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Volume Nr. 49, 5. März 1981

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
49. Sitzung vom 5. März 1981 
Diepgen 
es mit einer sehr starken militanten Kriminalität zu tun habe, mit 
der Bereitschaft zum Widerstand gegen die Staatsgewalt 
bei der Verfolgung von Rechtsbrüchen, in dem Augenblick will 
ich zurückweichen, und zwar nicht nur für wenige Tage, sondern 
- wie hier dieser Fall zeigt - für mehrere Monate. Damit schafft 
er den Nährboden dafür, daß jeder, der in dieser Stadt Rechts 
brüche begeht, je intensiver er in seiner kriminellen Einstellung 
ist, je krimineller er in seinen Handlungen ist, sich geschützt fühlt 
vor Strafverfolgungsmaßnahmen. Und dieses geht nicht! 
[Beifall bei der CDU] 
Dieses ist eine Verletzung der Grundlagen dieses Staates. Dazu 
gehört das Legalitätsprinzip, an das die Polizei genauso wie die 
Staatsanwaltschaft gebunden ist. Und wenn die Polizei hier 
meint, in Rückendeckung mit dem Senat, angefangen beim 
Regierenden Bürgermeister bis zum Innensenator, daß sie selbst 
sich in die Rolle versetzen kann, darüber zu entscheiden, ob die 
Maßnahmen der Gerichte richtig waren, dann löst sie eben das 
Gewaltenteilungsprinzip auf und führt diesen Staat nicht nur 
in eine Krise des Rechtsstaates, sondern auch in eine Krise 
der Demokratie, nämlich vor dem Hintergrund der Gewalten 
teilung und damit konstitutionellen Elementen der verfassungs 
mäßigen Ordnung. 
[Beifall bei der CDU] 
Herr Schneider hat hier besonders auf die Frage der Hausbe 
setzungen abgestellt. Ich halte dieses für eine absolute Verkür 
zung des Problems. Ich will auch etwas sagen zur Frage der Haus 
besetzungen und den Rechtsfragen, die insgesamt anstehen, 
weil man ja hierauf auch Antworten geben muß. Deswegen sage 
ich: 
1. Jeder verantwortliche Senat ist gehalten, Ermittlungser 
suchen der Staatsanwaltschaft und der Polizei und der Gerichte 
in angemessener Frist unverzüglich auszuführen. Das ist ein 
Element des Rechtsstaates! 
[Beifall bei der CDU] 
2. Zur Frage von besetzten Häusern. Wir haben jeweils in 
Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wenn 
entsprechende Ersuchen der Bürger vorliegen, auch dafür zu 
sorgen, daß diese ihr Eigentum nutzen können, und zwar im 
Rahmen der Gesetze, die auch diese Eigentümer binden. 
Wir haben im Regelfall auch diese Häuser zu räumen. Wer 
das nicht tut, der schafft genau die Voraussetzungen dafür, 
daß in dieser Stadt Bürger sich fragen müssen, wie sie ihre 
Rechte durchsetzen können und dann gegebenenfalls selbst 
Instrumente schaffen wollen, um ihre Rechte durchzusetzen. 
Das könnten wir alle nicht verantworten! Das dürften auch die 
ser Polizeipräsident und dieser Senat nicht verantworten kön 
nen! Ein Polizeipräsident, der übrigens durch seine Handlungs 
weise die Polizeibeamten demoralisiert und total verunsichert. 
[Zurufe von der SPD] 
Ich benutze diese Gelegenheit, den Polizeibeamten für ihren 
Einsatz zu danken und 
[Beifall bei der CDU] 
ihnen zu sagen: Sie sollen sich nicht beirren lassen. Das Legali 
tätsprinzip ist Grundlage unseres Rechtsstaates, und wir er 
warten von den Polizeibeamten - auch wenn sie verunsichert 
werden -, von ihren obersten Vorgesetzten, daß sie selbst 
auf der Grundlage des Legalitätsprinzips handeln. 
[Beifall bei der CDU - Momper (SPD): Was, selbst 
handeln? - Das kann doch nicht wahr sein; das ist 
doch ein Aufruf zum Ungehorsam! Das ist doch 
unmöglich! - Landowsyk (CDU): Schrippen-Momper!] 
