Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
42. Sitzung vom 11. Dezember 1980
1795
Diepgen
telbar von Staatsaufträgen abhängig sind. Auftragsvergabe zu
gunsten der Wohnungsbauprogramme wäre also möglich. In Ber
lin geschieht aber genau das Gegenteil, und das ist zutiefst un
sozial.
[Beifall bei der CDU]
Wohnungsbau gehört zu den Schwerpunktfragen, zu den wich
tigsten Problemen der Stadt. Gleiches gilt für Modernisierungs
maßnahmen, die freilich nicht an einen Standard staatlich ver-
ordneter Glückseligkeit gebunden werden dürfen. Zugunsten des
Wohnungsbaus muß auf andere Baumaßnahmen, auf den Bau
öffentlicher Einrichtungen verzichtet werden. Dafür ist aber eine
klare politische Entscheidung notwendig, und die fehlt, weil dieser
Regierende Bürgermeister, dieser Senat dazu offenbar nicht in
der Lage ist. Es hieße schon Eulen nach Athen tragen, wenn man
auf die mangelnde Leistungsfähigkeit der Senatsbauverwaltung
und ihrer Führung hinweist. Mit meistens schönen Worten, Herr
Ristock, manchmal mit richtigen Denkansätzen, aber selten mit
der Fähigkeit zur Realisierung werden die Probleme der Stadt
nicht gelöst.
[Beifall bei der CDU]
Und die Spatzen pfeifen es daher schon von den noch immer nicht
ausgebauten Dächern, daß der Regierende Bürgermeister und
Teile der F.D.P. eine Auswechslung der Spitze der Senatsbauver
waltung für sinnvoll halten. Aber auch dazu fehlt es offensichtlich
und vor allen Dingen an der Kraft. Auf die in der Verfassung fest
gelegte Ressortverantwortung können Sie sich dabei nicht beru
fen, Herr Regierender Bürgermeister. Wenn Sie, wie es in der Re
gierungserklärung geschehen ist, mit einem wesentlichen Ansatz
im Bereich der Bau- und Stadtplanung in die politische Arbeit
eingetreten sind, wenn Sie diese Stadtpolitik proklamiert haben,
dann müssen Sie die Ansätze auch selbst gestalten, ein Chaos
verhindern und selbst führen.
[Beifall bei der CDU]
Ein besonderes Kapitel von Entscheidungsschwäche ist die
Verkehrsplanung, Ich denke dabei konkret an die Probleme um
die künftige Nutzung der S-Bahn. Nicht erst seif dem Streik der
Reichsbahnbediensteten ist das Problem bekannt. Jetzt erfüllt
die Reichsbahn die mit den Betriebsrechten verbundenen Be
triebspflichten nicht oder nur noch unzulänglich. Schon aus
Gründen der Stadtplanung muß das Problem einer Lösung zuge
führt werden. Es darf nicht geschehen, daß die Gleise brachliegen,
wertvolle technische.Einrichtungen abtransportiert werden und
dann langsam Gras über die Gleise wächst. Nach einigen Jahren
kämen dann Sträucher hinzu, und entsprechend seinem Wahlver
sprechen wäre dann der Bausenator gezwungen, sich schützend
vor jeden einzelnen Baum zu stellen, es sei denn, daß die Trans
portpolizisten ihn daran hindern. Dazu darf es nicht kommen! Wir
müssen dieses Gelände in unsere Stadtplanung einbeziehen, un
sere Verkehrsentwicklungsplanung korrigieren und bei der Fort
schreibung des Verkehrsentwicklungsplans dem öffentlichen
Personennahverkehr unter Einbeziehung der S-Bahn eine beson
dere Priorität einräumen.
[Beifall bei der CDU]
Zwar gibt es bei der S-Bahn juristische Probleme. Hier gibt es
sicherlich auch Bedenken auf Seiten der Alliierten. Die Zurück
haltung unserer Schutzmächte darf uns aber nicht am Denken
hindern.
[Beifall bei der CDU]
Ganz sicher darf sich ein Berliner Senat in seiner Verantwortung
vor den Berliner Bürgern nicht hinter angeblichen oder tatsächli
chen Bedenken der Schutzmächte verstecken. Auch mit Schutz
mächten, mit unseren Freunden und Verbündeten kann man zu
nächst kontroverse Positionen austauschen und auf eine Eini
gung dringen.
Die Führungslosigkeit durch Senat und Regierenden Bürger
meister läßt Chancen im Bereich der Bau- und Stadtplanungspoli
tik ungenutzt; ich habe einige Beispiele genannt. In anderen Be
reichen führt sie zu einem Vertrauensverlust des Bürgers in den
Staat als Garant der Rechtssicherheit.
Die sogenannten Instandbesetzungen in mehreren Berliner In
nenbezirken sind primär eine Folge einer verfehlten Sanie
rungspolitik und unzulänglicher Differenzierungsüberlegung in
der Modernisierung. Warum eigentlich müssen wir das häusliche
Glück eines jeden Menschen immer erst mit Zentralheizung und
Kachelbad anfangen lassen? Die jungen Leute in der Stadt be
weisen etwas anderes. Ein wenig mehr Entscheidungsspielraum (C)
kann dem mündigen Staatsbürger wohl auch bei seinen Woh
nungswünschen eingeräumt werden.
