Path:
Volume Nr. 34, 18. September 1980

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
34. Sitzung vom 18. September 1980 
Momper 
vorhanden sind. Wir meinen, und darüber sollten wir heute disku 
tieren, daß es darauf ankommt, eine Politik zu machen, die in ab 
sehbarer Zeit dazu führt, daß diese Rate wesentlich gesenkt wird 
und daß junge Menschen, wenn sie aus der Schule kommen, noch 
keine Schäden an den Zähnen haben, so daß sie wirklich von sich 
sagen können, sie sind noch gesund. - Schönen Dank! 
[Beifall bei der SPD und der F.D.P.] 
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort zur Begründung hat Herr 
Senator Pätzold. 
Pätzold, Senator für Gesundheit und Umweltschutz: Herr Prä 
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantworte 
die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der F.D.P. für den 
Senat wie folgt: Zahnerkrankungen gehören zu den am weitesten 
verbreiteten Zivilisationskrankheiten. Sie quälen nicht nur die 
Menschen, sondern sie binden eine große Zahl von Fachkräften 
und verursachen ständig steigende Kosten. Wenn es gelingen 
würde, durch vorbeugende Maßnahmen vor allem die Karies oder 
Zahnfäule, die schon im Kleinkindalter einsetzt, einzudämmen, 
würden erhebliche Ressourcen im Gesundheitsbereich frei und 
damit für andere Zwecke verfügbar. Die Ursachen dafür, daß nur 5 
von 100 Kindern bei der Schulentlassung ein völlig kariesfreies, 
also ein wirklich gesundes Gebiß haben, liegen oftmals in 
falschen Eßgewohnheiten, vor allem aber in mangelhafter Zahn 
pflege. Weniger Süßigkeiten , mehr Nahrungsbestandteile, die 
zum Kauen zwingen, und mindestens zweimal täglich, vor allem 
abends, eine gründliche Reinigung der Zähne; wenn diese ein 
fachen Regeln beachtet würden, brauchten nicht so viele Kinder 
Angst vor dem Zahnarzt zu haben. 
[Beifall bei der F.D.P,] 
Über eine andere wirksame Vorbeugungsmaßnahme wird in 
letzter Zeit wieder viel diskutiert: die Fluoridierung des Trink 
wassers. Daß die Zahnsubslanz härter und widerstandsfähiger 
wird, wenn dem Körper Fluor zugeführt wird, ist erwiesen. Der 
Streit geht weniger um das Ob als um das Wie. Zusätze zum Trink 
wasser kommen einer Zwangsmedikation gleich und werden 
auch wegen denkbarer Nachteile für die Gesundheit wie für die 
Umwelt von manchen Fachleuten abgelehnt. In der Schweiz kann 
man mit Fluor versetztes Salz kaufen und so entscheiden, ob man 
diesen Weg der Prophylaxe wählen will oder nicht. Bei uns ist 
auch das nicht ohne weiteres möglich, weil bundesgesetzliche 
Vorschriften zunächst einmal grundsätzlich verbieten, Lebens 
mittel mit Zusätzen zu versehen. Doch soll dazu von Berlin aus ein 
Vorstoß auf Bundesebene unternommen werden. 
Wir haben uns in unserer Stadt vor Jahren entschlossen, allen 
Kindern, die einen Kindergarten besuchen, Fluortäglich inTablet- 
tenform zu verabreichen, obwohl eine ununterbrochene Vorbeu 
gung auf diese Weise wegen ferienbedingter oder anderer Fehl 
zeiten nicht möglich ist. Auf jeden Fall wollen wir uns mit der Frage 
der Vorbeugung durch Fluor nachdrücklich auseinandersetzen, 
sei es über das Salz, durch Tabletten oder auch durch Einbürstun 
gen oder Spülungen. Das eine oder andere Angebot sollte der 
Bevölkerung künftig breit zur Verfügung stehen. 
Nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen beantworte ich die 
einzelnen, recht umfänglichen Fragen, die von den Fraktionen der 
SPD und der F.D.P. gestellt worden sind, für den Senat auch des 
halb gern, weil ich dabei wiederum Gelegenheit habe, auch auf 
die Arbeit der Jugendzahnpflege in den Gesundheitsämtern hin 
zuweisen. Vielen Eltern ist wahrscheinlich gar nicht hinreichend 
bewußt, daß nicht nur regelmäßige zahnärztliche Reihenunter 
suchungen durchgeführt werden, sondern daß ihnen die Zahn 
ärzte in den Gesundheitsämtern auch zur Beratung im Interesse 
ihrer Kinder zur Verfügung stehen. 
Zu Frage 1: Die weite Verbreitung der Zahn-, Mund- und Kie 
fernkrankheiten bei Jugendlichen hat in Berlin schon frühzeitig 
dazu geführt, diesem Übel insbesondere durch den Aufbau einer 
öffentlichen Jugendzahnpflege entgegenzutreten. 
