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Volume Nr. 3, 2. Juli 1981

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1981/82, 9. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
3. Sitzung vom 2. Juli 1981 
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RBm Dr. von Weizsäcker 
das kommt uns allen zugute. Kultur entzieht sich der Anordnung. 
Sie ist spontan und kreativ. Sie entsteht und entfaltet sich frei. Der 
Staat hat die Aufgabe, sie zu fördern, nicht aber sie inhaltlich zu 
beeinflussen oder gar zu zensieren. 
[Beifall bei der CDU und bei der SPD] 
Vor allen anderen Städten ist die Berliner Szene in den Bereichen 
der bildenden Kunst, des Theaters und der Musik, der Literatur und 
des Films durch schöpferische Eigenkraft und Vielgestaltigkeit aus 
gezeichnet. Dies wird der Senat besonders unterstützen. Der Senat 
wird demgemäß über die Pflege der großen Kultureinrichtungen 
hinaus die freien Gruppen fördern. 
Alle Bemühungen, Berlins kulturelle Leistungen in Westdeutsch 
land und im Ausland häufig und regelmäßig zu zeigen, wird der 
Senat nachdrücklich unterstützen. 
Kultur beschränkt sich nicht auf staatliche Förderung allein. Der 
Senat will daher dazu beitragen, privates Mäzenatentum für Berlin 
zu aktivieren. Auch hier gibt es eine reiche Betätigungsmöglichkeit, 
Bürgersinn zum Wohle der Stadt und zur eigenen Freude zu prakti 
zieren. Insgesamt wird gelten: ln der Berliner Luft sollen Hochkultur, 
Subkultur und vor allem Bürgerkuitur gedeihen. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich komme zur Berlin- und Deutschlandpolitik: Viele der großen 
Aufgaben in unserer Stadt gibt es - wie wir alle wissen - auch in 
anderen Millionenstädten. Soweit sie bei uns früher und schärfer 
auftreten als anderwärts, fällt uns die Chance zu, Lösungen zu 
finden, die für andere als Beispiel dienen können. 
Dennoch gibt es keinen tragfähigen Vergleich zwischen Berlin 
und anderen Metropolen. Die exponierte Lage unserer Stadt er 
zeugt ganz eigene Problemursachen. Sie verwehrt Lösungen, die 
woanders zur Verfügung stehen. In der Mitte geteilt, ohne Umland, 
durch Hunderte von Kilometern vom einen, durch Mauer und 
Stacheldraht vom anderen Teil Deutschlands getrennt, unter der 
Souveränität von Schutzmächten, ohne eigenen Beitrag zur Veteidi- 
gung - dies alles verändert die Lebensgewohnheiten, die Bevölke 
rungsstruktur, die Altersentwicklung und vor allem die Motive für 
Auszug und Einzug der Menschen grundlegend gegenüber jeder 
anderen Stadt. 
Wir können, um mit Engpässen in dieser Stadt fertig zu werden, 
nicht wie andere in die Umgebung ausweichen. Manche Mächtigen 
um uns herum spekulieren deshalb auf eine langsame, innere Aus 
zehrung unserer Kräfte. Umso wichtiger ist es für uns, mit Fehlent 
wicklungen und Mängeln im Interesse der Stadt selbst fertig zu wer 
den. Denn dies ist zugleich Bedingung unserer Sicherheit nach 
außen. In keiner anderen Metropole gibt es diesen untrennbaren 
Berliner Zusammenhang von innerer Lebensfähigkeit und äußerer 
Existenz. 
Wir Berliner suchen weder Krisen noch Heldenrollen. Die innere 
Kraft, die wir unter den erschwerten Bedingungen unserer Lage 
brauchen, gewinnen wir letzten Endes nur aus der Perspektive für 
die Zukunft Diese ist daher für uns von lebenswichtiger Notwendig 
keit. Diese Perspektive ist und bleibt, die Teilung Europas, Deutsch 
lands und Berlins in Frieden zu überwinden. 
[Beifall bei der CDU, bei der SPD 
und bei der F.D.P.] 
Wir haben in Berlin ein existenzielles Interesse an Frieden und 
Sicherheit. 
[Beifall bei der CDU, bei der SPD 
und bei der F.D.P.] 
Deshalb sind wir berufene Mahner, wenn jemand den notwendigen 
Zusammenhang von Entspannung und Sicherheit aus dem Auge 
verliert. Sicherheit kann es nur geben, wenn das Menschenmög 
liche geschieht, um Spannungen zu verringern. Entspannung gibt 
es nur im Gleichgewicht, sonst würde Entspannung zur Unterwer 
fung. 
