Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
26. Sitzung vom 8. Mai 1980
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Schürmann
(A) wenn es stark überspitzt ist: Die Beschlüsse der KMK sind eine
Diktatur der Kultusminister. Sie sind letztlich nicht demokratisch
kontrollierbar, weil in der KMK ein Vetorecht jedes einzelnen
Ministers besteht und die Kultusminister dann ihrem Heimat
parlament berichten, ein gefundener Kompromiß sei der einzig
machbare gewesen, und deshalb müsse das Parlament auch
ein entsprechendes Gesetz verabschieden. - Daher ist im Grunde
genommen die Regelung aller relevanten Schulabschlußent
scheidungen auf KMK-Ebene eine Infragestellung der Kultur
hoheit der Länder, ein Disziplinierungsinstrument der Landes
parlamente. Dies halte ich für bedenklich; die Landesparlamente
sollten gemeinsam dies zu überwinden trachten.
Weiter möchte ich kritisch anmerken, daß auch ich einige text
liche Schwachstellen festgestellt habe; nicht alles scheint mir
sprachlich richtig zu sein. Darüber werden wir im Ausschuß reden
müssen. Den breiten Teil der Berufsbildung wollen wir ebenfalls
diskutieren; ich bin nicht sicher, daß da alles ohne Wenn und
Aber akzeptiert werden kann. Dennoch kann ich Ihre Vorwürfe aus
unserer Sicht nicht teilen, Herr Kollege Ulzen. Die Invektive gegen
das zehnte Vollzeit-Pflichtschuljahr werden wir uns nicht zu eigen
machen. Wir halten dessen Einführung in Berlin für einen wich
tigen schulpolitischen Schritt nach vorn. - Vielen Dank!
< Beifall bei der SPD und der F.D.P. >
Alterspräsident Oesterlein: Das Wort hat der Abgeordnete
Kayser.
Kayser (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die Vorlage des Senats ändert zum wiederholten Male das Schul
gesetz. Man darf dabei aber nicht übersehen, daß das Schulrecht
kein statisches Gebilde ist, sondern daß Notwendigkeiten und
sinnvolle Änderungen im Laufe der Jahre natürlich auch rechtlich
ausgeprägt im Schulgesetz ihren Niederschlag finden müssen.
Insofern verstehe ich nicht - auch wenn Pädagogen in der Öffent
lichkeit ihr Herz dazu finden daß eine Änderung von Paragra
phen beklagt wird. Wie anders könnte denn überhaupt auf be
stimmte Abschlüsse hin unterrichtet werden, wenn nicht durch
rechtliche Regelungen die Gleichbehandlung und die Gleich-
wertigkeil dieses pädagogischen Geschehens vom Gesetzgeber
' B ' vorgeschrieben würde. Der negative Aspekt der Sorge um die
Verrechtlichung, als ob übertriebenermaßen oder sogar sinnlos
Vorschriften geändert werden würden, ist sowohl bei den vorlie
genden wie auch den letzten Änderungen des Schulgesetzes nicht
am Platze.
Nun zum Inhalt-ich will mich dazu kurz fassen. Die Übernahme
der Regelungen der gymnasialen Oberstufe mit ihrem Kurssystem
und einigen anderen Aspekten auf die Einrichtungen des Zweiten
Bildungsweges ist eine Notwendigkeit, die sich auf Bundesebene
aus vielen Gründen ergeben hat, hoffentlich wird sie nicht Tradi
tionen einzelner Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges ein
schneidend verändern. Wir müssen aber auch in Berlin die
bundesweit vorgesehenen Regelungen anwenden, wenn wir Wert
darauf legen, daß der gerade in Berlin stark ausgebaute Zweite
Bildungsweg mit seinen Abschlüssen weiterhin bundesweite An
erkennung finden soll. Ich möchte für meine Fraktion dazu an
merken, daß wir hoffen, daß diese Regelungen ein erwachsenen
gerechtes Lernen nicht erschweren, sondern es sichern. Ich hege
hierbei - im Gegensatz zum Kollegen Ulzen - die Erwartung, daß
die von der KMK im letzten Jahr beschlossenen Regelungen, die
in ihren wichtigen Abschnitten praktisch wörtlich Eingang in die
Vorlage gefunden haben, großzügig angewandt werden. Es darf
nicht dazu kommen, daß Schulaufsichtsbeamte darüber nach
sinnen, wie sie die pädagogisch nützlichen Spielräume, die auch
diese KMK-Vereinbarung noch übriggelassen hat, noch einengen
könnten. Wir meinen, daß erwachsenenbezogener Unterricht -
um den handelt es sich hier - auf die Voraussetzungen der Er
wachsenen eingehen muß. Man kann nicht davon ausgehen, daß
hierbei jemand kontinuierlich von einer Klasse in die andere auf
rückt und eben dann am Ende seines 12. oder 13. Schuljahres in
eine Prüfung geht.