Die Beobachtungen in den letzten Jahren haben gezeigt, daß 
die Zahnkaries bei Jugendlichen zwar in fast allen Altersgruppen, 
aber nur geringfügig zurückgegangen ist. Sie ist noch immer be 
sorgniserregend hoch. So wurden 1968 bei 95% der untersuch 
ten 13- bis 14jährigen Karies der bleibenden Gebisse festgestellt. 
Bei der gleichen Personengruppe waren es 1978 noch immer 
92%, also nur ein Rückgang um 3%. 
Die Behandlung der Karies ist in Berlin grundsätzlich sicher 
gestellt. Niedergelassene Zahnärzte stehen dafür in ausreichen 
der Zahl zur Verfügung. Einen verhältnismäßig kleinen Kreis von 
behandlungsbedürftigen Jugendlichen, der besonderer Hilfe 
bedarf, behandelt der Zahnärztliche Dienst der Gesundheits 
ämter. Das gilt für die sogenannten Restanten - Jugendliche, die 
trotz wiederholter Aufforderung des Zahnärztlichen Dienstes 
nicht bereit sind, einen niedergelassenen Zahnarzt aufzusuchen 
- und für solche körperlich und geistig Behinderten, bei denen 
aus unterschiedlichen Gründen die Behandlung sonst unterblei 
ben würde. In unserem neuen Gesetz über den öffentlichen 
Gesundheitsdienst ist erstmals ausdrücklich verankert, daß zur 
Beratung und Betreuung auch die Behandlung treten kann, wenn 
sie notwendig ist und es anderweitig zu keiner Behandlung 
kommt. 
Im Einvernehmen mit den Eltern hat der Zahnärztliche Dienst 
auch bisher schon erforderliche Sanierungsmaßnahmen bei 
Restanten durchgeführt. 
Dem Engpaß in der zahnärztlichen Versorgung von Jugend 
lichen, die wegen der Art ihrer Behinderung bisher nur in der Poli 
klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten der FU in der 
Aßmannshauser Straße unter Narkose behandelt werden konn 
ten, wird in Kürze abgeholfen sein. Voraussichtlich Ende dieses 
Jahres wird im Christophorus-Kinderkrankenhaus eine neue 
Behandlungseinheit für diese Behinderten ihre Arbeit auf 
nehmen. 
Über mögliche Veränderungen in der Häufigkeit von Kiefer 
anomalien lassen sich anhand der vorliegenden Angabe der 
Zahnärztlichen Dienste zur Zeit keine Aussagen machen, weil 
sich die wissenschaftlichen Ansichten über die Klassifikation der 
Kieferanomalien und über die Behandlungsbedürftigkeit geän 
dert haben. Die ermittelten Zahlen sind daher nicht vergleichbar. 
In der Vergangenheit sind über einen längeren Zeitraum 
Schwierigkeiten aufgetreten, kieferorthopädische Behandlungen 
rechtzeitig durchführen zu lassen. Seit knapp zwei Jahren sind 
dem Senat keine Beschwerden mehr vorgetragen worden. Die 
Behandlung von Kieferanomalien durch niedergelassene Kiefer 
orthopäden und in Einzelfällen - zum Beispiel bei Heimkindern - 
durch Kieferorthopäden des Zahnärztlichen Dienstes kann 
gegenwärtig als sichergestellt angesehen werden. 
Zu Frage 2: Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Zahnärzt 
lichen Dienstes ist seit August dieses Jahres § 21 des neuen Ge 
setzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst. Im einzelnen 
sind die Aufgaben in den - wie sie heißen - „Richtlinien für den 
Zahnärztlichen Dienst“ von 1977 beschrieben. Sie beinhalten ins 
besondere die regelmäßige, jährliche zahnärztliche Unter 
suchung Jugendlicher von drei bis 18 Jahren im Zahn-, Mund-und 
Kieferbereich. Der Zahnärztliche Dienst führt vorbeugende Maß 
nahmen durch, veranlaßt Behandlungen, sorgt für nachgehende 
Gesundheitshilfe und unterrichtet im Rahmen der Gesundheits 
erziehung über zweckmäßige Ernährung und sachgemäße Zahn- 
und Mundpflege. 
Zur Betreuung Jugendlicher im Alter von drei bis 18 Jahren und 
darüber hinaus der Schüler bis zur Beendigung der Schulzeit 
sowie der Behinderten in Jugendwerkheimen werden Reihen 
untersuchungen durchgeführt und Sprechstunden abgehalten. 
Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei - wie bereits ausge 
führt - geistig und körperlich behinderte Kinder. 
Der Zahnärztliche Dienst in Berlin ist im Vergleich zur öffent 
lichen Jugendzahnpflege in anderen Großstädten in der Bundes 
republik Deutschland personell gut ausgestattet. Augenblicklich 
gilt ein Personalschlüssel von einem Zahnarzt und einem Zahn 
arzthelfer auf 6 000 zu untersuchende Jugendliche, der aber tat 
sächlich nicht überall erreicht wird. Im Jahr 1976 konnten zum 
Beispiel in Bremen wegen eines wesentlich ungünstigeren Per 
sonalschlüssels von einem Zahnarzt auf 18 000 Schüler nur
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.