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Volume Nr. 47, 12. Februar 1981

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
47. Sitzung vom 12. Februar 1981 
Giesel 
(A) Stadt müssen verstehen lernen, daß sie sich selbst unmittelbar in 
den Dienst echter Entwicklungshilfe stellen können! 
[Beifall bei der CDU] 
Hier muß insbesondere der Deutsche Entwicklungsdienst in Berlin 
viel stärker an die Öffentlichkeit treten, um die Erfüllung seiner welt 
weiten und schwierigen Aufgaben zu sichern. 
Übrigens, warum hat noch niemand diejenigen jungen Lehrer, die 
nach dem Studium nicht in den Schuldienst übernommen werden 
können, für eine Aufgabe in der Dritten Welt interessiert? Das wäre 
ja auch eine Möglichkeit, gewisse Probleme in dieser Stadt zu lösen. 
[Schmidt (CDU): Sehr gut!] 
Umgekehrt sind auch die Lehrer in der Schule angesprochen. Sie 
sollten - wie ich meine - verstärkt helfen, den jungen Menschen In 
formationen über die Probleme der Dritten Welt zu vermitteln, wie 
überhaupt Berlin sich als ein Zentrum entwicklungspolitischer In 
formation verstehen sollte. Das heißt, nicht allein für die Berliner 
selbst, auch für Besucher aus ganz Europa sollten in unserer Stadt 
angesichts der Vielfalt entsprechender qualifizierter Organisationen 
und Institutionen, die wir hier haben, Informationen nicht nur über 
die Berlin- und Deutschlandpolitik, sondern auch gerade über Pro 
bleme der Nord-Süd-Politik vermittelt werden. Im Grunde müßten 
aus allen europäischen Ländern spezielle Besuchergruppen - wie 
zum Beispiel Journalisten und andere Multiplikatoren - nach Berlin 
eingeladen werden, um neben der Berlin-Berichterstattung auch 
entwicklungspolitische Informationen zu erhalten. Ich glaube, Berlin 
könnte so in den achtziger Jahren zu einem herausragenden Infor 
mationsplatz in Europa werden. 
Ein weiterer zu betrachtender Gesichtspunkt ist die Behandlung 
von Studenten aus der Dritten Welt, die hier in Berlin studieren. 
Diese Ausländer sollen einmal die Elite ihrer Länder werden. Wir 
dürfen deshalb nicht zulassen, daß sie in unserer Stadt zu einer iso 
lierten Randgruppe werden. Wir müssen den Dialog mit ihnen su 
chen. Ich habe daher großes Verständnis für diesbezügliche Forde- 
(B) rungen etwa aus dem Bereich der Evangelischen Studenten 
gemeinde, die jüngst geäußert worden sind. Ich glaube, hier müs 
sen die Berliner einen neuen Anfang setzen! 
Ein letzter in dieser Großen Anfrage zu besprechender Komplex 
ist schließlich auch die Frage nach den Finanzen und der organisa 
torischen Behandlung des Auftrags der Entwicklungshilfe durch 
den Senat. Ich hatte schon darauf hingewiesen, daß es bedauerlich 
ist, daß im Verlauf der siebziger Jahre die Aufwendungen Berlins für 
die Entwicklungshilfe über lange Zeit systematisch verringert wor 
den sind, obwohl vor Jahren die Finanzsituation unseres Landes 
noch nicht so angespannt war wie heute. Auch hier erwarten wir 
eine deutliche Erklärung von seiten des Senats. Zum anderen müs 
sen wir nach wie vor feststellen - wir haben das gerade erst 1978 
hier in aller Breite diskutiert -, daß das Fehlen eines klaren entwick 
lungspolitischen Konzepts in Berlin auch fatale Auswirkungen auf 
die Zuständigkeiten im Senat hat. Insgesamt acht Senatsverwaltun- 
gen und die Senatskanzlei basteln im Grunde jede vor sich hin. Von 
einer echten Koordinierung oder gar Akzentsetzung durch die 
federführende Wirtschaftsverwaltung kann leider nicht gesprochen 
werden. Hier müßten grundsätzliche Änderungen vorgenommen 
werden. Aber, meine Damen und Herren, angesichts der jüngsten 
Entwicklungen ist sich die CDU-Fraktion darüber im klaren, daß 
dem jetzigen Senat sicherlich nicht die Zeit dafür bleiben wird. Die 
CDU ist deshalb gern bereit nach Übernahme der Regierungs 
verantwortung in dieser Stadt das Konzept für die Entwicklungs 
politik zu vollenden und vorzulegen. - Danke schön! 
(Beifall bei der CDU] 
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort zur Beantwortung hat Herr 
Bürgermeister und Senator für Wirtschaft und Verkehr Dr. Brunner. 
Dr. Brunner, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft und Ver 
kehr: Meine Damen und Herren! Zur letzten Bemerkung: Ich ver 
spreche mir zwar für einen solchen Fall eine Steigerung der Ent 
wicklungshilfe beim Weinbau; denn Sie importieren alle aus Rhein 
land-Pfalz. Aber ansonsten verspreche ich mir keine Verbesserung 
der Arbeit. 
[Boroffka (CDU); Nichts gegen den Weinbau in Berlin!] 
