Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
49. Sitzung vom 5. März 1981
Wronski
(A) sei - die Vorgabe von 40% Kostendeckungsgrad haben, dann
weichen wir damit immerhin um 50 % von dem Kostendeckungs
grad ab, den der VÖV - Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe -
sich selbst zur Norm gesetzt hat, nämlich 60%. Da sind wir
also schon gut bedient. Wir sollten uns alle in der nächsten
Legislaturperiode anstrengen, um diesem hehren Ziel der 40 % •
näherzukommen.
[Beifall des Abg. Thomas (SPD)]
Wenn dann die Kollegen, die es einbringen müssen - wahr
scheinlich wir -, es richtig begründen, dann können wir wohl auch
sicher sein, daß wir eine einvernehmliche Regelung dafür be
kommen.
Die Leitlinie kann also, wenn man über die S-Bahn redet, nur
sein, eine sinnvolle, abgestimmte Aufgabenverteilung der Ver
kehrsträger zu erreichen: S-Bahn - schnell, U-Bahn - ziemlich
schnell, Bus - relativ langsam. 50 km/h Reisegeschwindigkeit
prädestinieren ein Verkehrsmittel für bestimmte Aufgaben,
32 km/h mittlere Reisegeschwindigkeit ein anderes, 15 bis
18 km/h mittlere Reisegeschwindigkeit bleiben für ein Verkehrs
mittel übrig, und dieser Aufgabe muß sich dieses Verkehrsmittel
bewußt stellen, dem muß es sich einordnen. Wenn ich eine
solche Aufgabenverteilung hier andeute, bedeutet das natürlich
gleichzeitig, eine gewisse Vorstellung davon zu haben, was
^ man mit einer möglicherweise reaktivierten S-Bahn denn eigent-
P lieh machen sollte. Aus meiner begrenzten Sicht, die ich heute
habe, darf ich mal notieren: Es wird nicht dazu kommen können,
pauschal alle 145 Kilometer existentes S-Bahn-Gleisnetz zu
reaktivieren; einmal, weil es andere Verkehrsträger gibt, die da
schon eine Partie spielen, andererseits, weil natürlich die finan
ziellen Mittel begrenzt sind, schließlich aber, weil die Bedürfnisse
ganz offensichtlich bei diesem Schnellverkehrsmittel - S-Bahn -
schon rein optisch sichtbar beim Blick auf die Karte anders
gruppiert sind. Der Charakter des klassischen S-Bahn-Systems
hat stark gelitten durch die Zäsur 1961 - das wissen wir alle.
Von einem Ring kann nicht mehr gesprochen werden; heute
müssen die Bemühungen darauf abgestellt sein, die Rumpf
stücke des Ringes mit den Rumpfstücken der Magistralen, der
(B) Radialen nach Nord und Süd und nach West so sinnvoll mit
einander zu verknüpfen, daß daraus ein System werden kann,
daß das bei gleichzeitiger Einbindung des übrigen Schnell
verkehrssystems, des sehr modernen U-Bahn-Systems, zu einem
insgesamt integrierten schienengebundenen Schnellverkehrs
netz werden kann. Es besteht die realistische Möglichkeit, an
30 Punkten diese beiden Schnellverkehrssysteme miteinander
zu verknüpfen. In diese Richtung müssen - so es etwas wird -
die planerischen Ansätze gemacht werden.
Nicht zuletzt fordern ja auch ökonomische Überlegungen zu
einer solchen Betrachtung heraus: Wer erschrickt nicht, wenn
er registrieren muß, daß allein die 7,8 Kilometer U-Bahn, die
k jetzt auf der Linie 8 gebaut werden, nach dem Stand 14.10. 1980
r laut Bausenator 1 030 000 000 DM kosten werden. Das sind
doch Größenordnungen, die man erst wahrnimmt, wenn man
sie in der Gesamtbetrachtung aufgelistet bekommt. Wenn wir
Jahr für Jahr für 200 Mio DM U-Bahn bauen, dann ist das eine
Größenordnung, mit der man sich hier schon abgefunden hat.
Wenn man aber sieht, auf welches Ziel das hinausläuft, ist die
Frage notwendig: Wo ist das Ende der klassischen 200 Kilo
meter-Planung für die U-Bahn in dieser Stadt? Können wir sie
noch weiter betreiben? - Und den Naturschützern sage ich;
Denken Sie einmal ein bißchen darüber nach; Damit dort
im Zug der Linie 8 eine alte Baumallee im Bereich dieser
U-Bahnbaustrecke, ich glaube, von 23 Jahre alten Bäumen
geschont wird, sollen zusätzlich 50 Mio DM für einen Schild
vortrieb aufgewendet werden, damit man unter den Wurzeln
dieser Bäume, dieser 23, 24 Bäume, durchmarschieren kann.
Können uns diese Bäume, diese Wurzeln so wertvoll sein, daß
wir einen so hohen Anteil an Investitionsmitteln dafür auf
wenden? Könnte man nicht auch bei sorgfältiger Abwägung
sagen: Hier machen wir es mit dem notwendigen Aufwand, wenn
es denn schon sein muß? - Das nur einmal zum Nachdenken
in diesem Zusammenhang.
