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8. Sitzung vom 8. Oktober 1981
98i Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
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Versteckt die Umgestaltung dieser Demonstration in unfriedliche
demonstrative Aktionen nahelegte. Zum Beispiel heißt es in einem
Flugblatt, für das im übrigen der Besetzerrat K 36, „TUWAT“ und
' «Radikal“ und einige besetzte Häuser verantwortlich zeichneten,
linter anderem: „Wenn in einer Wiesbadener Soldatensiedlung am
Antikriegstag acht Autos abgefackelt worden sind oder eine Bombe
| (in US-Stützpunkt Ramstein hochgeht, dann wissen wir, es hat die
i Richtigen getroffen.“ - Und es hieß weiter darin: „Daß selbst Typen
[ wie Haig nicht unangreifbar sind, zeigt der Anschlag der RAF vom
i 25. Juni 1979 in Belgien. Zwei Zehnteisekunden entschieden da-
j nials, daß er heute wieder als Kriegstreiber auftreten kann.“ - Das
| |t ein Zitat. - Und noch eines: Ein Flugblatt der Kommunistischen
; Jugend, in dem es unter anderem hieß: „Es ist also eine Provokation
Sondergleichen für alle friedliebenden Menschen, daß Haig es
wagt, hier aufzutreten. Bereiten wir ihm einen gebührenden
Impfang.“
| Außerdem gab es aus einer Reihe von Städten - Hamburg,
pffenbach, Hannover - zusätzliche Informationen darüber, daß man
Bach Berlin reisen wolle, und zwar nicht für freundliche Spaziergän
ge. Auf der sogenannten „TUWAT“-Großdemonstration am 5. Sep
tember 1981 wurde im übrigen solchen Gruppen, die zur Militanz
neigen, bedeutet und klargemacht, der 13. September sei hierfür
ler geeignete Tag. Darüber hinaus haben wir eine Fülle von Infor
mationen gehabt, die alle darauf hinausliefen, daß am 13. Septem
ber die Absicht bestand, Gewalt anzuwenden. Überdies wurde in
einer Vorbereitungsveranstaltung für den 13. September, und zwar
f iner solchen, die am 10. September stattfand, bekannt, daß sich
lilitante Gruppen am 13. September um 10.30 Uhr auf dem Nollen-
forfplatz treffen wollten, um den eigentlichen Antreteplatz, den
Olivaer Platz, zu vermeiden, damit man nicht dort bereits in polizei
liche Kontrollen hineinkäme.
;j Dieses ist uns also vorher bekannt gewesen, und tatsächlich ver
sammelten sich am 13. September zwischen 9.55 und 10.10 Uhr
zirka 90 Personen auf dem Noliendorf platz, die - und das allerdings
fet jener Punkt, an dem Einschätzungsfragen beginnen - den Ein
druck einer zum gemeinsamen Handeln bereiten Gruppe erweck
ten. Dadurch wurden die Aufklärungsergebnisse bestätigt. Bei
fiesem Personenkreis wurden im übrigen - dies wurde ja hier be
stritten - nach der Ingewahrsamnahme ein Katapult, die dazu gehö
rende Munition in Form von Sechskant-Muttern, mehrere Klappmes
ser, gefüllte Plastikflaschen gefunden sowie Gesichtsmasken.
[Wendt (AL): Mit was gefüllt?]
| Wahrscheinlich mit Zitronensäure; die Feststellung liegt noch
flicht genau vor.
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[Zuruf von der AL: Typische RAF-Strategie! -
Schmidt (AL): Ein Katapult bei 90 Leuten,
I lächerliche Aufklärung!]
| Das war ja nicht eine Frage der Aufklärung, sondern des Auffin-
dons.
I Vorhin gab es zusätzlich die Frage - zusätzlich zu den schrift
lichen Anfragen -, ob etwa nicht dem Haftrichter vorgeführt worden
[ |ei. - Es sind elf Personen dem Haftrichter vorgeführt worden, und
leun Personen erhielten einen Haftbefehl. Dieses muß man um der
Vahrheit willen auch zur Kenntnis nehmen.
Und nun, meine Damen und Herren, noch einmal zu jener Unter
stellung, die den Begriff „Vorbeugehaft“ in Anspruch nimmt, um das
polizeiliche Handeln an dieser Stelle zu disqualifizieren. Dazu zwei
Anmerkungen: Es ist seinerzeit durch Erlaß eine polizeiliche Vor
beugehaft eingeführt worden, und zwar nachdem die Verordnung
[es Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Fe
bruar 1933 die engen Schranken des § 15 Preußisches Polizeivoll-
: ;u gsgesetz außer Kraft gesetzt hatte: und damit allerdings war da-
nals polizeiliche Willkür Tür und Tor geöffnet.
