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Volume Nr. 26, 8. Mai 1980

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
26. Sitzung vom 8. Mai 1980 
1142 
Hauff 
(A) es so haben; dies ist die Richtung, die wir für richtig halten. Das 
muß sich allerdings auch bewähren, und wenn es sich nicht be 
währt, wäre jeder verantwortungsvolle Politiker auch verpflichtet, 
< Zuruf; Zurückzutreten! > 
später Korrekturen vorzunehmen. Wir sind die letzten, die Kinder 
krankheiten beschönigen wollten, und es hat in den letzten zwölf 
Jahren gerade in der Phase der quantitativen Ausdehnung dieses 
Schultyps verständlicherweise Kinderkrankheiten gegeben. Wie 
gesagt: Wir wollen sie nicht beschönigen - wir wollen sie aber 
auch nicht verallgemeinern und vor allem nicht festschreiben. Das 
ist eines der Motive, daß wir zum nächsten Schuljahr hoffen, eine 
Klärung bestimmter Fragen für die betroffenen Schulen herbei 
zuführen. 
Ich will auf die baulichen Probleme nicht eingehen. Sie haben 
oft die pädagogischen Probleme überlagert, aber wenn ich die 
heutige Debatte betrachte, sind wir offensichtlich auch hier auf 
dem Wege, diesen Fehler des Überlagerns nicht allzu weit zu 
treiben. Deswegen will ich nicht weiter darauf eingehen, vor allem 
auch deswegen, weil es Schritte zur Verbesserung gibt. Man ist 
daran, die Probleme zu lösen, wie alle Interessierten wissen. 
Wir möchten, und dies ist eine Frage, die sich in Richtung Senat 
stellt, gern wissen, wann wir mit den neuen Ausführungsvorschrif 
ten zu rechnen haben, denn die Praktiker in den Schulen, Schüler, 
Lehrer, aber auch Eltern möchten sich rechtzeitig vor dem neuen 
Schuljahr auf die neuen Spielregeln einstellen können, möchten 
wissen, was sich verändert hat, was ähnlich sein wird. Der auf 
merksame Zeitungsleser kann natürlich sehr vieles schon erken 
nen, aber es wäre gut, die Ausführungsvorschriften so bald wie 
möglich zu bekommen. 
Wir erhoffen uns, daß in diesen neuen Regelungen die bis 
herigen Erfahrungen ausgewertet werden, daß an der Wirklichkeit 
orientierte Rahmenregelungen zustande kommen oder beibehal 
ten werden, soweit das geht, und wir halten Flexibilität für einen 
sehr hohen Wert, der sich hier niederschlagen sollte; auch mög 
lichst viel Eigenverantwortung für die einzelne Schule und - last, 
not least - auch möglichst gute pädagogische Bedingungen für 
den einzelnen Schüler, wenn ich etwa an die Frage der Bezugs- 
(B) person oder auch das Heimatgefühl in der Gruppe der Schüler 
denke. 
Wer integriert, und dies ist ja im Begriff der Gesamtschule ent 
halten, muß auch differenzieren. Es wäre töricht, Differenzierung 
insgesamt und pauschal abzulehnen, das würde dem Schultyp 
und auch ganz allgemeinen pädagogischen Erkenntnissen wider 
sprechen. Ich möchte aber auch klar sagen, daß eine solche 
Differenzierung nicht unbedingt ein vertikales Schubladensystem 
sein muß; das Ziel dabei muß vielmehr sein, der Lernsituation des 
einzelnen Schülers gerecht zu werden, sich daran zu orientieren. 
Ich bin ganz sicher, daß wir innerhalb der nächsten Monate hier 
Gutes erfahren werden. 
Ich habe mich beim Zuhören der Begründung der Großen An 
frage gewundert, daß die Kollegin Fluhr jene doch wichtige Schul 
ausschuß-Sitzung im September letzten Jahres nicht mehr in Er 
innerung hatte, weil ich es auch vom Verfahren her in der bildungs 
politischen Auseinandersetzung für fair halte - und das ist ein 
gutes Beispiel -, daß man neue Erkenntnisse im parlamenta 
rischen Bereich zur Kenntnis gibt. Das hat der Schulsenator da 
mals getan, als er am 24.9.1979 sagte, daß Gesamtschulen und 
Oberstufen als Dauereinrichtung dann vertretbar seien, wenn sie 
sich im Einzelfall bewähren und als lebensfähig erweisen. Das ist 
eine Formel, die mir sehr ausgewogen erscheint, die auch in Ber 
lin keinen Aufruhr erzeugt hat, und die - wenn ich es recht 
beurteile -, heute informell akzeptiert ist. Ich habe bisher keine 
grundsätzliche Kritik an einer solch ausgewogenen Marschroute 
gehört. 
Ich will aber noch einen allgemeineren Gedanken hier hinzu 
fügen, weil wir gerade beim Reden über die Gesamtschule immer 
wieder der Versuchung widerstehen müssen, uns über äußerliche 
Kategorien zu sehr zu erregen: 
Schulformen sind wichtig. Ich wäre der Letzte, das zu leugnen, 
auch aus Erfahrung. Aber, die Lehrer sind - so meinen manche 
Experten - sogar noch wichtiger. Es gibt Experten, die sagen, daß 
Lehrer wichtiger als Schulformen sind. Wenn dies richtig ist - ich 
teile diese Auffassung -, dann wird man auch gelassener über 
Gesamtschulen und andere Schulformen reden, ganz gleichgültig, 
ob man dazu kritisch oder positiv eingestellt ist. Ich finde, wir 
haben nach wie vor, was das Diskussionsniveau und die Atmo 
sphäre angeht, die Chance in unserem Land, gerade in Berlin diese 
Fragen weiterzudiskutieren, denn Berlin war und ist Schritt 
macher bei der Einführung und der Weiterentwicklung der Ge 
samtschule. Unsere positive Zuwendung zur Gesamtschule, poli 
tisch und pädagogisch, ist auch in Zukunft gewiß. - Ich danke 
Ihnen. 