Was aber unabhängig von den bestehenden Planungsunter
lagen aus unserer Sicht erforderlich ist - und damit meine ich
die Nahverkehrskonzeption der Senatsplaner wäre eine
ergänzende integrierende Verkehrsplanung von Nichtsenats
planern - womit ich aber kein Mißtrauen gegen dieselben im
nachhinein hier vortragen will. Wir halten es schon für sinnvoll,
daß ähnlich wie in anderen Bereichen - wir haben eine An- (C)
regung zum Komplex Recycling gegeben - potente, auf dem
einschlägigen Markt vorhandene Andere - so möchte ich sie
einmal nennen, ohne hier irgend jemand präferenzieren zu wol
len -, andere Verkehrsteilnehmer, uns einmal ein integriertes Ver
kehrsnetz für die Stadt Berlin (West) mit der - wenn auch ganz
weiten - Perspektive einer künftigen Einbindung des gesamten
Areals Groß-Berlin erstellen, und zwar unter wirklich integrie
renden Gesichtspunkten, sowohl öffentlicher Personennahver
kehr wie auch Individualverkehr. Daß eine derartige Betrachtung
nicht ganz überflüsssig wäre, ist uns ja erst kürzlich wieder
durch das DIW vorgehalten worden.
Unbeirrt durch die finanziellen Belastungen, die auf die Indi
vidualisten in Deutschland zukommen - das Ende ist ja nicht
abzusehen, mal greift der Staat zu, mal greifen die Multis zu,
mal greifen andere zu, irgendeiner greift immer zu -, ist offenbar
der deutsche Individualist immer noch bereit, ganz gegen jede
ökonomische Vernunft über sein Vehikel einen immensen Bei
trag an Steueraufkommen beizubringen. Wehe dem Finanz-
minister, er müßte das registrieren, was der Energieminister
erhofft von dem Preis, dann würde er also einen Einbruch in
seine Steuereinnahmen erleben. Übrigens auch eine sehr gegen
sätzliche Argumentation, aber das ist eine Sache für den Bundes
tag, nicht für uns. Aber auch in Berlin merkt man, daß man
nicht gegensätzliche Interessen in gleiche Verpackungen tun
kann.
Also ein solches integriertes Gesamtverkehrskonzept für diese
Stadt ist nötig. Dazu gehören - und das ist mein Lieblingsthema,
und ich wiederhole es, und zwar deswegen, weil hier seit
Jahren ständig penetrant, hartnäckig gesündigt wird - die letzten
3,50 DM für die Anlage von Park-and-Ride-Plätzen. Wir leisten
uns in unserer Stadt mit einem Mords-Milliarden-Aufwand - ich
habe die Linie 8 eben zitiert, die ins Märkische Viertel geht - ein
Schnellverkehrsmittel, und bei den letzten paar Mark, an denen
sparen wir und verplempern damit die Chance, einen Wechsel
vom individuellen aufs öffentliche Nahverkehrsmittel zu erzielen
und anzulocken. Nach jahrelangem Reden darüber haben wir
jetzt sage und schreibe in Berlin (West) 500 Stellplätze, die
es einem Autofahrer ermöglichen, auf die U-Bahn umzusteigen.
Hamburg hat derzeit 7500 Stellplätze, München - wie gern (D)
sage ich das hier in diesem Zusammenhang - hat zur Zeit
8500 im Einzugsbereich seiner U-Bahn und steuert die 14 500 an.
Das ist Musik für Verkehrsplaner.
[Dr. Waller (SPD): Das kann man nicht vergleichen!]
Wie dörflich ist unser Niveau in diesem Punkt hier in Berlin!
Herr Bausenator, wenn Sie Gelegenheit haben sollten, da in
den nächsten Jahren einwirken zu können, das ist wichtig!
Ich kann Ihnen sagen, der nächste Bausenator muß das machen.
Denn wenn wir die Verkehrsprobleme auch von dieser Seite
her anpacken wollen, ist einfach nicht zu verstehen, warum
man die offen zutage liegenden Möglichkeiten nicht nutzt.
Eine weitere Überlegung sollte natürlich ein solcher integrierter
Verkehrsplan, und das wird er ja dann auch, berücksichtigen:
Im öffentlichen Verkehrsbereich verzeichnen wir, anders als in
den prognostizierten und bisher immer eingetretenen Zuwachs
raten im Individualverkehr, eine gewisse Stagnation, Seit Jahren
registrieren die öffentlichen Verkehrsmittel in unserer Stadt eine
jährliche Personenbeförderungszahl, die in einer Größenordnung
von 550 bis 560 Millionen liegt, alle beide zusammengerechnet.
Man kann die S-Bahn vernachlässigen, weil sie aus den bekannten
Gründen wenig Fahrgäste befördert. Zu gut Deutsch: Es stellt
sich hier die Frage, und die muß geprüft und beantwortet
werden, ist denn möglicherweise das Verkehrspotential, genauer
gesagt der Kundenkreis, für den öffentlichen Personenverkehr
schon ausgeschöpft? Werden künftige und seien es noch so
gewaltige Anstrengungen überhaupt neue Kundenkreise für den
öffentlichen Personennahverkehr aufschließen können? Eine
wichtige und notwendige Betrachtung, die vorher anzustellen
ist, bevor man weitere U-Bahn-Planungen und bevorman S-Bahn-
Reaktivierung und bevor man Schnellverkehrseinbindung in
einen Verbund hinein in Angriff nimmt.
Wr haben diese Große Anfrage unter die Überschrift „S-Bahn-
Planung“ gestellt, und ich möchte jetzt zu diesem außerordentlich
schwierigen —
[Frau Renner (SPD): Zum Thema!
- Rheinländer (SPD): Waren das die
Eingangsbemerkungen?]
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