In diesem Zusammenhang geht es aber um ein anderes Problem.
Die Instandbesetzungen sind eindeutig rechtswidrig. Ich will hier
keine Polizeimaßnahme fordern. Dazu sind die jetzt erkennbaren
Probleme viel zu vielschichtig. Festzuhalten bleibt aber, daß die
fehlende Koordination zwischen Bau- und Innenpolitik, zwischen
Entmietung und Abriß uns in eine schier ausweglose Situation
gebracht hat.
[Beifall bei der CDU]
Die Polizei zweifelt an ihrem Auftrag zur Wahrung des Rechts
friedens. Der Polizeibeamte wird zutiefst verunsichert, wenn er
das, was er gelernt hat, nämlich das Einschreiten gegen rechts
widrige Handlungen, nicht umsetzen darf. Der Bürger hat den Ein
druck, daß die Sitten verwildern, daß der Rechtsstaat nur noch
gegenüber dem Parksünder stattfindet.
[Beifall bei der CDU]
Hinzu kommt der Eindruck, daß Rechtsbrecher ohnehin nach er
folgreicher Fahndung unverzüglich wieder auf freien Fuß gesetzt
werden. Solche Tatsachen schaffen Unfrieden, schaffen Mißtrauen
und schaffen Unregierbarkeit.
Ich will ein weiteres Beispiel aus der Innenpolitik nennen. Mo
dellversuche mit Namensschildern für Kontaktbereichsbeamte,
für Kontaktbereichsbeamte, die sich ohnehin straßauf, straßab
persönlich vorstellen, sind eigentlich nur noch lächerlich,
[Landowsky (CDU); So ist es!]
Durch den vorgegebenen Anspruch einer Übertragbarkeit der in
diesem Bereich gemachten Erfahrungen auf den anderen Polizei
dienst produzieren Sie notwendigerweise bei einer bereits verun
sicherten Beamtenschaft zusätzlich Mißtrauen und Verdrossen
heit.
[Beifall bei der CDU]
Meine Damen und Herren, eigentlich sollten wir uns mit dem
Haushalt 1981 beschäftigen. Aber orientiert man sich an den
Grundsätzen der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit,
dann kann man die Debatte getrost um einige Monate verschieben.
Zu hoch sind die haushalts- und finanzpolitischen Risiken und der
bereits heute ersichtliche Fehlbetrag im Zahlenwerk. Wir können
mit unseren Entscheidungen und Diskussionen vor allen Dingen
nur den Nachtragshaushalt, die mittelfristige Finanzplanung, also
künftige Haushaltspläne, beeinflussen.
Die wirtschaftspolitische Diskussion in der Bundesrepublik
weist darüber hinaus seit der Bundestagswahl einen erheblichen
Wandel aus. Die optimistischen Stimmen aus SPD und F.D.P. sind
verstummt, die beschönigenden Darstellungen der wirtschaft
lichen Lage angesichts offenkundiger Fehlentwicklungen einer
für den betrogenen Wahlbürger ernüchternden Bestandsauf
nahme gewichen. Es wird von 1,1 Millionen Arbeitslosen und einem
Wachstum von nur 0,5 % geredet. Das alles wird nicht ohne Rück
wirkung auf Berlin bleiben. Die letzten Ergebnisse des Arbeits
kreises Steuerschätzung weisen bei den Einnahmen eine Lücke
in Höhe von 160 Mio DM für Berlin aus. Nach den abschließenden
Verhandlungen zwischen dem Berliner Senat und der Bundes
regierung muß mit einer Kürzung des Bundeszuschusses in Höhe
von 239 Mio DM gerechnet werden, und unberücksichtigt sind
dabei noch eine Reihe von Fragen der Veränderung im Verhältnis
zwischen Bund und Ländern. Es ist sicher daher keine oppositio
nelle Übertreibung, wenn ich hier den zu erwartenden Fehlbetrag
mit etwa einer halben Milliarde DM beziffere. Es werden also er
hebliche Anstrengungen notwendig sein, diesen Fehlbetrag aus
zugleichen. Dabei ist eine einfache Aufstockung der Verschuldung
des Landes nicht zu verantworten. Wir müssen vielmehr über
Grenzen und Notwendigkeiten staatlicher Aufgaben nachdenken,
wir müssen die Bereitschaft haben, Besitzstände in Frage zu stel
len.
[Beifall bei der CDU]
Grundprinzipien des Sozialstaates sind mitmenschliche Solidari
tät und Subsidiarität. Wir streben - ich hoffe, alle - nach sozialer
Gerechtigkeit. Solidarität darf dabei aber nicht immer mehr zu
einer bürokratischen Zentralverwaltung verkümmern. Solidarität
und Subsidiarität werden auch nicht gewahrt, wenn freie Gruppen
gefördert werden, die Bürokratie ihnen aber immer wieder ihre
eigenen Maßstäbe von der Einordnung in das öffentliche Beamten-