Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
38. Sitzung vom 23. Oktober 1980
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Palm
A) Koordination zuständig ist, zu schaffen, um künftig zu verhindern,
daß sich die Verwaltungen gegenseitig die Verantwortung in die
Schuhe schieben.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Lassen Sie mich zum Abschluß noch fünf Punkte zusammen
fassen, die unserer Meinung nach die wichtigsten Punkte sind,
um die von Herrn Striek bezeichnete Voraussetzung auch erfüllen
zu können. Wir fordern den Senat eindringlich auf, daß erstens
der Regierende Bürgermeister die Zuständigkeiten im Senat so
regelt, daß die Planung und Koordination für die Energiepolitik in
einer Hand liegt, zweitens die Arbeiten zur Erschließung des
Erdgasspeichers vom Senat nicht weiter verzögert werden, damit
umgehend die Voraussetzungen für die Erdgasversorgung
Berlins geschaffen werden, drittens der Senat in Abstimmung mit
der Bundesrepublik die Liefermöglichkeiten von Erdgas nach
Berlin mit Nachdruck verfolgt, viertens der Senat unverzüglich
das angekündigte Fernwärmekonzept zur Koordinierung aller
Aktivitäten auf diesem Gebiet vorlegt und fünftens der Senat
umgehend die Planung von neuen Grundlastkapazitäten im Rah
men des notwendigen Kraftwerkserneuerungsprogramms ein
leitet.
[Beifall bei der CDU]
Stellv. Präsident Baetge; Meine Damen und Herren, bevor ich
der Kollegin Müller das Wort erteile, darf ich zwei Damen aus dem
„Komitee der Sowjetfrauen“ aus Moskau begrüßen, aus einem
Land, das für Gesamtberlin eine besondere Verantwortung trägt.
[Beifall]
Ich begrüße die Damen sehr herzlich in unserem Haus. Wir
freuen uns, daß sie da sind. Es ist eine alte Tradition, daß wir sie in
ihrer Landessprache begrüßen, deshalb sage ich: Sdrastwuitje!
- Jetzt aber hat die Kollegin Müller das Wort. - Bitte schön,
Frau Müller!
Frau Müller (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Sollten mir im Verlauf meiner Ausführungen Tränen in meine
Augen treten, so liegt das nicht daran, daß ich die Lage der
Berliner Wirtschaft als so traurig empfinde, sondern es ist aller-
höchstens ein Hinweis auf mein angeknacksten Gesundheits
zustand.
Die Lage Berlins stellt sich heute im gesamtwirtschaftlichen
Vergleich recht positiv dar. Man kann, ohne übertreiben zu wollen,
von erfolgsgewohnter Wirtschaftspolitik des Senats sprechen.
Das Erreichte läßt uns auch bei dem konjunkturellen Tief die Lage
der Berliner Wirtschaft oft optimistisch beurteilen. Nicht ohne
Grund haben die Wirtschaftsexperten der Unionsparteien - wie
vor den Wahlen üblich - Krisenstimmungen bei den Unterneh
mern herbeigeredet. Wenn man die Plenarprotokolle der letzten
vier Jahre zitiert, dann ist dies weitgehend auch eine Taktik
mancher Kollegen aus der Opposition dieses Hauses. Von dem
zu erwartenden Grad der konjunkturellen Abschwächung sollten
sich die Arbeitnehmer, aber auch die Arbeitgeber Berlins nicht
bange machen lassen. Senator Lüder hat dies ausführlich und
eingehend erläutert. Auch Herr Elfe von der IHK hat dazu sehr
eingehende Ausführungen gemacht. Dies ist in den Pressemit
teilungen vom 21. Oktober dieses Jahres zu lesen.
Erfolge berechtigen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts
politik unserer Koalition. Ich möchte kurz einige Schwerpunkte
dieser Weiterentwicklung ergänzen. Mein Kollege Heinz Striek
hat bereits wesentliche Momente künftiger Aktivitäten unserer
Fraktion genannt. Oberstes Ziel bleibt - der Wirtschaftssenator
hat das heute in seiner Rede mehrmals bestätigt - die Vollbe
schäftigung. Sie ist und bleibt für uns zentraler Auftrag für und
über die Legislaturperioden hinaus, sehr geehrte Damen und
Herren der Opposition. Auf unser Ziel Vollbeschäftigung werden
wir in den kommenden Jahren hinarbeiten, wenn wir die Bereiche
Analyse des strukturpolitischen Instrumentariums, Humanisie
rung von Arbeitsplätzen, Ergänzung des Ausbildungsplatzange
bots, Komplettierung der Einrichtungen für den Innovations
transfer, Verstärkung der Entwicklungspolitik, Sicherstellung der
Energieversorgung, Umsetzung verbrauchspolitischer Ansätze, (C)
Intensivierung des Fremdenverkehrs und Überprüfung der Mög
lichkeiten des Handels mit dem Ostblock stärker als bisher auch
parlamentarisch aufgreifen. Im kommenden Wirtschaftsbericht
des Senats wird sicherlich mehr zu diesen jetzt aufgeführten
Themenbereichen Stellung genommen.
