Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
37. Sitzung vom 9. Oktober 1980
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Sen Dr. Glotz
(A) Zum Allgemeinen darf ich sagen: Ich habe eine ausführliche
Beantwortung schriftlich vorgelegl und allen Kollegen ins Fach
legen lassen. Ich nehme an, daß ich zumindest in diesem Punkt
die Übereinstimmung des ganzen Hauses finde, wenn ich zu
sichere, daß ich diese Beantwortung nicht über 15 Minuten hinaus
dehnen werde.
[Beifall]
Zur ersten Frage: Welche Ziele verfolgt die Berliner Forschungs
politik? Allgemeines Ziel, das auch allgemein hier im Hause ge
tragen wird - dies habe ich schon gesagt - ist: Berlin muß eines
der großen Forschungszentren der Bundesrepublik sein. Ich will
jetzt nicht, was ich in der schriftlichen Beantwortung ausführlich
getan habe, hinweisen auf die drei Max-Planck-Institute, das
Heinrich-Hertz-Institut, das Hahn-Meitner-Institut, die Bundes
anstalt für Materialprüfung, das Deutsche Institut für Wirtschafts
forschung und ihre Verzahnungen mit den beiden großen Univer
sitäten und auch teilweise den Fachhochschulen, soweit dies
schon gelungen ist.
[Zuruf des Abg. Boroffka (CDU)]
- Natürlich ist uns nicht schon alles gelungen, Herr Kollege Bo
roffka. Dies gelingt selbst sozial-liberalen Regierungen nicht
immer.
Warum ist das der Zielpunkt? - Lassen Sie mich drei Punkte
nennen. Erstens, weil wir hier die Chance haben, im Forschungs
bereich, einen allgemein beachteten Beitrag für ganz Deutsch
land und die Bundesrepublik durch die Forschungsarbeit, die hier
in Berlin geleistet wird, in der Tat zu liefern. Das ist das überre
gionale Leistungsangebot, zu dem wir uns verpflichtet haben und
zu dem wir uns weiter verpflichten wollen. Das ist der zweite
Aspekt, denn wir müssen Forschungspolitik betreiben für den
Wirtschaftsraum Berlin. Drittens, weil wir natürlich die hochqua
lifizierten Arbeitsplätze in diesem Forschungsbereich für ganz
Berlin brauchen. Die Anwesenheit von Spitzenforschung und
auch von Personal aus diesem Bereich ist von hoher Bedeutung.
Lassen Sie mich deshalb - übrigens ganz eindeutig - eine Dis
kussion einfach vom Tisch nehmen, ich nehme an, im Einver
ständnis von uns allen. Ich bekenne mich ganz eindeutig dage-.
(B) gen, daß es in unserer demokratischen Gesellschaft geschlossene
Eliten geben soll. Ich bekenne mich und bin - einig mit einer For
mulierung in der Regierungserklärung von 1979-auch ausdrück
lich dafür, daß wir unsere Spitzenforschung und ihre Spitzenlei
stungen im Nachwuchs - sozusagen kurz vor dem Nobelpreis -
gezielt fördern müssen. Wissenschaftliche Elitebildung in diesem
Sinn darf kein Tabu sein, meine Damen und Herren!
[Beifall]
In der Tat hat die Forschungspolitik seit 1977 etwas Neues ge
bracht, das ist der neue Akzent, der auf der wirtschaftsnahen For
schung liegt, das heißt also nicht mehr insbesondere eine ver
waltungsmäßige Betreuung der großen Universitäten und For
schungseinrichtungen, sondern eine gezielte Anregung von For
schung auch im Hinblick auf die Wirtschaft.
Sie wissen, daß in den letzten zehn Jahren überdurchschnitt
licher Arbeitsplatzabbau in Berlin ein Faktum ist. Dies ist nur be-
kämpfbar durch höhere Investitionen der Betriebe in Forschung
und Entwicklung. Wo wir dies fordern können, sollen und müssen
wir dies fordern!
Wir müssen dafür sorgen, daß überregional konkurrenzfähige
Produkte und Produktionsverfahren in Berlin entwickelt werden.
Denn ich glaube, wir stimmen alle darin überein, daß wir keinen
Berlin-Bonus wollen, weder mit unseren Forschungsergebnissen
noch mit unseren Produkten und Produktionsverfahren. Wir
wollen das nicht nach Berlin bekommen, weil wir in Berlin sind
und Berlin eine Aufgabe für ganz Deutschland ist, sondern weil
das, was wir in Berlin produzieren, im Forschungs- und Produk
tionsbereich besser ist oder mindestens genauso gut ist wie Kon
kurrenzprodukte von außerhalb. Das muß unser Ziel sein.
[Beifall bei der SPD]
Dabei haben wir eine wichtige, anregende Funktion des Staates.
Aber ich sage auch in aller Deutlichkeit, der Staat kann sich hier
nicht überheben, er hat keine leitende Funktion. Deswegen, Herr
Kollege Rass, würde ich auch die Parallele zum Stabilitätsgesetz,
die Sie gezogen haben, mit einer gewissen Vorsicht betrachten,
weil ich glaube, daß eine vergleichbare gesetzliche Regelung uns
in Schwierigkeiten bringen könnte. Die Interventionsmöglichkei
ten und -notwendigkeiten des Staates im wirtschaftspolitischen
Bereich sind sehr viel direkter als im forschungspolitischen Be
reich, wo wir es ja auch mit einem Bereich zu tun haben, der in
weiten Feldern, wie zwischen uns unstrittig ist, durch den Artikel
5 des Grundgesetzes geschützt ist und geschützt bleiben muß.
