Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
50. Sitzung vom 12. März 1981
Wronski
( . (A) Nun zur Prognose. Das Problem der Prognosen besteht ja immer
■ 1 darin, daß sie etwas für die Zukunft aussagen sollen. Wenn wir
heute nach derzeitigem Wissensstand korrigierte Zuwachsraten
zur Kenntnis nehmen sollen, so gilt auch das aus der Retrospektive
in die Zukunft hinein Projizierte, Was passiert denn aber - auch das
muß bedacht werden -, wenn sich das Energie- und Verbrauchs
verhalten im Bereich Energie aus anderen Gründen beispielsweise
so verlagert, daß man zwar bei genereller Energiereduktion eine Be
vorzugung bestimmter Energiearten registrieren muß, und zwar ein
Umsteigen von bisher verwendetem Öl auf E-Energie, die aus guten
Gründen angestrebt wird, weil sie aus Kohle produziert wird? In
dem für viele sicher unverdächtigen Werk „Analysen und Progno
sen“ - neueste Ausgabe - wird unter anderem darauf hingewiesen,
daß mit einem Zuwachs an Elektro-Wärmepumpen zu rechnen sei -
und wir wünschen ja, daß ergänzend oder, wenn Sie so wollen,
alternativ Energie geschöpft wird - die in Berlin notgedrungen pri
mär voll auf den Einsatz von Elektrizität ausgerichtet sind. Denn es
kann ja wohl nicht angehen, Wärmepumpen vielleicht mit Öl zu be
feuern, wenn sie mit anderer Energie befeuert werden sollen - und
da besteht zwischen uns sicher Einigkeit - als mit Gas, Den Kom
plex Gas haben Sie hier abgehandelt; über den reden wir nur ab
1990!
Wenn der Verbraucher in Berlin dieses Angebot annimmt, dann
dürfen wir wohl erwarten, daß die Nachfrage nach elektrischer
Energie steigen wird und daß die Prognosen, die Sie heute regi
strieren mit 2,7 Prozent, möglicherweise korrigiert werden müssen.
[Wahl (F.D.P.): Zweite Stelle hinter dem Komma!]
- Ja, Sie wissen das immer ganz genau, ich weiß!
Eine weitere Möglichkeit der Trendverschiebung kann sich ja aus
der Preisschere ergeben. Es ist doch ganz realistisch zu sehen,
unter welchen Voraussetzungen in Berlin Stadtgas produziert wer
den muß - durch Benzinspaltung I Sie haben zu Recht darauf hinge
wiesen, daß die Preisbasis voll durchschlägt und vermutlich doch
nicht immer nur vom Steuerzahler gedeckt werden wird. Wenn wir
heute die Größenordnungen gehört haben: 180 Millionen Verluste
(B) im letzten Jahr, und die Prognose für die nächsten zwei Jahre lautet
250 und mehr Millionen, dann wird die Frage nach der Erhöhung
der Gastarife immer aktueller werden. Dann wird auch der Preis
vergleich zwischen Gas-Energie und Elektro-Energie für den Ver
braucher immer interessanter. Es ist also durchaus möglich, daß
das Verbraucherverhalten sich am Preis und mehr und mehr in
Richtung elektrische Energieabnahme orientiert.
[Momper (SPD): Das ist das Wunschdenken von
Firma Siemens vermutlich!]
Ich weise nur auf diese beiden Komponenten hin, die die Prognose,
was den Verbrauch an elektrischer Energie betrifft, durchaus an
ders aussehen lassen können als das, was zur Zeit Wissens- und
Erkenntnisstand ist.
Mir kommt es also auf zweierlei an: Einmal auf eine definitive Klä
rung der Senatsposition. Wir vertrauen Ihnen, Herr Dr. Brunner, in
Energiefragen mehr als Ihrem Kollegen Ueberhorst, um das gleich
vorweg zu sagen.
[Beifall bei der CDU]
Uns kommt es aber darauf an, eine Senatsmeinung zu hören, und
es kommt für uns vor allem darauf an, divergierende Senatsauffas
sungen für die Zukunft ein für allemal auszuräumen. Das ist das
eine.
Und mein zweites Anliegen war, auf die Relativität von Prognosen
hinzuweisen. Zwei Beispiele habe ich gebracht, die dem einen oder
anderen, der sich mit der Materie befaßt, vielleicht Anlaß zum Nach
denken geben wird. Im übrigen, ich stehe nicht an, Ihnen, Herr Dr.
Brunner, für Ihre Ausführungen zu danken. Sie haben ganz wesent
lich dazu beigetragen, Klarheit in die Köpfe einiger Energie-
Romantiker hineinzubringen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Stellv. Präsident Baetge: Als nächster hat das Wort der Ab
geordnete Gerald Lorenz.
[Adler (CDU): Hoffentlich hat die jemand anders
formuliert die Rede!]
Gerald Lorenz (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Herr Dr. Brunner hat es, wie ich meine, richtig gemacht und
sein Manuskript an seinem Platz liegen lassen; angesichts der fort
geschrittenen Stunde sollten sich die anderen Redner auch daran
halten.
