Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
25. Sitzung vom 24, April 1980
Präsident Lorenz
A) lieh ist, wenn das Gleichgewicht der Kräfte durch eine entschlos
sene Verteidigungsbereitschaft und den Willen der verantwort
lichen Mächte gesichert wird, in Gesprächen Konflikte friedlich
beizulegen. Abgestimmtes, solidarisches Handeln aller Partner
im gegenwärtigen Konflikt stärkt das westliche Bündnis und si
chert die positiven Ergebnisse der Entspannung.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin bekundet seine Dankbarkeit
gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika,
der die Garantie seines Landes für Berlin gegenüber dem Regie
renden Bürgermeister erneut bekräftigt hat.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin bekundet seine Überzeu
gung, daß die Bevölkerung der Stadt ebenso eine aktive Solidari
tät Westeuropas mit den USA tatkräftig zu unterstützen bereit ist.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin bekundet seine Absicht, in
Pflege der guten Beziehungen zu Amerika und den anderen
Schutzmächten und im gemeinsamen Interesse die unmittelba
ren Kontakte zu den verantwortlichen Politikern und zu den Be
völkerungen der Alliierten zu verstärken.
< Beifall bei der CDU, der SPD und der F.D.P. >
Ich eröffne nunmehr die Aussprache über beide Verhandlungs
gegenstände. Das Wort hat der Abgeordnete Lummer.
Lummer (CDU); Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ge
meinsamkeit in den Fragen, um die es hier geht, ist nicht Unifor
mität aller Meinungen, sondern Gemeinsamkeit an dieser Stelle
ist notwendige Solidarität, wo es um die Grundlagen unserer
Existenz geht. Deshalb begrüßen wir es, daß es zu dieser gemein
samen Erklärung des Hauses, die der Präsident vorgetragen hat,
gekommen ist.
In mancher Regierungserklärung in der Vergangenheit hieß es,
unsere Sicherheit beruhe auf drei Säulen: den Garantien der
Alliierten, der Hilfe des Bundes und dem Willen der Berliner.
Wir alle wissen: Wenn nur eine Säule fehlt, fällt das Gebäude.
Die Alliierten, deren Anwesenheit unsere Sicherheit ist, kamen
1945 nicht als Freunde nach Berlin. Vielleicht war die Freund-
schaft nicht einmal programmiert. Aber die Berliner haben
schnell begriffen, wo sie ihre Freunde suchen mußten. Und die
Westmächte mußten ihr Bündnis mit der Sowjetunion überprüfen,
als sie erkannten, daß die Sowjetunion nicht bereit war, Demokra
tie und Selbstbestimmung zu gestatten. Der Wille, ein neues und
demokratisches Deutschland aufzubauen, stiftete die Vorausset
zung für eine Freundschaft zwischen Berlin und seinen Schutz
mächten. Die Bedrohung dieser Freiheit durch die Sowjetunion
stärkte und beschleunigte diese Entwicklung.
Es mag am Anfang auf beiden Seiten Zweifel gegeben haben,
aber nach mehr als drei Jahrzehnten können wir sagen, daß sich
diese Freundschaft bewährt hat; sie ist fast zur Selbstverständ
lichkeit geworden. Blockade, Ultimatum, Mauer waren Proben
der Bewährung für diese Freundschaft. Die Geschichte Berlins
hat gezeigt, daß die Säule der Garantien trägt. Für die Schutz
mächte war es nicht immer leicht, ihre Aufgabe zu erfüllen. Aber
sie haben sie erfüllt. Und es war nur natürlich, daß die größte
Macht auch die größte Last zu tragen hatte. Diese Macht, so hat
der Regierende Bürgermeister zutreffend formuliert, hatte es in
der Vergangenheit nicht nötig, irgend jemanden zu bitten. Und
auch wir werden uns erinnern; Wir konnten für diese Hilfe der
Alliierten - und insbesondere der Amerikaner- Dank sagen, konn
ten „Vergelt's Gott“ sagen. Aber jene Situation, wo man sich bei
ungleicher Verteilung der Lasten und der Hilfe einmal wünscht,
selber tatkräftig dabei zu sein, diese Chance, durch Taten Dank
zu sagen, die gab es bisher nicht.
Nun aber hat ein Terrorregime unschuldige amerikanische Gei
seln in Haft genommen. Ein anderes Gewaltregime hat unter Ver
letzung des Völkerrechts ein schwaches Land besetzt und schlägt
ihm tagtäglich neue blutige Wunden. Die ganze westliche Welt ist
dadurch bedroht und herausgefordert, und es ist nicht verwunder
lich, daß die Weltmacht Amerika dem nicht tatenlos Zusehen kann,
in ihrem Interesse nicht und in unserem Interesse nicht, meine
Damen und Herren. Deshalb war dies die Stunde einer Chance und
die Stunde der Pflicht für die Verbündeten. Und die Frage er
scheint erlaubt, ob wir die Notwendigkeiten dieser Stunde ange
messen erfüllt haben. Es gibt hier Meinungsverschiedenheiten,
die wir hier und heute nicht pflegen sollten. Aber wenn wir ge
meinsam die vorliegende Entschließung für nötig und richtig er
achten, dann ist dies zu einem Teil auch eine Antwort auf diese ge
stellte Frage.
