eordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
8. Sitzung vom 8. Oktober 1981
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feg nicht verstanden. Dieser Weg ist keine Taktik. Aber muß es
jjht zu denken geben, wie heruntergekommen für viele Menschen
ipik sein muß, wenn ein Verzicht auf Taktik auch als Taktik ver
eiden wird? Ich glaube, wir haben uns das selber zuzuschreiben.
meine uns alle - die Parlamentarier, die Politiker. Da gibt es
Manches, was zu unnötigen Verletzungen führt, zu falschem Sich-
" Ispielen, zu Wichtigtuerei, zum Verlust des rechten Maßes, zur
laßen Rabulistik, wo Augenmaß, wo Sachverstand und Leiden
de shaft gefordert wären, und ich füge hinzu: Geduld, Besonnenheit
r einfache Menschlichkeit, Hilfe. In der schwierigen Situation
jgt eine Chance für uns und für die Menschen in dieser Stadt Das
^sprach kann Verständnis wecken, wo jetzt kein Verständnis ist,
al Gespräch kann Toleranz fördern, wo jetzt keine Toleranz ist
B ischen können voneinander erfahren und sich nicht nur gegen-
ig ertragen, sondern auch neu zu achten lernen. Neuen Lö-
mgsvorschlägen kann ohne Rechthaberei und mit dem Willen zur
öche nach der besten Lösung zugehört werden,
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16 'Ich er nnere an ein Wort von Kurt Schumacher anläßlich des
feiten Nachkriegsparteitages der SPD in Nürnberg: „Demokratie
feuht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Ehrlichkeit Die
irnokratie kann nur leben, wenn die Menschen selbständig sind
fe den Willen zur Objektivität haben. Aber die technokratische
id geradezu kriegswissenschaftliche Handhabung der poli-
hen Mittel führt zum Gegenteil.“ Ich will das für uns alle gelten
issen.
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|)b es das Treuhandmodell ist, das der vorherige Senat bis zur
nterschriftsreife verhandelt hatte, ob Erfahrungen aus London, aus
S Schweiz, aus den Niederlanden, ob Vorschläge, die heute im
äfepodrom vorgestellt werden sollen, und - ich schließe das aus-
tjcklich und positiv ein - Elemente der Vorschläge des Senats,
inente, die in den Beschluß der Bezirksverordnetenversamm-
ng in Kreuzberg eingebracht worden sind - lassen Sie uns alle
®e Ansätze sehen und den Versuch unternehmen, sie zusam-
enzuführen. Das ist eine große Anstrengung wert Diese Anstren-
muß auch für das Abgeordnetenhaus gelten, das die Ereig
ne dieses Prozesses nicht nur aufnehmen wird, begutachten, an-
äfimen oder verwerfen darf. Das Abgeordnetenhaus und seine
‘‘schüsse werden diesen Prozeß gestalten müssen und auch
Eigenem voranzubringen haben. Darin liegt eine Chance, und
bitte, den Antrag zur Beratung in die zuständigen Ausschüsse
iberweisen, damit das Abgeordnetenhaus seinen Beitrag leisten
nG||n, aufzunehmen, was zur Beseitigung von Leerstellen helfen
n, auch um Besetzungen zu verhindern, die gegen das Gesetz
toßen, und statt dessen diese in rechtlich geordnete Verhält-
e umzuleiten, wo immer das möglich ist.
ieles ist einer vermutlich großen Mehrheit der Menschen in
rer Stadt unverständlich und wird von ihnen als Zumutung ver-
den. Jede Gewaltanwendung ist eine Zumutung, und sie ist
limmeres. Gemeinschaftsfrieden ist ein hohes Gut, und es ist
t verständlich, wenn der Friede zwischen den Völkern zu Recht
in hohes Gut verstanden wird, nicht aber der Gemeinschafts-
ie, der doch durch Gewalt beeinträchtigt wird, nicht durch
lensätzliche Positionen, die noch so hart und scharf gegen-
nder gestellt werden in der Diskussion; denn niemand darf
iflikte vertuschen und unterschiedliche Interessenlagen
nen. Aber Gewalt darf nicht dazugehören.
ie andere Seite ist das Drängen nach anderen Lebensformen,
Ausprobieren, das Bewähren, das bloße Anderssein. Das muß
Stadt wie unsere mit einer oft beschworenen Tradition derTo-
iz ertragen können. Da blitzen doch auch neue Formen auf,
je Aspekte des Lebens und Arbeitens, die vielleicht morgen
n selbstverständlicher Teil des Lebens der Mehrheit sein kön-
c ), n | Es sind immer erst die Minderheiten, die gegen Widerstände
es entwickeln und erproben. Manches bleibt, anderes verdorrt
wird umgeformt, anderes bestimmt die Entwicklung. Hier kann
zu Aufgeschlossenheit, zu Verständnis, auch zu Neugierde ge-
/lüh I 11 Wer den. Auch zur Bereitschaft, sich selbst und seine Position
Thal zu überprüfen, ob sie noch standhält, ob sie noch überzeugt.
