Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
42. Sitzung vom 11. Dezember 1980
1822
Wohlrabe
(A) über Berlin abgegeben haben. Das war doch eine Erklärung, die
nicht trennend war. Wenn Sie dann noch den Mut haben, fortzu
fahren in der Behauptung, die CDU habe stets nur „nein“ gesagt,
muß Ihnen einfach-es tut mir leid, dies sagen zu müssen - unred
liches Argumentieren unterstellt werden.
[Beifall bei der CDU]
Und nun frage ich einfach mal, auch etwas polemisch: Was hät
ten Sie bloß gemacht, wenn es keinen Kanzlerkandidaten Strauß
gegeben hätte?
[Hucklenbroich (F.D.P.): Wäre schwer geworden!]
Ich will das Thema anpacken. Ich renne davor nicht weg. Ich
möchte Ihnen dazu einmal folgendes sagen: Natürlich können Sie
CDU-Stimmen und auch CSU-Stimmen zitieren, die Ihre Behaup
tung—
[Glocke des Präsidenten)
Stellv. Präsident Beatge: Meine Herren auf der linken Seite
des Hauses, ich habe immer Verständnis dafür, daß Absprachen
getroffen werden müssen, aber es darf nicht soweit gehen, daß
die Sitzung behindert wird. Wenn Sie sich unterhalten wollen,
dann bitte draußen.
[Beifall bei der CDU]
Sie haben wieder das Wort, Herr Abgeordneter.
Wohlrabe (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident! - Natürlich kön
nen Sie CDU- und auch CSU-Stimmen zitieren, die Ihre Behaup
tung bestätigen. Bloß was beweist das? Sie haben schließlich
mehr Probleme mit Ihren linken Flügelmännern in der SPD als wir
mit unseren eigenen. Es wäre vermessen, wenn ich leugnen wür
de, daß manches CDU-Mitglied unsere Politik nicht hundertpro
zentig nachvollziehen kann und will. Das leugne ich gar nicht. Wir
haben da unsere Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Aber das
steht doch in gar keinem Verhältnis zu dem, was Sie in der SPD -
ich sage nicht Liebknecht-SPD - aber mit Ihrem Flügel der Lieb-
knecht-SPD haben.
[Beifall bei der CDU]
Sie müßten doch verzweifeln, wenn Sie daran denken, welche
Schwierigkeiten es dort gibt. Wir halten Ihnen dies heute bei der
Suche nach einer gemeinsamen Grundüberzeugung auch nicht
vor.
Und schließlich: Sie wissen ganz genau, Herr Stobbe, daß
Richard von Weizsäcker, Peter Lorenz, Eberhard Diepgen und
viele maßgebliche Politiker der Berliner CDU mit Ihnen in den
Grundlagen der Deutschland- und Berlin-Politik einer Meinung
sind. Trotzdem fahren Sie fort, Gräben aufzureißen, und schrek-
ken dabei nicht vor Unterstellungen und demagogischen Verdre
hungen, wie heute geschehen, zurück. Sie brauchen eben Ihr
Feindbild, sonst läuft nichts! Kommen Sie davon runter, seien Sie
selbstsicherer, etwas lässiger und damit auch ein überzeugende
rer Bürgermeister für diese Stadt.
[Beifall bei der CDU - Zuruf von der CDU; Mut! Mut!]
Das Begriffspaar „progressiv und reaktionär“ für die Entspan
nungspolitik einzusetzen, zeugt von der Bereitschaft, für den
Wahlkampf das möglichst niedrigste Niveau anzustreben und auf
dieser Basis Berlin-Politik zu betreiben. Das wollen wir nicht! Um
Kleinkariertheit im Denken und Handeln zu überwinden und um
Zeit für nützliche Initiativen zugunsten unserer Stadt zu gewin
nen, haben wir uns auf unsere gemeinsamen Grundlagen zu be
sinnen. Parteienstreit muß wieder mehr edler Wettstreit um die
besten Lösungen werden. Das verschafft uns auch wieder verlo
rengegangene Achtung beim Bürger zurück - denn da stehen wir
nicht immer so glänzend da.
