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Volume Nr. 29, 12. Juni 1980

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
29. Sitzung vom 12. Juni 1980 
1292 
Glerich 
A) Sicherheitsabstand, Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Vor- 
( fahrt, Geschwindigkeitsüberschreitung, Alkoholeinfluß, Neben 
einanderfahren, fehlerhafter Fahrtstreifenwechsel, falsches Ver 
halten gegenüber Fußgängern, falsche Straßenbenutzung, Über 
holen, also zum überwiegenden Teil durchaus vermeidbare Fehl 
handlungen. Noch ein Beispiel aus dem Jahr 1978: Bei 1 000 Un 
fällen waren in Berlin 18 durch mangelnden Sicherheitsabstand 
verursacht, in Hamburg nur 7,5 und in Bremen 10,8. Wir meinen 
übrigens, daß bei dem von uns vorgeschlagenen freiwilligen 
Autofahrertraining insbesondere vermittelt werden sollte, wel 
chen Einfluß die Psychologie aut das Fahrverhalten haben kann, 
so daß der Autofahrer später bewußt aggressive Stimmungen ab 
bauen könnte, bevor er sich ans Lenkrad setzt. 
Der Autofahrer sollte sich zur eigenen Sicherheit und der seiner 
Mitmenschen freiwillig einer Nachschulung oder der Auffrischung 
seiner Fahrkenntnisse stellen. 
Zu Punkt 7; Es ist fast unerklärlich, daß es seit Jahren unver 
änderte Unfallschwerpunkte gibt, wie zum Beispiel Afrikanische 
Straße / Seestraße, Vorkstraße / Katzbachstraße, Hauptstraße/ 
Dominicusstraße. Diese sind seit Jahren bekannt. Wir sind der 
Meinung, wenn diese Unfallschwerpunkte nicht kurzfristig bau 
lich oder auf andere Weise zu entschärfen sind, dann sollte eben 
ein Verkehrsschild den Autofahrer warnen, daß er sich hier einem 
Unfallschwerpunkt nähert, der jahrelang ein solcher gewesen ist. 
Die automatische Verkehrsüberwachungskamera, im Fach 
jargon AVÜK genannt, sollte der Verkehrssicherheit dienen. 
Was ist daraus geworden? Aus Angst, geblitzt zu werden, treten 
viele Autofahrer plötzlich vor der Kreuzung auf die Bremse, der 
Hintermann fährt auf. Die Autofahrer in Berlin halten - wie wir 
vorhin schon mit den Zahlen bewiesen haben - zu wenig Abstand. 
Das Problem ist auch bekannt, und wenn man dazu die Tabelle 
sieht zu den 21 Einsatzstellen mit automatischer Verkehrsüber 
wachungskamera, dann stellt man fest, es ereigneten sich in 
Fahrtrichtung zur Kamera 233 Verkehrsunfälle, und als die Ka 
mera noch nicht montiert war 116 Verkehrsunfälle; das ist eine 
Veränderung um 100%. Die Unfälle mit Querverkehr haben um 
26,7% abgenommen, ich weiß nicht, wie das zueinander im Ver 
hältnis steht. Aus diesem Resultat heraus meinen wir, daß es viel 
B) besser wäre, wenn der Kraftfahrer sich auf diese Situation ein 
stellen könnte. 
Zu Punkt 9: Da denken wirzum Beispiel an Untersuchungen von 
Professor Günter Hoffmann. Es ist erwiesen, daß bei Regen 
fällen das Unfallrisiko auf der Stadtautobahn um 180% steigt, bei 
Hauptverkehrsstraßen um 70%, an Kreuzungen um 90%. Aus 
diesem Beispiel läßt sich ablesen, daß die Berliner Autofahrer ihre 
Fahrweise eben nicht dem Wetter und den Fahrbahnverhält 
nissen anpassen. 
Ein anderes Beispiel wäre die atmosphärische Wetterlage: 
Wettereinflüsse können die Reaktionszeit und die Konzentration 
verringern. Experten behaupten, daß ungefähr 20% aller Unfälle 
durch diese Wettereinflüsse zumindest stark mit verursacht wer 
den; deshalb meinen wir, daß Warnungen in dieser Richtung beim 
Wetterdienst berücksichtigt werden könnten. In diesem Zusam 
menhang sei noch einmal an die Hamburger Aktion „Kritische 
Wetterlage" erinnert. Was den Hamburgern Erfolg brachte, würde 
uns sicherlich auch helfen. Wenn in Hamburg die Erfahrungen 
positiv waren, so scheinen die Gründe des Senats, in Berlin es 
nicht wenigstens ähnlich zu versuchen, sehr wenig verständlich. 
Der Punkt 10 des Antrages sollte eigentlich selbstverständlich 
sein. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. 
< Beifall bei der CDU und der F.D.P. > 
Stellv. Präsident Sickert; Das Wort zur Beantwortung hat Herr 
Senator Lüder, 
Luder, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft und Verkehr: 
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Senat hat in seiner 
Regierungserklärung vom 31. Mai letzten Jahres dargelegt, daß er 
in dieser Legislaturperiode ein Verkehrssicherheitsprogramm 
erarbeiten wird, unter der besonderen Berücksichtigung der Ge 
fährdung von Kindern, Senioren und Behinderten. 
Die Verkehrssicherheit in Berlin muß erhöht werden. Es ist und 
bleibt erschreckend, daß wir jährlich eine große Zahl getöteter 
oder verletzter Menschen beklagen müssen. Jeder im Straßen 
verkehr getötete oder verletzte Mitbürger ist einer zuviel. Beson 
ders die erschütternden Bilder verunglückter Kinder machen 
deutlich, wie sehr alle politisch Verantwortlichen gefordert 
sind, hier Lösungsmöglichkeiten für diese Problematik zu erarbei- (C) 
ten. 