Wir hätten in ein paar Wochen mit einigem Material über das
Thema diskutieren können, es ist ja einiges in der Schwebe - Ener
giebilanz, Fernwärmekonzeption, ein Bericht über ordnungspoli
tische Maßnahmen -, und es ist schade, daß wir nun auseinander
gehen.
[Feilcke (CDU): Ja, so schön wie es ist!
Palm (CDU): Jetzt schon? - Weitere Zurufe von der CDU]
- Ja, einige scheinen ja deshalb hier wie die Weltmeister reden zu
wollen, weil es vielleicht das letzte Mal für sie ist. Aber wir diskutie
ren heute, und zwar nicht aufgrund neuer Tatsachen, sondern weil
die CDU ein bißchen wahlkampfmäßig polemisieren wollte. Aber
es tut mir leid, wir werden in den Grundfragen wie bisher wohl ein
und derselben Auffassung sein.
Zunächst zum Kraftwerk Reuter West: Meine Fraktion unterstützt
dieses Vorhaben nach wie vor.
[Dr. Hassemer (CDU): Sehr gut! - Beifall bei der SPD]
Die Begründung dafür war bei uns nicht diese oder jene Prognose. .
Wir haben seit eh und je formuliert, daß wir selbstverständlich auch (
beim Bau dieses Kraftwerks große Anstrengungen machen wer
den, um Energie zu sparen. Dieses Kraftwerk wird nicht gebaut, da
mit anschließend auf Teufel komm raus in der Stadt Energie ver
braucht wird.
[Dr. Hassemer (CDU): Sehr gut! - Beifall bei der SPD]
Dieses Kraftwerk ist auch sinnvoll, wenn ein Energiepfad begangen
wird, der sich zwischen null und 2,7 Prozent Zuwachs bewegen
würde, ein Pfad, der sehr schwer zu gehen ist und der Anstrengun
gen für alle bedeuten würde. Wenn dieser Energiepfad, den wir an
streben - und da unterscheiden wir uns vielleicht von der CDU, - ,
ich meinte eben bei Herrn Wronski andere Töne zu hören -, began
gen wird, dann wird es nach dem Bau dieses Kraftwerks möglich
sein, nicht nur die Ölabhängigkeit bei der Elektrizitätsversorgung zu
reduzieren, das Kraftwerk Lichterfelde herunterzufahren, Gasturbi
nen weniger zu verwenden. Es wird auch möglich sein, das Kraft
werk Moabit zu sanieren, und es wird auch möglich sein - unter
dem Aspekt, daß wir diesen Energiepfad gehen können - den
Benson-Block mit 2,8 Megawatt herauszunehmen. Für die Ökolo
gen wäre dieses zum Beispiel die beste Begründung für dieses
Kraftwerk, denn der Benson-Block allein hat heute eine Immission
von 7 000 Tonnen SÖ 2 mit 208 Megawatt, während das neue Kraft
werk Reuter West rund 6 000 Tonnen S0 2 Immissionen haben
wird, obwohl es dreimal so groß ist. I
Ich glaube, daß alle Begründungen - welcher Energiepfad auch
gegangen wird - dieses Kraftwerk sinnvoll erscheinen lassen.
Ich möchte dann zu einem anderen Thema kommen. Wir alle
haben uns hier seit Jahren beteuert, daß wir den Bezug von Erdgas
auf das sehnlichste wünschen. Und wenn ich jetzt höre, daß dies
erst ab 1990 möglich sein soll, dann muß ich sagen, dies ist mir lei
der zu spät. Ich kann die Verantwortlichen nur dringend darum bit
ten, zu versuchen, das Verfahren zu beschleunigen. Der eigentliche
Bezug des Erdgases, der technische Vorgang, dauert ja wohl nicht
länger als zweieinhalb oder drei Jahre. Das jetzt noch die Explora
tion sich solange hinzieht, wird sich wohl nicht grundsätzlich
ändern lassen, aber die Planungsverfahren, die danach doch laufen
müssen, die könnte man doch möglicherweise schon früher
beginnen. Ich bitte auf jeden Fall sehr dringend darum, daß man hier
alle Überlegungen anstellt, damit wir vielleicht das Jahr 1987 anpei-
len können für den Erdgasbezug. Wenn dann - nach der heutigen
Planung - 1985 die Zuwachskapazitäten zu Ende gehen, die heute
vorhanden sind bei der Benzinspaltung, dann müßte man sich 1983
darüber im klaren geworden sein, wie man den Anschluß gewinnt
an den Erdgasbezug. Ich kann mir aus vielerlei Gründen nicht vor
stellen, daß wir 1985 von 8 000 neuen Anschlüssen plötzlich auf
Null runtergehen. Das kann die Branche beispielsweise doch gar
nicht verkraften, die dann vielleicht nach ein paar Jahren wieder voll
einsteigen soll. Hier muß also spätestens 1983 eine Entscheidung
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