[Beifall bei der CDU] 
Aber, so wird oft gefragt, verlangt denn nicht gerade dieses 
Gleichgewicht eine fortdauernde Teilung? Gefährdet nicht der 
jenige den Frieden, der die Trennung überwinden will? - Wer so 
argumentiert, unterliegt einem gefährlichen Trugschluß. Weil wir (C) 
wollen, daß die getrennten Teile wieder zusammenfinden, brauchen 
wir Frieden, und zwar in einem größeren, über die beiden deut 
schen Teilstaaten hinausweisenden Rahmen. Deshalb suchen wir 
als Berliner und Deutsche Einfluß auf die internationale Lage im 
Sinne des Friedens. Gerade für diesen Friedenswillen ist die Zu 
sammengehörigkeit der Deutschen unser wesentlicher Motor. Leb 
ten wir nur in gleichgültiger Nachbarschaft diesseits und jenseits 
der Mauer und hätten wir das elementare Bedürfnis zur schritt 
weisen Überwindung der Teilung nicht, so wäre unser Drang zur 
Friedenspolitik in Wahrheit schwächer. 
Für unsere Ziele setzen wir uns in der Freiheit ein, die uns unsere 
Schutzmächte verbürgen. Der Senat dankt den Vereinigten Staaten 
von Amerika, Großbritannien und Frankreich für ihr unverbrüch 
liches Engagement. Die Berliner sind und bleiben verläßliche 
Freunde der Schutzmächte und aller ihrer Angehörigen in Zivil und 
in Uniform. 
[Beifall bei der CDU, bei der SPD 
und bei der F.D.P.] 
Der Dank umfaßt auch das Viermächte-Abkommen. 
[Beifall bei der CDU und bei der SPD] 
Zu den berlin-politischen Zielen dieses Senats gehört es - wie bis 
her -, das Abkommen strikt einzuhalten und voll anzuwenden. Er 
wird das Verhalten anderer ebenfalls an diesem Maßstab messen. 
Der Senat hat daher auch die konsequente Haltung der Schutz 
mächte dankbar gewürdigt, die sie mit ihrem Protest bei der Sowjet 
union gegen die widerrechtliche Direktwahl Ostberliner Abgeord 
neter in die Volkskammer eingenommen haben. Solche einseitigen 
Maßnahmen können die Rechtslage der Viermächte-Stadt weder 
hüben noch drüben ändern. 
Die engen Bindungen an den Bund bleiben Grundvoraussetzung 
für die Existenz des freien Berlin. In Fortsetzung der bisherigen Zu 
sammenarbeit wird der neue Senat, seinen Beitrag zum berlin- und 
deutschlandpolitischen Gleichklang mit der Bundesregierung 
leisten. Der Senat wird daran mitwirken, die Beziehungen zur DDR (D) 
im Interesse Berlins und aller Deutschen weiterzuentwickeln. Er ist 
jederzeit zu offenen Gesprächen und zur Mitarbeit im Rahmen 
seiner Befugnisse bereit Manches ist erreicht, dafür sind wir dank 
bar. Noch aber sind wir von den im Grundlagenvertrag angesteuer 
ten normalen gutnachbarlichen Beziehungen weit entfernt. In 
diesem Jahr steht die Mauer 20 Jahre. Staatspräsident Kaunda aus 
Sambia, ein wahrhaft unverdächtigerZeuge, hat sie in Ostberlin vor 
einem Jahr „das perfekte Symbol der gefährlichen Spaltung 
Europas“ genannt. 
Die Erhöhung und Ausweitung des Mindestumtausches ist nach 
wie vor eine schwere Belastung der Beziehungen. Bei den beson 
ders betroffenen Rentnern, für die Kinder und Jugendlichen wirkt 
sich diese Maßnahme als massive Verletzung sozialer Grundsätze 
aus. Zusammen mit der Bundesregierung erwartet der Senat eine 
alsbaldige Korrektur. 
[Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der F.D.P.] 
Von besonderem Berliner Interesse werden für den Senat sein: 
- Aufhebung von Einreiseverweigerungen für Berliner, die aus 
der DDR oder Ostberlin ausreisen konnten; 
- Erleichterungen im Besuchsverkehr durch vereinfachte An 
tragsverfahren und verbesserte Aufenthaltsbedingungen; 
- fortdauernde Öffnung des Übergangs Staaken für den Transit 
verkehr auch nach Öffnung des Übergangs Heiligensee. Dies 
wird wesentlich zur Entlastung der Verkehrsprobleme im Nor 
den der Stadt beitragen; 
- Fortschritte in der Luftreinigung, insbesondere durch Rauch 
gasentschwefelung bei Kraftwerken, und Fortschritte beim Ge 
wässerschutz; 
- Beteiligung des Senats im Einvernehmen mit den Schutzmäch 
ten und der Bundesregierung an einer Verbundregelung für 
die S-Bahn mit dem Nahverkehrsnetz der Stadt. 
[Beifall bei der CDU und der SPD]
	        
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