Und schließlich ein kurzes Wort zu den Fragen, die gestellt wor
den sind: Deutsche Politik, Berliner Politik, Politik der CDU Berlin
in Richtung Osteuropa. Die deutsche Politik gegenüber Osteuropa
und der Sowjetunion ebenso wie die Berliner Politik gegenüber
der DDR muß in Zukunft wieder so angelegt werden, daß sie auf
einem Konsens beruhen kann. Wir sind uns einig, und ich darf das
hier einmal sagen und bitte insbesondere die sozialdemokratische
Fraktion zuzuhören, damit sie das draußen bei ihrer Diskussion
verwenden kann. Wir sind uns einig,
[Glocke des Präsidenten]
daß der Moskauer Vertrag, der Grundlagenvertrag mit der DDR,
das Viermächte-Abkommen über Berlin, das Urteil des Bundes
verfassungsgerichts, der UN-Beitritt und die Schlußakte von Hel
sinki nicht nur geltendes Recht sind, an das wir uns halten, son
dern daß dies vielmehr auch wichtigste, wesentliche Komponen
ten deutscher Außenpolitik und der Deutschland- und Berlin-
Politik überhaupt sind, die Völker- und verfassungsrechtlich rich
tig ausgelegt, aber auch politisch von allen gemeinsam intensiv
unterstützt werden muß.
[Beifall bei der CDU]
Das ist der Kernsatz unserer Aussage, und ich bitte Sie, für die vor
uns liegenden Jahre gemeinsamer Arbeit dies zur Kenntnis zu
nehmen, zu beherzigen und zu wissen, daß das die Basis der CDU-
Fraktion, die politische Basis unserer parlamentarischen Arbeit
hier in diesem Hause sein wird.
[Beifall bei der CDU]
Und ich sage auch gern ein Wort zur Abrüstung, damit ein für
allemal —
[Abg. Thomas (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage]
- Wenn der Kollege Bodo etwas zur Abrüstung sagen will.
Stellv. Präsident Baetge: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wohlrabe (CDU): Ja, bitte!
Stellv. Präsident Baetge: Bitte, Herr Thomas, dann haben Sie
das Wort.
Thomas (SPD): Herr Kollege Wohlrabe, wenn Sie dies hier so
prägnant erklären, darf ich Sie fragen, ob Sie dann auch bereit
sind, innerhalb Ihrer Partei Vertretern wie Herrn Dr. Becher ent
gegenzutreten, die diese Verträge als Schandverträge bezeichnet
haben?
[Beifall bei der SPD]
Wohlrabe (CDU): Das war ich schon 1972/73 - nachlesbar in
Bundestagsprotokollen!
[Thomas (SPD); Das war noch in diesem Jahr!]
- Entschuldigen Sie bitte, ich wiederhole mich doch nicht lau
fend, meine Grundhaltung ist bekannt und die meiner Freunde
hier ebenfalls. Das ist doch selbstverständlich. Sehen Sie, ich
könnte Ihnen doch nun zum Beispiel Egon Bahr verhalten, lieber
Kollege Thomas, das führt aber nicht weiter. Wir haben beide Kol
legen in unseren Parteien, die den Dissens fördern. Und es ist so
gar deren Recht, daß es solche Mitglieder gibt, nur man kann sie
nicht als mehrheitsführend hinstellen; man kann sie auch nicht als
stellvertretend für alle betrachten in dem Wissen, daß die Mehrheit
etwas anderes beschlossen hat. Das ist unsere Bitte.
[Beifall bei der CDU]
Ich möchte die Frage des Regierenden Bürgermeisters zur Ab
rüstung - das ist ja eigentlich hohe Außenpolitik - nur ganz kurz
beantworten. Ich erkläre hier: Wir sind für Gewaltverzicht, Ab
rüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, wenn da
bei ein ausgewogenes militärisches Gleichgewicht auf allen Ebe
nen gewährleistet ist.
[Thomas (SPD): Auf allen Ebenen insgesamt oderauf jeder Ebene?]
Und ich füge hinzu als Fazit dieser Aussage: Für die militärisch
defensive sicherheitspolitische Konzeption der Nato muß daher
gellen - und das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen - Ver
teidigung- und Abschreckungsfähigkeit soviel wie nötig, Rü
stungskontrolle und Abrüstung soviel wie möglich. Das ist die
Grundlinie, und auf der könnte die SPD auch stehen.
[Beifall bei der CDU]
Ich komme zum Prinzip der Nichteinmischung. Ich habe mich
gewundert, vielleicht war es ein Fehler, daß der Regierende Bür
germeister gerade dieses Thema anschnitt, wir hätten uns gefreut,
wenn Sie beim Prinzip der Nichteinmischung den Zeigefinger -
nicht gegen uns, sondern gegen Ihren Parteifreund Egon Bahr
gerichtet hätten. Denn dieser Mann, der in Freiheit lebt, hebt den
Zeigefinger und ruft den Polen zu: Seid schön brav zu Euren Un
terdrückern! - Logischerweise hätte Herr Bahr seine Mahnung
zur Lammfrommheit auch in andere Richtungen sprechen kön
nen, zum Beispiel in Richtung Chile, San Salvador, Südkorea,