Zu einem anderen Thema, das uns sehr am Herzen liegt, der
Industrieansiedlung, hat Herr Senator Lüder bereits heute darauf
hingewiesen, daß wir diese Debatte in einem Monat sehr aus
führlich führen werden und daß dann sicherlich sehr ergänzende,
ausführliche Erörterungen und Hinweise von ihm gegeben
werden.
Zu einigen speziellen Punkten kurze Hinweise. Strukturpolitik:
Herr Senator Lüder hat uns vorhin seine Vorstellungen vom Lais-
ser-faire dargelegt. Auch meine Fraktion will keine Investitions
lenkung. Wir wollen jedoch gefährdete Produktionsstätten und
Arbeitsplätze erhalten. Dazu reicht es manchmal nicht aus, Rah
menbedingungen optimal zu setzen und aktive, vorausschauende
Strukturpolitik zu betreiben. Wenn Probleme von Firmen wie
DIAG, AEG, Osram, Permutit und Mampe bereits in der Öffent
lichkeit ausgetragen werden, sind Sofortmaßnahmen notwendig!
Doch wirkungsvolle Hilfen kann nur bieten, wer mit Entwicklung,
Vorhaben und Marktsituation der Berliner Unternehmen vertraut
ist, wer den Betrieb kennt. Deshalb unsere Anregung und unser
Wunsch, Herr Senator Lüder: Mehr beiderseitiges Vertrauen
zwischen Senat und Unternehmensspitzen, mehr Kooperation
in den wichtigen Existenzfragen von Beschäftigten und
Betrieben!
Ein paar Bemerkungen noch zum Handwerk: Handwerk und
Handel unterliegen der im Wirtschaftsberichf üblichen Trennung
in Bereiche. Gemeinsam sind ihnen die Probleme: Wer bereinigt
für die Meister und Geschäftsinhaber undurchsichtige Verwal
tungsbürokratie? Wie kann das Unternehmen die Energiekosten
senken? - eine sehr wesentliche Frage, wie wir wissen. Wo
treffen den Betrieb rechtliche Normen des Umweltschutzes?
Was tut der Senat für die Neuansiedlung von Werkstätten und ._.
Läden? - Wir sind da durchaus selbstkritisch, hier liegt noch ein ' '
erhebliches Potential zur Verbesserung der Versorgung der Be
völkerung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Der Umdenkungsprozeß hat bereits Anfangserfolge gezeigt.
Förderung von Forschung und Entwicklung wird sicher die Posi
tion von Handwerk und Handel stärken. Unser Auftrag aus dem
Wirtschaftsbericht ist hier ganz klar. Berlin muß auch in den
Bereichen Handwerk und Handel den Anschluß an die bisher
positive Entwicklung in der Bundesrepublik finden.
Und noch einige Bemerkungen zu den Ausbildungsplätzen,
die ja auch hier mehrfach angesprochen wurden: Probleme von
Schulen, berufsbegleitenden Ausbildungsstätten und Betrieben
lassen sich heute auf einen Nenner bringen: Das Ausbildungs
platzangebot ist gut, aber ca. zwei Drittel der Jugendlichen,
nämlich die in der betrieblichen Ausbildung befindlichen, sind
mit Schulungsmöglichkeiten unterversorgf. Eine Verbesserung
dieses Zustandes und die Schaffung eines überbetrieblichen
Ausbildungsplatzangebots sollte der Senat - hoffentlich mit Hilfe
aller Fraktionen - herbeiführen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Kontrolle des Ausbil
dungsplatzangebots ist die positive Kenntnis über die zu erwar
tende Nachfrage. Und hierüber wäre über den intensiven Inter
essenausgleich der zuständigen Senatoren rasch Klarheit zu
schaffen.
Lassen Sie mich bitte noch zum Schluß ein paar Hinweise zum
Osthandel, der uns ja heute sicherlich sehr bewegt, geben: Der
Handel mit der DDR und dem übrigen Ostblock wird sich künftig
- darüber kann kein Zweifel bestehen - schwieriger gestalten.
Der Regierende Bürgermeister hat hierzu in seiner Regierungs
erklärung Stellung genommen, und die drei Fraktionen dieses
Hauses haben einen Entschließungsantrag verabschiedet. Trotz
der Barrieren, wie sie die SED zur Zeit in allen politischen Be
reichen errichtet, ist die Entwicklung der DDR in hohem Maße von
der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik und West-Berlins ab
hängig. Deshalb kann unser Auftrag an den Senat nur lauten: Im
Interesse der Menschen in der DDR sollen die wirtschaftlichen