< Beifall bei der SPD und der F.D.P. > 
Präsident Lorenz: Das Wort hat der Abgeordnete Kayser. 
Kayser (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir 
alle wissen, daß das Thema Gesamtschule in Berlin je nach poli 
tischer Vorprägung ganz bestimmte Raster bei den Zuhörern 
entstehen läßt. Die einen gucken nur auf das, was ihnen nicht 
gefällt, und die anderen gucken nur auf das, was sie besonders 
gut finden, ohne daß eine nüchterne öffentliche Abwägung statt 
findet, was im Berliner Gesamtschulsystem überprüfenswert ist. 
Die Diskussion in Berlin ist sehr ausgeprägt wegen des sehr 
großen Schülerjahrgangsanteils an Siebt- bis Zehntklässlern ei 
nerseits und jetzt auch weiter wegen der eingelagerten gymnasi 
alen Oberstufen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß alle vor 
handenen Schwierigkeiten nicht Schwierigkeiten des Systems Ge 
samtschule oder des Prinzips Gesamtschule sind, sondern daß 
eine ganze Menge Geburtsfehler und Startprobleme im Nach 
hinein im Wege der Reparatur an einem fahrenden Zug gelöst 
werden müssen. 
Die Schwierigkeiten haben sich im unterrichtlichen und im 
curricularen Bereich dadurch ergeben, daß der sehr hohe Anteil 
von Berufsanfängern in den quantitativ schlagartig hingestellten 
und nicht mit richtiger Personalvorsorge vorbereiteten Schulen 
gezwungen wurde, sich während des Einarbeitens in den neuen 
Beruf gleichzeitig mit den Schwierigkeiten eines Bausystems zu 
beschäftigen, das doch eine ganze Menge ungelöster Probleme 
bis heute offengelassen hat. Ich will die Einzelheiten nicht auf 
listen, sie sind uns alle bekannt. Es ist bloß die Frage, ob man diese 
technischen und strukturellen Anfangsprobleme als typischen 
Maßstab dafür nimmt, wie in Berlin Gesamtschule stattfindet oder 
Gesamtschule möglich ist. 
Die F.D.P. ist der Meinung, daß das Berliner Gesamtschul 
system als integriertes System unserem Ideal einer offenen Schule 
nahekommt, obgleich eine ganze Menge noch davon abweicht. 
Wenn ich nun auf einen Punkt eingehen darf, der in der Begrün 
dung angesprochen worden ist und der Frage 3 der CDU zugrunde 
liegt: das Thema Halbtagsbetrieb. Wir sind der Meinung, daß es 
nicht sinnvoll ist, die Attraktivität eines Schulsystems auf ganz be 
stimmte Zeiteinteilungen von Familien oder sozialen Schichten 
abzustellen. Eine Schule ist dann gut, wenn sie den Schülern die 
beste Möglichkeit bietet, ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten, 
und dazu gibt es viele pädagogische und organisatorische Mög 
lichkeiten. Es wäre völlig sinnlos zu sagen, nur die Realschule, 
nur die Hauptschule oder nur das Gymnasium seien in der Lage, 
diesem Prinzip gerecht zu werden. Das Gegenteil ist der Fall, das 
heißt, der gleitende Übergang zwischen verschiedenen Leistungs 
niveaus während der Entwicklung der individuellen Leistungs 
fähigkeit der Schüler ist das Ideal. 
Das wird in Berlin zwar gewährleistet, andererseits doch aber 
in ein zu enges System gepreßt, aber die damit zusammenhängen 
den Probleme werden Gott sei Dank von allen Beteiligten offen 
diskutiert. Das geht quer durch alle Lehrerverbände und geht auch 
quer durch die betreffenden Mitwirkungsgremien nach dem 
Schulverfassungsgesetz: Etwa, ob denn nun das 50-Minuten- 
Modell mit den integrierten Hausarbeitszeiten besser ist oder ob 
man es ablösen soll durch das 45-Minuten Modell mit extra Zeiten 
fürHausarbeiten.obdieHausarbeitenüberhauptim Schulgebäude 
selbst abgewickelt werden müssen. Das sind alles Dinge, die man 
in die Disposition stellen sollte, Disposition der Schule, wie man 
auch - was ich für positiv hielte -davon abgehen sollte, die großen 
Lehrkörper der Gesamtschulen in Berlin unbedingt immer über 
einen Kamm zu scheren. Es wäre doch nicht schlimm, wenn eine 
Gesamtschule nur für 50% ihrer Schüler Halbtagsbetrieb vor 
sehen würde. Ich könnte mir gut vorstellen, daß dadurch manche 
Strukturprobleme, die in ungünstigen Einzugsbereichen einiger 
jetzt in Schwierigkeiten befindlicher Schulen liegen, behebbar 
wären. Ich könnte mirgut vorstellen, daß manche Überlastung des 
einen oder anderen Gymnasiums oder der einen oder anderen 
Realschule sich dadurch abbauen ließe, wenn man an den Ge 
samtschulen von dem Zwang zum Ganztagsbetrieb wegkäme und 
dadurch eine breitere Verteilung der Schüler besser den jeweili 
gen familiären Interessen entsprechend zulassen würde.
	        
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