Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
29. Sitzung vom 12. Juni 1980
1278
(A) Stellv. Präsident Baetge; Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der
Abgeordnete Oxfort.
Oxfort (F.D.P.): Darf ich, Herr Regierender Bürgermeister, auf
Ihr Dementi zum ersten Teil der Frage davon ausgehen, daß die
Wiedervereinigung für die politische Auffassung des Senats von
Berlin dieselbe zentrale Position einnimmt, wie sie dies die gan
zen Jahre hindurch in Berlin gehabt hat?
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürgermeister, Sie
haben das Wort.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Selbstverständlich dürfen
Sie davon ausgehen, Herr Abgeordneter Oxfort, denn der Regie
rende Bürgermeister sagt im Ausland nichts anderes als hier in
Berlin und hier im Abgeordnetenhaus von Berlin.
< Beifall bei der SPD >
Stellv. Präsident Baetge: Nunmehr hat das Wort der Abgeord
nete Rzepka zu einer Zusatzfrage.
Rzepka (CDU): Herr Regierender Bürgermeister! Erstens: Kön
nen Sie diesem Hause sagen, wie Ihre Äußerungen in Amerika tat
sächlich gelautet haben, und können Sie zweitens hier dem Ein
druck entgegentreten, der durch Ihre Äußerungen entstanden ist,
daß nämlich der Regierende Bürgermeister zwischen Friedens
sicherungspolitik und Wiedervereinigungspolitik einen Gegen
satz sieht?
Stellv. Präsident Baetge: Zur Beantwortung hat das Wort der
Regierende Bürgermeister.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Ich sehe darin keinen
Gegensatz, wohl aber eine Frage, die sich hinsichtlich der zeitli
chen Folge ergibt. Ich darf Ihnen den Text meiner Ausführungen
vorlesen, die ich in Amerika so formuliert habe, wie auch in Berlin
schon häufig geschehen.
Ich zitiere:
m Das militärische und politische Gleichgewicht zwischen
dem westlichen und dem östlichen Bündnis, von dem ich
schon vorhin sprach, ist die entscheidende Voraussetzung
für die Aufrechterhaltung des Friedens und zugleich eine
wesentliche Ursache zur Aufrechterhaltung derTeilung un
serer Stadt und unseres Landes. Diese politische Lage
schließt eine wesentliche Machtverschiebung gerade in
Mitteleuropa aus, die notwendig wäre, um die Wiederver
einigung der Stadt oder des Landes zu ermöglichen. Es ist
für uns Berliner schwer gewesen, erkennen zu müssen, daß
unser nationales Ziel, die Wiedervereinigung, aufgrund die
ser Lage in weite Ferne rückt, zurückstehen muß hinter der
weit wichtigeren Aufgabe, den Frieden zu sichern. Wir Ber
liner, wir in Deutschland sind bereit, mit dem Status quo zu
leben unter der Voraussetzung, daß die Folgen der Teilung
durch eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen Ost und
West gemindert und ein erträgliches Nebeneinander zwi
schen West- und Ostdeutschland erreicht wird.
< Beifall bei der SPD >
Stellv. Präsident Baetge: Herr Abgeordneter Feilcke, Sie haben
das Wort zu einer Zusatzfrage. Bitte schön!
Feilcke (CDU): Herr Regierender Bürgermeister! Ist diese Inter
pretation der von Ihnen vorgelesenen Passage zulässig: 1. Die Er
haltung des Machtgleichgewichts ist die Voraussetzung für die
Erhaltung des Friedens. 2. Eine Wiedervereinigung Deutschlands
würde dieses Machtgleichgewicht stören. 3. Demzufolge ist eine
friedliche Wiedervereinigung oder eine Wiedervereinigung über
haupt ein Störfakfor im Hinblick auf das Friedensziel, und insofern
müssen wir uns an die Teilung als endgültigen Zustand gewöh
nen?
