusetzen. Die unmittelbare positive Reaktion auf
den Arbeitsmarkt würde dann sehr schnell entlastend spürbar wer
den. - Jeder weiß, woran ich denke. Die Form meines Ausdrucks,
die moderate Art soll den sachlichen Grundkonsens in diesem
Hause unterstreichen. Ich hoffe darauf, daß die Diskussion in
diesem Grundkonsens geführt wird. - Schönen Dank für Ihre Auf
merksamkeit!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Stellv. Präsident Franke: Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, daß ich nunmehr die Besprechung eröffnen kann. Das Wort
hat der Abgeordnete Wagner für die SPD-Fraktion.
Wagner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Senator! Ich möchte mit einer Übereinstimmung anfangen. Ich
stimme mit Ihnen überein, daß Sie uns eine sehr ausführliche Dar
stellung gegeben haben. Ich denke auch, daß wir bei der sachlichen
Art bleiben sollten. Das Thema ist ernst genug. Ich will eine weitere
Übereinstimmung an den Anfang stellen, nämlich die, daß auch wir
der Meinung sind, daß Arbeitsplatzfragen, Arbeitsmarktfragen ein
Teil der Diskussion über Wirtschaft sind; über Wirtschaften. Was
mich an einigen Ihrer Ausführungen ein bißchen verwunderte, war
die starke Betonung des Staates im Rahmen dieser Wirtschaft. Ihre
Bewegung „nichts mehr drin in der Hand“ läßt ja den Rückschluß
zu, daß Politik überhaupt nur möglich ist gegenüber der Wirtschaft,
wenn der Staat der Gebende ist und die freien Unternehmer die
Empfangenden. Wenn das so ist, dann sollte man das aussprechen.
[Dr. Neuling (CDU): So ist es genau nicht! -
Feilcke (CDU): Da haben Sie ihn mißverstanden!]
Ich meine, unsere Wirtschaftsordnung stellt den Unternehmern
eine wesentliche Aufgabe. Die Politik soll Rahmenbedingungen
schaffen. Es wäre sehr interessant zu hören, in welcher praktischen
Art und Weise dieser Senat eben bei den Unternehmen Einfluß neh
men will und wird, um mehr Arbeitsplätze in der Berliner Wirtschaft
zu schaffen.
Herr Wronski, Sie beklagen, daß es so furchtbar schwer sei,
branchenspezifische Aussagen zu treffen, weil Sie vom Landes-
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arbeitsam! nicht die notwendigen Zahlen bekommen haben. Ici
würde das auch beklagen; ich finde, es ist unerträglich. Das ist ja
nicht nur eine Klage, die Sie vortragen; es ist unerträglich, daßwi
immer wieder feststellen müssen, daß auf dem Gebiet der Statistik
über Arbeitsmarktfragen so geringe Aussagefähigkeit Vorhände:
ist.
[Feilcke (CDU): Sehr gut!]
Das gilt auch in anderen Bereichen im gleichen Zusammen lies
hang. Ich erinnere daran, daß wir uns seit Jahren darum bemühen ” "
Aussagen über die Wanderungsbewegung Berlin: Westdeutsch
land ein bißchen ernsthafter und glaubhafter zu machen. Es wäre
eine außerordentlich lohnende Aufgabe für den Senat, hier mehl
Licht in das Dunkel zu bringen und uns verläßliche Auskünfte zy
geben. Ich meine aber auch, daß es gut wäre, wenn die immer
wieder in die Debatte geworfene Dunkelzifferfrage bei den Jugend
lichen aufgeklärt wird, die eben nach Schulabgang in keiner Stati
stik mehr erscheinen.
Ich bin allerdings ein bißchen überrascht, wie wenig aussage
fähig das Landesarbeitsamt sich Ihnen gegenüber stellte bei der ^ er
branchenspezifischen Analysen. Ich weiß, daß die einzelnen
Facharbeitsämter ja doch immerhin eine bis ins einzelne gehende
in die Berufssparten gehende Erfassung der Arbeitslosigkeil
haben. Ich weiß es als ein Mitglied eines Verwaltungsausschusses.
Ich weiß, daß Sie vom Arbeitsamt heute genau den Beleg bekom
men, daß unter anderem jetzt in zunehmendem Maße Facharbeiter
zu den Arbeitslosen gehören. Das läßt sich sogar bis in die einzel
nen Berufe hinein verfolgen. Warum man Ihnen das vorenthalten
hat, Herr Senator, das darf man doch sehr verwundert fragen
Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, ist sicher eine Frage
in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaften. Es ist auch eine ganz ent
scheidende, sehr persönliche und gesellschaftliche Frage, und |esti
damit auch eine politische.
Der innere Frieden in der Bundesrepublik Deutschland ist in Ge
fahr. Über eine Million Menschen will arbeiten und darf das nicht
tun. Alle Prognosen lassen einen weiteren Anstieg der Arbeitslosig
keit befürchten. Die Wissenschaftler prognostizieren für 1972 1,6
bis 1,7 Millionen Arbeitslose.
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[Feilcke (CDU): Sie meinen 1982!]
- Ja, ich meine im nächsten Jahr. - Das bedeutet doch, daß wirb
diesem Land in der Spitze im nächsten Jahr zwei Millionen Arbeits
lose haben werden. Das wird der Fall sein, wenn nichts geschieht
Es liegt auch an uns, daß es nicht dazu kommt. Hier sind - da
stimme ich mit Ihnen überein, Herr Dr. Neuling - alle Demokraten
gefordert. Ich meine die Bundesregierung ebenso wie die Landes
regierungen und die Opposition, aber letztendlich auch die Unter
nehmer und die Gewerkschaften.
Die Dringlichkeit dieses Problems, meine Damen und Herren,
scheint jetzt doch jeder zu begreifen. Gestern abend gab es in Bonn
das Gespräch beim Bundeskanzler. Heute vormittag diskutierte der
Bundestag, und nun sprechen wir über dieses Thema. Meine Frak
tion begrüßt es ausdrücklich, daß wir uns heute in Berlin mit dem
gleichen Themenkomplex befassen. Es darf aber nicht nur beim
Reden bleiben, was not tut, ist das Handeln. Schließlich ist es dafür
- so meinen wir alle - allerhöchste Zeit.
Lassen Sie mich das Thema für einen Moment politischer ange-
hen, als es bei Herrn Senator Wronski im letzten Teil - zuminde-
stens bei der Auflistung und Beantwortung der Fragen - klang.
Massenarbeitslosigkeit führte in diesem Land schon einmal in eine
politische Katastrophe. Es mag heute vieles anders sein als damals.
Das gilt für das politische wie für das wirtschaftliche Umfeld. Doch
auch im Jahr 1929 begann das Unheil nicht mit sieben Millionen
Arbeitslosen. Es hatte auch einen Anfang. Wir sollten uns vor den
Fehlern hüten, die damals gemacht worden sind. Die Politik des
knappen Geldes darf nicht übertrieben werden. Ich kann nur drin
gend vor der Absicht warnen, die Arbeitslosenunterstützung zu
kürzen.
[Beifall bei der SPD]
Wir sollten das soziale Netz nicht antasten, weil es am ehesten
geeignet ist, den sozialen Frieden in diesem Lande zu erhalten. Es_
ist notwendig in dieser Stunde daran zu erinnern, daß die nicht be- wd