Ich teile Ihre Auffassung, daß es sehr wichtig ist, daß wir diese 
Dinge besser koordinieren. Ich möchte in den nächsten Wochen 
eine erste Bilanz zusammen mit allen Instituten, die hier am Ort tätig 
sind - und das sind wichtige Institute, es sind über ein Dutzend In 
stitute -, ziehen. Ich möchte als Folge dieser Bilanz sehen, auf wel 
chen Sektoren wir eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit Brüs 
sel, mit der Europäischen Gemeinschaft in Gang bringen können. 
Ich sehe hier verschiedene Möglichkeiten. Das Schwergewicht liegt 
bei der Ausbildung von Personal. Diese Sphären sind zunehmend 
erweitert worden. Inzwischen ist bei der Stiftung für Entwicklungs 
hilfe auch die Idee entwickelt worden, daß wir qualifiziertes diplo 
matisches Personal hier in Berlin ausbilden könnten. Bei dem Deut 
schen Entwicklungsdienst ist die Idee entwickelt worden, daß wir 
mehr Strukturhilfe in den Ländern am Ort geben könnten. Wir kön 
nen auch all unsere anderen Institutionen besser nutzen, zum Bei 
spiel das Messewesen, die Universitäten. Wir haben sehr viele 
Möglichkeiten. Ich möchte aber nicht ins Unreine sprechen. Ich 
möchte, daß wir zuerst die Bilanz ziehen; dann würde ich gern den 
Kommissar für Entwicklungsfragen aus Brüssel hierher einladen, 
um mit ihm konkret einige zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen. 
In der Tat ist es so, daß wir nicht nur verlangen dürfen, nicht nur 
fordern dürfen; wir müssen auch mehr geben. Wir liegen zwar - 
verglichen etwa mit Baden-Württemberg oder Hamburg - nicht 
schlecht in der Enwicklungshilfe, wir sind aber ein sehr großes Zen 
trum. Hier gibt es viele Institute, hier sind über 7000 Studenten aus 
Entwicklungsländern. Wir haben somit auch eine ganz besondere 
Verpflichtung. Wir müssen also für das nächste Haushaltsjahr eine 
Zunahme der Mittel anstreben. Ich hoffe, daß ich hierfür auch das 
Verständnis des Finanzsenators finden kann. Schließlich müssen 
wir erreichen, daß die Berliner, die schon jetzt sich dessen sehr 
wohl bewußt sind, wie die Dinge in den Entwicklungsländern lie 
gen, sich noch stärker für diese Dinge interessieren. 
Wenn heule in den Entwicklungsländern inzwischen wieder die 
Lebenserwartung stagniert und 20 Jahre unter dem Durchschnitts 
alter liegt, das ein Mensch in den Industrieländern erreicht, dann ist 
das ein sehr bedenkliches Symptom. Die Ölpreisexplosion, der 
Hunger auf der Welt das sind die Probleme, mit denen wir uns aus- 
einanderzuselzen haben, denn sonst geht der Welthandel kaputt, 
sonst geht die Solidarität unter den Menschen kaputt, und wir wer 
den letzten Endes in einer fragmentierten, verfeindeten Welt leben. 
Die Berliner wissen das, die Berliner sind stolz auf ihre Enwick- 
lungshilfeeinrichtungen; die Berliner können, indem sie sich an Ge 
sellschaften beteiligen, die sich diesen Zwecken widmen, wertvolle 
Arbeit leisten. Wir wollen die Berliner noch besser unterrichten; wir 
brauchen mehr Tage der offenen Tür. Wir brauchen mehr Verbin 
dung zwischen den ausländischen Studenten und den Berlinern. 
Ich verspreche mir insbesondere auch hier von öffentlichen Veran 
staltungen wie der Messe „Partner des Fortschritts" eine neue Zün 
dung; ich verspreche mir davon eine Stärkung unseres Berlins als 
einem Ausstrahlungspunkt für eine fortschrittliche, humane, welt 
offene Politik der Brüderlichkeit. - Vielen Dank! 
[Beifall bei der F.D.P. und bei der SPD] 
Stellv. Präsident Baetge: Ich eröffne die Besprechung. Das 
Wort hat Herr Kollege Dr. Hassemer. 
Dr. Hassemer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Wir haben heute unsere Sorgen diskutiert, die wir in Berlin ha 
ben, die Fragen der Hausbesetzungen, der Wohnungen und der 
Löhne. Und wir sprechen jetzt über Entwicklungshilfe und darüber, 
was dort eingentlich geschieht. Dort gibt es immer noch - Herr Se 
nator Dr. Brunner hat darauf hingewiesen - weiter und nicht vermin 
dert Verhungern und Verzweiflung in jeder Minute. Und man müßte 
eigentlich etwas nachdenklich werden, wenn man sich mal bewußt 
macht, welche Prioritäten wir als politisch agierende Leute uns 
selbst setzen. Man müßte fragen, ob wir es denn verantworten kön 
nen, auch hier in Berlin verantworten können, daß wir uns heißreden 
und Pläne machen, wenn es um unseren eigenen Topf geht und un 
sere eigenen Interessen vor unserer eigenen Tür betroffen sind. 
2016
	        
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