Die steigende Fahrzeugdichte und die hohe Zahl der Verkehrs 
bewegungen hat in allen großstädtischen Ballungsräumen zu au 
ßerordentlichen Belastungen jedes einzelnen Bürgers geführt. 
Wir haben auch in Berlin nicht zuletzt durch die hohen Unfall 
zahlen eine Grenze erreicht, die zum Umdenken zwingt. Die ge 
fahrlose Fortbewegung als Fußgänger oder Radfahrer ist mit ganz 
entscheidende Voraussetzung für eine Form des humanen Zu 
sammenlebens, die für das soziale Funktionieren unserer Gesell 
schaft unverzichtbar ist. Eine zentrale Aufgabe von Staat und Ge 
sellschaft muß es deshalb sein, Menschenleben zu schützen und 
die Lebensqualität der Bürger in ihrem Wohnumteld zu verbes 
sern. 
In der Verkehrspolilik muß die Verkehrssicherheit ein Schwer 
punkt bleiben. Der Senat hat in der Vergangenheit vielfältige Akti 
vitäten entwickelt, um die Verkehrssicherheit in dieser Stadt zu 
verbessern. Ich werde dies bei der Beantwortung der einzelnen 
Fragen noch näher ausführen. Generell gilt aber, daß im Berich 
der Verkehrssicherheit noch wesentlich mehr getan werden muß, 
um die Unfallzahlen zu senken. Ich muß aber zugleich vor über 
triebenen Erwartungen warnen, denn eines ist sicher: Ein Allheil 
mittel gegen Unfalltod und Verletzung auf der Straße gibt es nicht. 
< Beifall bei der SPD > 
Ich begrüße es, daß das Abgeordnetenhaus heute Gelegenheit 
hat, sich mit der wichtigen Frage der Verkehrssicherheit zu be 
schäftigen. Der Schutz von Menschenleben ist eine Aufgabe, die 
uns alle angeht, über die Grenzen der drei Fraktionen dieses Hau 
ses hinaus. 
< Beifall bei der SPD > 
Lassen Sie mich nun im folgenden zu den einzelnen Fragenkom 
plexen Stellung nehmen: 
Zu 1: Ihre Frage muß, wie sie gestellt ist, bejaht werden. Dieser 
Aussage liegt der Vergleich der Unfallentwicklung in den Städten 
Berlin, Köln, München, Hamburg und Frankfurt zugrunde. Es han 
delt sich zwar bei diesen Städten um Ballungsgebiete des Ver 
kehrs, dennoch bestehen erhebliche Zweifel daran, ob es letztlich (C) 
mit Berlin vergleichbare Ballungsräume sind. Eine Bewertung des 
Vergleichs war bisher wegen bestehender Kapazitätsengpässe 
beim Statistischen Landesamt nicht möglich. 
Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß die Erfas 
sungsdichte der Verkehrsunfälle in den verschiedenen Gebieten 
unterschiedlich ist. Voneinander abweichen dürfte auch die je 
weilige Bereitschaft der Verkehrsteilnehmer, einen Verkehrsunfall 
durch die Polizei aufnehmen zu lassen. Im Interesse der Unfall 
bekämpfung und der Feststellung von Unfallschwerpunkten wer 
den in Berlin seit Jahren möglichst alle Verkehrtsunfälle lückenlos 
erfaßt. 
Die Aussagekraft der Ergebnisse des Städtevergleichs muß da 
her mit Zurückhaltung betrachtet werden. Der Senat ist bereit zu 
prüfen, ob ein Forschungsauftrag in Auftrag gegeben werden 
kann, um Vergleichsmöglichkeiten zu erhalten. Ein solcher For 
schungsauftrag erscheint ihm jedoch nur sinnvoll, wenn er zu 
gleich Anknüpfungspunkte für die Unfallursachenbekämpfung 
als Ergebnis ausweist. 
Zu 2: Es ist nicht beweisbar, daß in den letzten Jahren die Un 
fallzahl parallel zu der Zahl der Kraftfahrzeuge gestiegen ist. Das 
Verhältnis der Zahl der Unfälle zur Zahl der Kraftfahrzeuge läßt 
sich, je nach der Wahl des Bezugsjahres, bestimmen. 
Es ist daher bedenklich, die Unfallzahlen direkt ins Verhältnis 
zum Kraftfahrzeug zu setzen. Vielmehr muß eine Vielzahl von 
Faktoren berücksichtigt werden. Die Jahresfahrleistung der 
Kraftfahrzeuge, die Altersstruktur der Verkehrsteilnehmer, Witte 
rungsverhältnisse und anderes mehr. Wenn dies beachtet wird, 
ergibt sich, daß die Zahl der Unfälle mit Personenschaden nicht 
„parallel" zur Zahl der Kraftfahrzeuge gestiegen ist. 
Der Senat zieht selbstverständlich - um auf den Text der Frage 
zurückzukommen - Konsequenzen aus dem Umstand, daß der 
Straßenverkehr auch mit Verkehrsunfällen verbunden ist. Für ihn 
ist die Hebung der Verkehrssicherheit eine Daueraufgabe. 
Grundlagen der Verkehrssicherheit sind 
- Verkehrssicherung durch Verkehrsführung 
- Verkehrsregelung und Verbesserung der Verkehrswege 
- Verkehrsüberwachung
	        
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