1 gilt wiederum vor allem für uns Abgeordnete. Erkennen wir die
>nce, die hierin auch für uns liegt
ians> s gibt doch auch in anderen Bereichen, in Betrieben und Orga-
ise:f8ltionen oder Schulen Drängen nach Mitbestimmung und Selbst
bestimmung. Überall gibt es Fragen, ob Gesetze und Regeln noch
zureichend sind und nicht neuer Ausgestaltung bedürfen, ob nicht
neue Formen der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung
wachsen müssen.
Und schließlich: Wenn die Anstrengungen, die zur Wiederher
stellung des Gemeinschaftsfriedens und der Sicherung seiner
Dauerhaftigkeit Erfolg haben sollen, dann muß ein Zeichen gesetzt
werden. Wir haben es so formuliert, daß für die Dauer von Verhand
lungen von Räumungen abzusehen ist, die rechtlich nicht geboten
sind. Hier hat es auch Einsichten gegeben. Hier kann neues Ver
trauen wachsen bei denjenigen, bei denen wir um Vertrauen wer
ben müssen. Aber genau hier ist auch der Prüfstein dafür, an dem
wir erkennen, wie schnell Vertrauen verloren gehen kann. Wir wis
sen, um wieviel schwieriger dann alles wird, und manches ist irrepa
rabel. Jeder, der bei den Gesprächen zugehört hat, weiß, wie unend
lich wichtig diese Position für eine friedliche Lösung ist. Dem
gegenüber muß jede, ich betone, jede Gewaltanwendung aus dem
Motiv der Empörung und der Wut unterlassen werden. Es gibt be
rechtigte Wut und Verzweiflung, aber es gibt keine berechtigte Ge
waltanwendung aus Wut und Verzweiflung. Und dazu gehört auch
immer wieder Geduld.
Ich war sehr betroffen, als heute nachmittag darüber diskutiert
worden ist, daß nicht die Geduld aufgebracht worden ist, ein Ge
denkkreuz, das aufgestellt worden ist, zu ertragen, also eine Trauer
von jungen Menschen anzunehmen, die nicht gleichgültig sind.
Meine Damen und Herren, was tolerieren wir eigentlich alles in
unserer Stadt? Ist es denn nicht möglich, daß man an einer solchen
Stelle hilft und das bißchen Geduld aufbringt, das nötig ist, um hier
eine Brücke schlagen zu helfen?
[Beifall bei der SPD, vereinzelt auch bei der AL]
Die Chancen für ein Gespräch und für ein Ausformen und Erproben
von Lösungen oder von Lösungsstationen, die haben wir. Verder
ben wir sie nicht durch dröhnende Worte, durch fatale Gesten und
Posen, nicht nur lärmende Uneinsichtigkeit Gibt es denn nicht zu
denken, wenn ein junger Hausbesetzer, der darum ringt, sich ver
ständlich zu machen und zusammen mit anderen an einem Ausweg
arbeitet uns nur noch als diejenigen begreift, vor denen er nicht zu
Kreuze kriechen will? Daß er seinen Stolz behalten und seinen auf
rechten Gang gehen will, ist das so unehrenhaft? Gerade diejeni
gen, die oft gedemütigt worden sind, die werden Verständnis für
diese Motive und Ideale haben. Wir haben die Chance, dabei zu
helfen.
Kennen wir nicht viele, allzuviele, die sich um eines persönlichen
Vorteils willen krummachen und die immer den Weg zu uns finden?
Ist das Erreichen der Jungen, der Trotzigen, der Ablehnenden nicht
alle Anstrengungen wert?
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort zur Beratung hat der
Abgeordnete Dr. Lehmann-Brauns.
Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Hausbesetzer, Hausfriedensbrecher, Steinewerfer, Plünde
rer - mit diesen Vokabeln ist diese eine Seite, über die wir jetzt schon
seit langem sprechen, sicherlich weder genau genug noch vollstän
dig definiert Manche Sehnsucht nach Lebenssinnbildung, viel ge
rechte Kritik an den Formen unserer Mehrheitsgesellschaft steht
dahinter. Darüber ist an dieser Stelle von vielen in diesem Haus vie
les Richtige gesagt worden. Aber die Mehrheit der Gesellschaft, der
von ihr getragene liberale Staat, ist noch viel weniger genau genug
mit dem Polizeiknüppel beschrieben.
[Zuruf: Sehr richtig!]
Der durch den Senat und - ich freue mich, das sagen zu können -
von einer breiten Mehrheit dieses Hauses repräsentierte Staat defi
niert sich vielmehr in dieser konkreten Situation durch die Berliner
Linie, eine Berliner Linie, die nach ihrer Entstehung vielfältigerweise
humanisiert worden ist
Der Verlauf der Senatsgespräche - auch das gehört zu unserer
Realität - ist allerdings von meinem Standpunkt her bis jetzt enttäu-
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