Die zweite Anmerkung: § 18 des ASOG steht in Übereinstim
mung mit Artikel 2 und Artikel 104 des Grundgesetzes und den Be
stimmungen der Menschenrechtskonvention. Das Bundesverwal
tungsgericht hat für die vergleichbare Vorschrift in Hessen seiner
zeit für rechtmäßig erklärt, daß die Polizei einer Person, die zu einer
Versammlung angereist war, um Teilnehmer zu Straftaten aufzuhet-
|en, für die Dauer dieser Gefahr die Freiheit entziehen darf. Insofern
«alte ich den Versuch, durch diese Große Anfrage diese enge
rechtsstaatliche und sichtlich überprüfbare Eingriffsbefugnis in
polemischer Weise mit der berüchtigten Vorbeugehaft des Natio
nalsozialismus zu vergleichen, für denkbar verfehlt Ich meine, der
jenige, der solches äußert, hat schon die Antwort auf eine eigene
Bemerkung gegeben.
Nun zu der dritten Frage, wie sich ein Bürger wehren konnte,
damit er nicht willkürlich hinter Gitter kommt Diese Frage ist ein
fach zu beantworten, denn jeder Bürger, der Rechtsnormen nicht
verletzt, konnte am 13. September dieses Jahres davon ausgehen,
daß er nicht in den Bereich polizeilicher Maßnahmen einbezogen
wurde. In jedem Fall brauchte sich kein Bürger zu wehren, denn
Willkür hat es an keiner Stelle gegeben, auch nicht wenn hier nach
dem §18 ASOG gehandelt worden ist
Nun jene Frage, ob Meldungen zutreffen, nach denen in Gewahr
sam genommene Frauen sich entkleiden mußten. Das ist zutreffend,
denn in einigen Fällen mußten festgenommene Frauen ihre Ober
bekleidung zum Zwecke der Durchsuchung ablegen. Die Durch
suchung erfolgte in allen Fällen von weiblichen Kriminalbeamtinnen
ohne Anwesenheit männlichen Personals. Diesen Personen
wurden auch aus Gründen der Sicherheit zum Beispiel mitgeführte
Brillen
[Frau Schaar (AL): Was!?]
und ähnliches abgenommen, weil hier die Gefahr besteht, daß sie
diese Instrumente gegen sich selbst und andere verwenden, ln
keinem Fall wurde von irgend jemanden widersprochen, als die As-
servierung der Brillen vorgenommen wurde. Ob dabei erhebliche
Sehbeschwerden vorhanden waren, ist durch das Bewachungsper
sonal nicht festgestellt worden. Ein Teil der Brillen wurde übrigens
überhaupt nicht getragen, sondern in Etuis bei sich geführt. Im übri
gen entsprechen diese Verfahren dem, was im Lande Brauch ist.
Die Frage, ob es zur Abwendung einer erheblichen Gefahr not
wendig gewesen sei, die Festgenommenen bei ihrer Freilassung im
Grunewald auszusetzen, ist mit einem klaren Nein zu beantworten.
Es ist festzustellen, daß in keinem Fall Personen, die aufgrund des
§18 ASOG in Gewahrsam genommen wurden, nach ihrer Freilas
sung im Grunewald ausgesetzt worden sind.
[Frau Schaar (AL): Wo dann?]
Im übrigen wird man wohl annehmen dürfen, wenn es sich um ein
Aussetzen handelt dann heißt das ja schließlich im normalen
Sprachgebrauch, daß man irgendwo in hilfloser Lage Personen
aussetzt, um sie gewissermaßen dann ihrem Schicksal zu überlas
sen.
Was ist aber hier geschehen? - Alle Personen, die nicht als
Straftäter in Erscheinung traten, wurden zwischen 17.55 Uhr und
18.30 Uhr einzeln oder in kleinen Gruppen direkt aus den polizei
lichen Sammelstellen entlassen.
Stellv. Präsident Franke: Gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Vetter, Herr Bürgermeister?
Lummer, Bürgermeister und Senator für Inneres: Nein! - Ja,
Herr Vetter ist ein ausgesprochen netter Kollege, bei dem ich
schwerlich nein sagen kann.
[Heiterkeit bei der AL]
Stellv. Präsident Franke: Bitte schön, Herr Abgeordneter
Vetter!
Vetter (CDU); Trifft es zu, Herr Senator, daß Sie diese Fragen
schon reichlich im Ausschuß für Inneres, Sicherheit und Ordnung
durchgekaut haben und der Kollege Schmidt dabei ganz klein mit
Hut gewesen ist?
Stellv. Präsident Franke: Herr Kollege Vetter, im Ausschuß
pflegen wir nichts durchzukauen, und Abgeordnete pflegen nicht
klein mit Hut zu sein. - Bitte schön, Herr Bürgermeister, Sie haben
nunmehr das Wort.
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