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Volume Nr. 6, 24. September 1981

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1981/82, 9. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
6. Sitzung vom 24. September 1981 
256 
(A) Vetter (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich 
habe vorhin in meinem Beitrag zur Regierungserklärung darauf hin 
gewiesen, daß es nach meiner Vorstellung dringend notwendig ist, 
daß zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens die Gemeinsamkeit 
der demokratischen Kräfte dieser Stadt gesucht werden muß. Ich 
sehe in diesen Gesprächen den ersten richtigen Schritt in diese 
Richtung; die F.D.P.-Fraktion wird ihren Beitrag dazu leisten. Ich 
hoffe, daß dieses Gespräch wirklich dazu führt, daß das Problem, 
das unserer Stadt so schweren Schaden zufügt, gemeinsam ent 
schärft werden kann und wir so auf einen Weg kommen, den wir 
alle im Interesse dieser Stadt möchten. - Schönen Dank! 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat für die Fraktion der CDU der 
Abgeordnete Diepgen. 
Diepgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Meine Fraktion dankt dem Regierenden Bürgermeister für seine 
Beladung zu einer von meiner Fraktion als wichtig empfundenen 
Gesprächsrunde; die CDU wird alle Maßnahmen unterstützen, die 
Wege zum inneren Frieden aufzeigen. 
Die Aufrechterhaltung eines Mißtrauensantrags durch die Frak 
tion der AL ändert nichts an der grundsätzlichen Gesprächsbereit 
schaft meiner Fraktion auch mit diesen Antragstellern. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Präsident Rebsch: Meine Damen und Herren! Ich darf, da wir 
uns ja inzwischen einige Zeit nur im kleineren Rahmen unterhalten 
haben, darauf hinweisen, daß wir immer noch beim Tagesord 
nungspunkt 0, also bei der Aussprache über die Regierungserklä 
rung sind. Hierzu liegt mir für die Fraktion der Alternativen Liste die 
Wortmeldung von Herrn Rabatsch vor. - Bitte, Herr Rabatsch, Sie 
haben das Wort! 
(B) Rabatsch (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es 
sind jetzt zwar ungefähr IV2 Stunden - soweit ich das in Erinne 
rung habe - vergangen, aber ich bin noch so tief empört und aufge 
rührt über das, was in den letzten Tagen passiert ist, daß ich es 
nicht dabei bewenden lassen kann, hier nur von Trauer zu reden 
über einen Toten, sondern darauf hinweisen muß, daß hier die not 
wendige Diskussion und Bewertung über das, was politisch Verant 
wortliche des CDU-Senats dazu beigetragen haben, noch vorge 
nommen werden muß. Es reicht in keiner Weise aus, auf Gespräche 
hinzuweisen, sondern wir müssen uns fragen, wer eigentlich auch 
noch daran mitgewirkt hat. Und hier ist ganz dringend ins Bewußt 
sein zu rufen, was für Anstrengungen in dieser Stadt unternommen 
wurden, um nicht nur Bnfiuß auf den Innensenator, Herrn Lummer, 
zu nehmen, sondern auch die Fraktion der Sozialdemokratischen 
Partei zu einem aktiven Handeln anzuhallen. Die Verantwortung für 
das, was hier passiert ist und was hier zum Tod von Klaus Jürgen 
Rattay geführt hat, hat auch zu einem gerüttelt Maß die SPD-Frak- 
tion mitzutragen. 
[Baetge (F.D.P.): Haha, das ist ja ein Witz!] 
Ich möchte jetzt einen Ausschnitt aus einem Brief zitieren, der an 
alle vier Fraktionen gegangen ist: 
Wir, zwei ältere Bürger Berlins, die in den letzten zwölf Jahren 
ihre gemeinsame Freizeit einschließlich Urlaub ohne Entgelt 
genutzt haben, um mitzuhelfen, anstehende Probleme zu lösen, 
beide im öffentlichen Dienst, sind nach dem 22. September zu 
tiefst betroffen in unserem Rechtsempfinden, in unserem Ver 
trauen zu diesem Staat. Wir haben die Hoffnung in die Fähig 
keit der Politiker verloren, weil der jetzige Innensenator meint, 
daß mit seinen menschenverachtenden und beleidigenden 
Polizeieinsätzen tiefgreifende gesellschaftliche Fragen zu lö 
sen seien. Wir haben tretende Polizeistiefel auf Blumen 
gesehen, die Trauernde an der Unfallstelle angelegt haben. Wir 
sahen knüppelnde Polizisten gegen die sich Wehrenden. 