- Herr Momper, melden Sie sich nachher zu Wort; Sie können 
dann auch Brötchen hier heraufbringen oder irgend etwas 
anderes. - Ich möchte noch eine letzte Bemerkung machen 
zur gesamtpolitischen Verantwortung: Hier geht es darum, hier 
auch herauszustellen, daß es nach meinem Eindruck nicht um 
die Frage geht: hier Polizeipräsident und dort Staatsanwalt 
schaft. Der Polizeipräsident handelt hier offensichtlich im Ein 
vernehmen mit dem Senat, in Verantwortung der Spitzen des (C) 
Senats und damit auch in Verantwortung des Regierenden 
Bürgermeisters. Der Regierende Bürgermeister hat gegenüber 
der Gewerkschaft der Polizei vor kurzem gesagt: Die Frage 
stellung sei richtig, ob man auf Dauer die Besetzung von Häu 
sern dulden kann. Die Antwort ist NEIN. Er tut aber in der Konse 
quenz genau das Gegenteil. 
[Hauff (SPD): Was?!] 
Und auch die Gesamtbegründung für die Zurückhaltung, man 
hätte Anlaß zu der Hoffnung, hinreichend differenzieren zu 
können in der Szene der Rechtsverletzungen, ist doch zunächst 
nur eine Spekulation. 
Ich halte fest: In den letzten Monaten gab es eine Vielzahl 
von zusätzlichen Hausbesetzungen, es gab eine Steigerung 
von etwa 25 Hausbesetzungen auf jetzt über 100 Hausbeset 
zungen, eine Ausdehnung des rechtsfreien Raumes, in dem 
unsere Rechts- und Sozialordnung offensichtlich nicht mehr 
Anwendung finden soll. Diese Verantwortung kann ein Staat, 
kann eine verantwortliche Regierung einfach nicht auf Dauer 
übernehmen. 
Meine Schlußbemerkung muß etwas resignierend klingen. 
Wenn wir es mit einer Koalition, mit einem Senat zu tun haben, 
der sich im Hinblick auf bevorstehende Termine offensichtlich 
auch nicht mehr frei fühlt, sich offensichtlich eingebunden fühlt 
in alle Zwänge, die wir in der Vergangenheit bereits erlebt haben, 
in alle Probleme der Sozialdemokratie, die über lange Jahre die 
Stadt in die gegenwärtige Situation getrieben haben, dann dürfen 
wir uns nicht wundern, wenn dieser Senat und dieser Regierende 
Bürgermeister weder die Kraft haben, sich von einem Justiz 
senator zu trennen, 
[Zurufe von der SPD] 
noch die Kraft finden werden, dafür Sorge zu tragen, daß die 
Polizei das tut, was ihre rechtliche Verpflichtung ist, um diesen 
Staat vor einer Rechtskrise, vor einer Verfassungskrise zu be 
wahren. 
[Anhaltender Beifall bei der CDU] ^ 
Präsident Lummer: Das Wort hat nun Kollege Hucklenbroich. 
Hucklenbroich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! ich möchte dieses Thema mit Engagement, aber ohne 
unangemessenen Eifer abhandeln. Ich finde, Einseitigkeit hilft 
uns hier nicht weiter. Wir stehen vor einem Konflikt zwischen 
der Staatsanwaltschaft und der Polizei; es geht um die Abwä 
gung von Rechtsgütern, um den Grundsatz der Verhältnismäßig 
keit. Die Staatsanwaltschaft muß die Durchsetzung von Straf 
verfolgungsmaßnahmen verlangen, die Polizei muß versuchen, 
eine Eskalation der Gewalt und Blutvergießen zu vermeiden. 
Dabei geht es übrigens, verehrte Kollegen von der CDU, nicht 
zuletzt auch um die Gesundheit der Beamten. 
[Beifall bei der CDU] 
Ich glaube, niemand wird bestreiten, daß es für beide Stand 
punkte überzeugende Argumente gibt. Um es bildhaft zu sagen: 
Die Staatsanwaltschaft beharrt auf dem Standpunkt, das Wie 
und das Wann dürften das Ob nicht in Frage stellen. Die Polizei 
vertritt die Auffassung, das Ob dürfe nicht so absolut gesetzt 
werden, daß das Wie nicht zu seinem Recht komme. Ent 
scheidend ist doch in diesem Zusammenhang, daß über das 
Ob Übereinstimmung besteht, und daß es nur darum gehen 
kann, die Ermittlungen für einen begrenzten Zeitraum auszu 
setzen. Das heißt also, um es ganz deutlich zu sagen: Aufge 
schoben ist nicht aufgehoben! 
[Landowsky (CDU): Na, na?] 
Wenn der Senat - das muß nun ganz kritisch gesehen und 
gedacht werden - auf Zeitgewinn setzt, dann muß klar sein, 
wie diese Zeit genutzt werden soll. Der Senat kann sich nicht 
darauf beschränken, Gewalttätigkeiten und Blutvergießen zu 
verhindern. Es muß versucht werden, in der Besetzerszene zu 
differenzieren und den harten Kern, für den die Wohnungsnot 
nur ein Aufhänger ist, soweit wie irgend möglich zu isolieren;
	        
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