Zum zweiten: Unsere gegenwärtigen Schulpflichtregelungen
haben eine ganze Menge Probleme aufgeworfen. Generell be
grüßt es die F.D.P., daß in behutsamer, aber auch kozeptionell
vorgeprägter Weise das Problem des Unterrichts für die aus
ländischen Kinder und Jugendlichen auf eine andere rechtliche
Basis gestellt wird. Sie dürfen nicht in ein System gezwängt wer
den, in das sie nicht hineinpassen, abgesehen davon - wenn man
an die jungen Leute aus der Türkei denkt -, daß sie zu Hause mit
unter die Schule schon seit Jahren nicht mehr von innen gesehen
haben. Es kann nicht funktionieren, wenn sie in fremder Um- (C)
gebung und in einer fremden Unterrichtssprache pro forma unter
richtet werden sollen. Zunehmende Schwierigkeiten beweisen
dies. Die vom Senat vorgeschlagene Regelung ist ein erfreulicher
Ansatzpunkt: Dort integrieren oder behutsame Schritte zur Inte
gration vorbereiten, wo es eben geht, und kein System aufstülpen,
das nur Gegenreaktionen auslöst, die dann größere Schwierig
keiten bereiteten, als uns lieb wäre.
Drittens: Die vorgesehene Änderung der Aufnahme von Kindern
in die Vorklasse ist aus praktischen Gründen eine vernünftige
Regelung. Es ist für Eltern sehr schwer verständlich, daß sie ihr
Kind ein Jahr später vorzeitig einschulen lassen können, auch
wenn der Geburtstag nicht einigermaßen mit dem Schulanfang
zusammentrifft.
Da bei den gleitenden Ferienterminen durchaus im September
der Beginn des Schuljahres sein kann, ist es sehr wohl eine Frage
der Gerechtigkeit und Billigkeit zu sagen: Wer bis zu diesem Zeit
punkt fünf Jahre alt ist, der mag in die Vorklasse gehen. Dies ist
insofern eine einsichtige Regelung, und ich glaube, daß wir des
wegen auch keine besonderen schulpsychologischen Unter
suchungen anzustellen brauchen, wie sie der Kollege Ulzen
als erforderlich oder sogar als fragwürdig hingestellt hat. Ich
unterstelle, daß die jetzigen Verfahren der Schulreifebeurteilung
ausgefeilt sind; derjenige, der kleine Kinder hat, der sowohl die
Untersuchung für die Aufnahme in die Vorklasse als auch zur
Einschulung kennt, der mag aus eigener Beobachtung sagen
können, daß hier nicht großzügig verfahren wird, sondern daß
man sich sehr genau ansieht, ob die altersgemäße Artikulations
fähigkeit und die intellektuelle Reife auch gegeben sind.
Alterspräsident Oesterlein: Herr Abgeordneter Kayser, ge
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zemla?
Kayser (F.D.P.): Ja, bitte!
Zemla (CDU): Herr Kollege Kayser, haben Sie einmal überlegt, (°)
um wieviel Vorschüler es sich bei dieser Terminsetzung, wie Sie
sie vorschlagen, handeln könnte und ob dann die Raumkapazität
an den Grundschulen noch ausreicht?
Kayser (F.D.P.): Herr Kollege Zemla, Sie wissen, daß es sich hier
um eine Kann-Bestimmung handelt. Ich will nicht annehmen, daß
jeder Elternteil von dieser Regelung Gebrauch machen wird, so
wie auch nicht jedes Kind, das fünf Jahre alt wird, deswegen nun
in die Vorschulgruppe der Kindertagesstätten angemeldet wird.
So ist hier die Entwicklung abzuwarten; nach meiner Einschät
zung wird es sich um eine Größenordnung handeln, die weit unter
tausend liegt, die der Kollege Ulzen vermutet. Ich würde mit hun
dert bis hundertfünfzig Kindern pro Jahr rechnen.
< Ulzen (CDU): Nein, Irrtum! >
- Na, Herr Kollege Ulzen, wenn Sie Ihr weises Haupt schütteln,
dann verstehe ich nicht den besorgten Hinweis auf den Null-Tarif
bei den Tagesstätten. Entweder ist das eine attraktiv oder das
andere. Sie können kaum davon ausgehen, daß Eltern ihre Kinder
in beide Einrichtungen schicken.
Zum vierten: Die Veränderung des Abiturtermins — künftig nur
noch einmal Abitur im Jahr - wird große technische und auch
pädagogische Erleichterungen in der gymnasialen Oberstufe zur
Folge haben, und wir begrüßen es, daß sich hier ein Besinnungs
prozeß in Berlin und anderen Bundesländern ergeben hat, indem
man von dem halbjährlichen Rhythmus, der zunächst als unab
änderlich und als besonderer Bestandteil der damaligen Reform
angesehen wurde, nunmehr abgehen kann.
Rundum läßt sich sagen, daß dieses Änderungsgesetz, das der
Senat dem Abgeordnetenhaus vorlegt - von in der Ausschuß
beratung noch nachzuprüfenden Details einmal abgesehen-, von
der Fraktion der F.D.P. unterstützt wird. Wir können dieser Vor
lage das Prädikat nüchtern, sachlich und sinnvoll geben, ohne
deswegen enthusiastisch zu sein. Es ist eine notwendige Maß
nahme. um das Schulgesetz den Erfordernissen anzupassen,
ohne dabei die pädagogischen Notwendigkeiten aus den Augen
zu verlieren. - Vielen Dank!
< Beifall bei der F.D.P. und der CDU >