- Das waren Aussagen zweier älterer Bürger in Berlin. - 
Herr Innensenator Lummer, wir klagen Sie an in direktem Zusam 
menhang mit Ihrem Auftreten in der Bülowstraße 89 - darüber ist 
hier bisher von keiner Fraktion irgendein Wort gefallen, auch von 
Ihnen, Herr Dr. Vogel, nicht, auf die Bülowstraße 89 sind Sie nicht 
eingegangen, das ist sträflich fahrlässige Beteiligung, diese Vor 
kommnisse hier vor der Öffentlichkeit im Dunkeln zu lassen; daran 
sind Sie sehr stark beteiligt Für den Tod des 18jährigen Klaus Jür 
gen Rattay sind Sie, Herr Innensenator Lummer, politisch verant 
wortlich zu machen. Wir wissen durch zahlreiche Augenzeugenbe 
richte, daß ohne Ihre Pressekonferenz dieser junge Mann nicht 
hätte sterben müssen. Ich zitiere jetzt mit der Genehmigung des 
Präsidenten aus „Die Zeit“ - durchaus kein linkes Blatt - folgenden 
Abschnitt: 
Schwer verständlich ist in jedem Fall der unmittelbare Anlaß, 
der zu der Demonstration an der Kreuzung geführt hat. Hierher 
waren nämlich Hunderte geströmt, nachdem sich in Windes 
eile das Gerücht verbreitet hatte, Innensenator Lummer per 
sönlich wolle das gerade geräumte Haus Bülowstraße 89 in 
spizieren. Was viele zuerst als Gerücht abtaten, stimmte dann 
doch. Lummer erschien mit einem starken Polizeiaufgebot, er 
sah sich das Haus an, stellte fest, hier hätten ja eher Kaputt 
besetzer gewohnt und hielt eine improvisierte Pressekonfe 
renz ab. Daß dieser völlig unnötige Besuch unmittelbar nach 
der Räumung zu wütenden Protesten und einer Gegendemon 
stration der Hausbesetzer-Sympathisanten führen würde, war 
vorauszusehen. 
- Soweit „Die Zeit“. - 
Herr Lummer, Sie haben nicht darauf verzichten wollen, sich in 
ein Haus zu begeben, das Minuten vorher von der Polizei geräumt 
wurde. Sie haben mit diesem Auftreten die Menschen auf der 
Straße vor dem Haus Bülowstraße 89 in unerträglicher Weise pro 
voziert. 
[Beifall bei der AL] 
Sie haben sich aus niederen und herrschsüchtigen Beweggründen 
in triumphierender Siegerpose der Presse präsentiert. Das ist eine 
böse Feldherrn-Manier, die wir in dieser Stadt zur Lösung unserer 
Probleme nicht dulden können. Diese Kraftmeierei ist ein politischer 
Skandal ersten Ranges für ein Senatsmitglied, das in der Pflicht 
steht, politische Entscheidungen nach demokratischen Grundsät 
zen zu fällen. 
[Beifall bei der AL] 
Sie sind im Bewußtsein des vollen Risikos der zerstörerischen Fol 
gen in diese Pressekonferenz gegangen. Sie wollen die Konfronta 
tion gerade deswegen, um zu demonstrieren, daß die Räumungen 
der acht Häuser tatsächlich von Ihnen auch allein politisch zu ver 
antworten sind. Sie wollten sich den billigen Triumph des Siegers, 
der Polizeigewalt gegen kritische Oppositionelle und passiven 
Widerstand Leistende, also sich gewaltfrei gegen die Räumungen 
wehrende Menschen, nicht nehmen lassen. Das ist eine nicht zu 
überbietende politische Gewissenlosigkeit. 
[Beifall bei der AL] 
Das ist die öffentliche Demonstration einer im Kern zutiefst unde 
mokratischen Haltung. Bn Politiker, der die Verhärtung der Fronten 
in der Bevölkerung will und wie Sie, Herr Innensenator Lummer, 
sich einer scharfmacherischen Sprache bedient, ist eine politische 
Gefahr für Berlin. 
[Beifall bei der AL] 
Wer wie Sie, Herr Innensenator, daran mitwirkt, daß Bevölkerungs 
gruppen aufeinander gehetzt werden, ist daran interessiert, daß 
Vorurteile, Ängste und Haßgefühle die Reaktionen der Menschen in 
dieser Stadl beherrschen und an die Stelle der Nachdenklichkeit 
Differenzierung und Abwägung sinnvoller politischer Entscheidun 
gen treten. Das ist der Kern der Kritik, die wir hier zu üben haben. 
[Beifall bei der AL] 
Sie haben bewiesen, daß Sie an der Eskalation der Gewalt interes 
siert sind und deshalb auch das Risiko schwerer Verletzungen und 
sogar den Tod eines Menschen in Kauf nehmen. Beweisen können 
das leider sogar Ihre eigenen Worte „Das ist skandalös“ zusätzlich 
genug. Sie scheuten sich nicht angesichts der Fernseh-, Rundfunk- 
und Presseleute in zynischer Kaltschnäuzigkeit das tote Opfer sel 
ber zum Schuldigen zu erklären. Sie sagten zur Frage der Schuld
	        
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