Also eine anregende Funktion und insbesondere, wie Sie es dar
gestellt haben, Herr Kollege Rass, eine kooperierende Funktion
zwischen Staat, Wirtschaft und selbstverständlich auch den Ge
werkschaften. Das heißt also, der Senat bekennt sich ausdrück
lich zu einer Forschungspolitik, die auf Modernisierung der Wirt
schaft ausgerichtet ist und die keine Berührungsängste zur Wirt
schaft kennt, die auf der anderen Seite aber auch sieht, daß sie
eine anregende Funktion hat, nicht aber etwa eine dirigistische
oder leitende Funktion.
Lassen Sie mich daran zur Beantwortung der Frage 1.5 einige
kurze Bemerkungen anschließen. Erstens: Wir haben in Berlin
besondere Chancen, denn wir sind ein geschlossener Wirtschafts
raum mit einmaliger stadtstruktureller, demographischer und
sozialer Vielfalt. Wir haben also sehr gute Voraussetzungen für die
modellhafte Bewältigung von Problemen, die auch in der Bundes
republik und anderen Industriegesellschaften auftreten, die man
aber ganz besonders gut bei uns modellhaft ausprobieren kann.
Wir müssen den Mut haben zur Schwerpunktsetzung. Der Senat
hat ihn gehabt, und wir haben Prioritäten gesetzt bei der Energie
forschung, bei der kommunikalions- und nachrichtentechnischen
Forschung und außerdem bei der Verkehrsforschung. An diesen
drei Punkten könnte ich jetzt im einzelnen aufzeigen, wie wir z. B.
bei unserem Versuch mit Methanol-Autos einerseits die Energie
einsparung und andererseits die Erprobung von anderen Treib
stoffen in Berlin besonders gut erproben können, weil wir hier
ein Netz von Tankstellen aufbauen können, was in einem Flächen
land nicht in gleicher Weise möglich wäre. Diese Chancen. Berlin
als Ort modellhafter Erprobung für die neuere Forschungsent
wicklung zu nutzen, sollten wir unbedingt wahrnehmen.
Zweite Feststellung: Wir müssen dafür sorgen, daß das, was er
forscht wird, auch konkret in der Industrie umgesetzt wird. Herr
Kollege Rass, Sie haben die Frage gestellt, wie es mit der kleinen
und mittleren Industrie aussieht. Natürlich muß ich darauf ant
worten: Es sieht unterschiedlich aus. Aber richtig ist, daß es hier
noch erhebliche Problemgruppen gibt, die der Forschung auf
grund ihrer Struktur skeptisch gegenüberstehen. Dieses müssen
wir überwinden. Wir haben dazu eine Reihe von Initiativen ergrif
fen und eine Reihe von Institutionen geschaffen. Ich nenne die
Technologie Transfer-Agentur, ich nenne insbesondere das vom
VDI getragene Technologiezentrum, das auf eine bestimmte
Branche zielt. Ich glaube, das ist eine der wirklich zukunftsträch
tigen Möglichkeiten, nämlich in bezug auf die Mikroelektronik.
Ich nenne als Beispiel die Anlaufstelle der Technischen Univer
sität und auch der Technischen Fachhochschule. Und ich nenne
als Möglichkeit den Forschungsförderungsfonds des Senats, der
hier auch anschieben kann, Anträge mitfinanzieren kann, die häu
fig kommen, Herr Kollege Boroffka, wo Betriebe und Institutionen
vorhanden sind, die da sagen: Wir möchten gern ein großes Pro
jekt des Forschungsministeriums akquirieren, aber es kostet uns
100 000,- DM, den Antrag zu formulieren, wo nehmen wir dieses
Geld her? - Dies ist die Lücke, die wir mit dem Forschungsförde
rungsfonds schließen wollten und die wir damit auch schließen
werden.
Dritte Bemerkung: In der Tat ist eine soziale Orientierung der
Forschungspolitik ganz unumgänglich. Die technologische Ent
wicklung ist nämlich keine neutrale Entwicklung, meine Damen
„und Herren. Sie kann neue Arbeitsplätze schaffen, sie kann be
stehende Arbeitsplätze humanisieren, das gibt es, aber sie kann
gleichzeitig zur Dequalifizierung beitragen, und sie kann Arbeits
plätze wegrationalisieren, die nicht wieder neu entstehen. Des
wegen ist es notwendig, daß wir alle Betroffenen schon im Sta
dium der Entwicklung von Forschung mit in diesen Entwicklungs
prozeß hineinziehen. Deswegen ist ein Dialog, an dem auch die
Gewerkschaften beteiligt sind, aber genau die Industrie, dringend
notwendig, und deswegen fordert der Senat diesen Dialog.
[Beifall bei der SPD]
Dazu ist auch eine sozialwissenschaftliche Begleitung notwen
dig. Auch das kann und soll in Berlin gemacht werden. Ich sage
allerdings dazu, es ist nur sinnvoll, wenn die Sozial wissenschaftler
in einem ständigen und praxisbezogenen Dialog mit den Betrie
ben stehen und sich nicht in Projekten vergraben, die abgehoben
von der Entwicklung im Labor oder im Betrieb vor sich gehen.
Hier muß man also zwischen Begleitforschung und Begleitfor
schung unterscheiden und auch einen kritischen Dialog mit der
(Cj lf