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürgermeister, Sie
haben das Wort zur Beantwortung.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Ich würde Ihnen gern mit
einem Zitat antworten, und zwar aus einer Rede, die Bundesprä
sident Walter Scheel gehalten hat, eine Rede, die überschrieben
ist: „Von der Einheit Deutschlands“ und die aus Anlaß der 25. Wie
derkehr des Tages der deutschen Einheit im Plenarsaal des Deut
schen Bundestages gehalten wurde. Walter Scheel sagte:
Die Einheit Deutschlands wird das Ergebnis eines langen
historischen Prozesses sein. Wenn sie realisierbar wird,
wird uns die Geschichte auch die Formen anbieten, die
dann an derzeit sind. Das beste, was wir bis dahin tun kön
nen, ist, dem Frieden zu dienen. Wir wollen den Frieden,
weil wir die Einheit Deutschlands wollen. Wir wollen den
Frieden, weil er der einzig gangbare Weg zur deutschen
Einheit ist.
Und weiter:
Es liegt doch klar auf der Hand, daß die Einheit Deutsch
lands gegen den Willen der Sowjetunion nicht zu erreichen
sein wird. Folglich muß es unser Ziel sein, die Lage in Europa
so zu stabilisieren, daß die Sowjetunion die Einheit
Deutschlands wollen kann.
Ich sehe meine Ausführungen genau deckungsgleich
< Adler (CDU): Das stimmt eben nicht! >
mit den Ausführungen, die der frühere Bundespräsident zum
Thema gemacht hat.
< Beifall bei der SPD >
Stellv. Präsident Baetge: Zu einer Zusatzfrage hat Herr Abge
ordneter Rzepka das Wort.
Rzepka (CDU); Herr Regierender Bürgermeister! Teilen Sie
meine Auffassung nach dem Anhören dieser beiden Beiträge, daß
der Bundespräsident Scheel in dieser Passage offensichtlich
Friedenspolitik als Voraussetzung für Wiedervereinigungspolitik
ansieht, während Sie mit Ihrem Redebeitrag einen Gegensatz
zwischen Friedenspolitik und Wiedervereinigungspolitik kon
struieren?
< Beifall bei der CDU >
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürgermeister, Sie
haben das Wort zur Beantwortung.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Diese Auffassung teile ich
nicht, weil das Eintreten für die Aufrechterhaltung des Gleichge
wichts gleichbedeutend ist mit dem Eintreten für die Aufrechter
haltung des Friedens in Mitteleuropa. Das muß unser erstes Ziel
sein,
< Beifall bei der SPD und der F.D.P. >
und deshalb gibt es keinen Widerspruch zwischen den beiden
Äußerungen.
Stellv. Präsident Baetge; Als nächster hat das Wort Herr Abge
ordneter Dr. Wruck. Bitte schön!
Dr. Wruck (CDU): Herr Regierender Bürgermeister! Teilen Sie
die Auffassung, daß zumindest durch Ihre mißverständlichen
Äußerungen
< Stach (SPD): Wieso denn mißverständlich? >
in den Vereinigten Staaten nicht der Wille der deutschen Bevölke
rung zur Wiedervereinigung gefördert wird?
Stellv. Präsident Baetge: Bitte schön, Herr Regierender Bür
germeister, Sie haben das Wort.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Ich weiß nicht, Herr Abge
ordneter, warum Sie den Regierenden Bürgermeister anders be
handeln wollen als den Präsidenten des Abgeordnetenhauses.
Uns beiden ist etwas passiert, was im Ausland gelegentlich vor
kommt: daß dort ansässige Agenturjournalisten mißverständlich
nach Hause berichten. Ich finde, wir sollten uns gegenseitig kon
zedieren, daß dies geschehen kann. Wenn Sie sagen, daß meine
Ausführungen mißverständlich sind - Sie beziehen sich auf diese
Agenturmeldung -, dann kann ich das eben nur bedauern, denn
diese Agenturmeldung entsprach nicht meiner Rede. Im übrigen
stehe ich zu dem, was ich hier inhaltlich zur Frage der Wiederver
einigung gesagt habe.
< Beifall bei der SPD und der F.D.P. >