Es ist viel geredet worden in den letzten Monaten. Wer sich der (C)
Worte mancher europäischer Politiker, Publizisten, Theologen
und gar Dichter erinnert, der muß sich gelegentlich fragen: Sitzt
denn eigentlich Amerika auf der Anklagebank und nicht vielmehr
die Sowjetunion?
< Beifall bei der CDU >
Nicht derjenige, so scheint es, der die Ursachen schaffte für
Unheil und Gefahr, stand im Mittelpunkt der Kritik, sondern der,
der sich gezwungen sah zu reagieren. Und wenn das so ist, wen
wundert da die Frage, die verbreitet in Amerika gestellt wird: Was
ist eigentlich ein Verbündeter? Und alle, die sich hier und dort
offiziell oder privat mit der öffentlichen Meinung in Amerika be
schäftigt haben, müssen einen wesentlichen Meinungsum
schwung fesfstellen. Enttäuschung war das treffende, charakteri
sierende Wort. Die Beziehungen sind belastet gewesen, sie sind
zum Teil gestört.
Gewiß beruhen die Beziehungen der Staaten in erster Linie auf
Interessen und politischem Kalkül. Aber solche Beziehungen
sind immer auch - gerade in freien Gesellschaften - personali
siert, nicht frei von Emotionen. Und wir hier in Berlin wissen das
im positiven wie im negativen Sinne besser als mancher andere.
In einer Demokratie kann Enttäuschung zu einem bestimmen
den politischen Faktor werden. Auch die amerikanische Demo
kratie kann sich nicht von derartigen Bewegungen trennen oder
sie einfach ignorieren. Wir aber brauchen den guten Willen der
amerikanischen Bürger und nicht deren Enttäuschung.
Eine amerikanische Regierung, deren Verbündete ihr in einer
dramatischen Krise nur zögernd folgen, könnte sich im umge
kehrten Falle eines ähnlichen Zögerns befleißigen. Und es ist nicht
viel Phantasie nötig, um zu erkennen, daß ein umgekehrter Fall,
der nämlich, daß wir bitten müssen, möglich ist; und dieses würde
für uns einiges bedeuten.
Man stellt heute ja gerne Fragen an die Geschichte. Vielleicht
müssen wir einfach ein paar Fragen an uns selber richten. Stellen
wir uns doch einmal vor: Wie hätten wir im Jahr des Mauerbaues
oder des 17. Juni 1953 reagiert? Hätten wir ernsthaft erwogen, an
einer Olympiade überhaupt teilzunehmen? Warum gibt es heute (D)
Zögern, wenn andere in nämlicher Weise betroffen und getroffen
sind? Ich meine, der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung,
der Regierende Bürgermeister haben eine Selbstverständlichkeit
ausgesprochen, die wir teilen, daß eine Teilnahme in dieser Situa
tion nicht möglich ist.
< Beifall bei der CDU >
Meine Damen und Herren, wohl auch diese Frage ist erlaubt: Wo
stünden wir in Europa heute, wenn die USA Hitlers Treiben in
Europa so hingenommen hätte, wie manche wünschen, daß wir
das Treiben der Sowjetunion hinnehmen?
< Beifall bei der CDU >
Ob man sich hier eines kategorischen Imperativs erinnert oder
nur des deutschen Sprichworts: Was du nicht willst, das man dir
tu, das füg’ auch keinem andern zu - es bleibt das gleiche: Soli
darität ist keine Einbahnstraße.
Wer eine entscheidende Säule unserer Berliner Existenz er
halten will, der muß jetzt wohl auch seine Stimme erheben. Wir
haben den großartigen geschichtlichen Vorgang erlebt, daß das
Notwendige, die amerikanischen, die alliierten Garantien, zur
Selbstverständlichkeit wurden. Wir haben ja auch erlebt, daß die
Politik der Entspannung hier bei uns mit dem Hinweis begründet
wurde, wir dürften uns nicht von den Amerikanern trennen. Wenn
die Trennung der Wege bei der Einführung dieser Politik als Ge
fahr empfunden wurde, dann wäre die Trennung heute bei der
Erhaltung einer solchen Politik mindestens eine gleichgroße
Gefahr. Deshalb erscheint es ganz unverständlich und wohl auch
falsch zu sagen, das eine sei unser Interesse, das andere die
Solidarität zu den USA. Dorf ist kein Widerspruch. Deshalb ist es
richtig zu sagen: Unser Interesse ist die Solidarität zu den Ver
einigten Staaten. Diese Erkenntnis ist dann richtig berücksichtigt,
wenn man den anderen nicht wider bessere eigene Ansicht unter
stützt, sondern wenn man einsieht, daß gemeinsames Verhalten
und Handeln notwendig sind, um die Voraussetzungen unserer
Existenz zu erhalten.
Mancherorts wird diese Selbstverständlichkeit in Frage ge
stellt. Deshalb erschien es uns notwendig, daß gerade das Ber
liner Parlament dieses bekundet und dieses begründet.
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