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Volume Nr. 41, 10. Dezember 1980

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1980/81, 8. Wahlperiode, Band II, 1980/1981, 19.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode 
41. Sitzung vom 10. Dezember 1980 
1764 
Lorenz, Hans-Georg 
;iA) strukturbedingte Mängel ändern könnte. Strukturbedingte Män 
gel kann man nur durch Strukturveränderungen beseitigen und 
nicht durch Geld. 
[Beifall bei der SPD] 
Wir haben uns daher zu fragen - wenn wir nicht in eine ganz frucht 
lose Systemdebatte hineinkommen wollen-, wie wir jeden Schüler 
optimal zu fördern haben. Im konkreten Fall, also hinsichtlich der 
Hauptschüler, heißt das doch: welche Schulorganisation, welche 
curricularen Vorbedingungen, welche Schulart ist am besten in 
der Lage, die sich jetzt noch auf der Hauptschule befindenden 
Schüler am effektivsten zu fördern? Das ist die Frage! Und da 
kann man nun einige sehr unterschiedliche Fragen stellen, zum 
Beispiel die: Kann dies die Gesamtschule sein, und welche Vor 
bedingungen muß man bei einer Gesamtschule schaffen, um 
diese Schüler dann auch optimal zu fördern? Oder kann das viel 
leicht eine Schule sein, die sich aus Hauptschule und Realschule 
zusammensetzt, und welche Vorbedingungen müßte man da 
schaffen, um dort diese Förderung zu erreichen? Oder kann 
diese Förderung der Kinder vielleicht nur durch die Hauptschule 
geleistet werden, und wie muß die sich dann hinsichtlich ihrer Or 
ganisation, ihrer Lehrinhalte und ihrer Ausstattung ganz auf die 
Förderung von Intelligenzen von Schülern konzentrieren, die im 
herkömmlichen Schulsystem zum großen Teil nicht erfolgreich 
sein konnten, weil ihre sozialen oder intellektuellen Vorgaben dies 
nicht ermöglichten? 
Niemand kann hier und heute diese Fragen beantworten. Wir 
können eben nur sagen, daß die von der CDU in Frageform vorlie 
genden Angebote gegenwärtig nicht einmal die Probleme auf 
zeigen, geschweige denn die Fragen beantworten, die sich aus 
diesen Problemen ergeben. Wichtig ist, daß auch wir für die Über 
gangszeit bis zu einer endgültigen Lösung, die hoffentlich hier in 
diesem Hause und auch woanders sehr intensiv diskutiert werden 
wird, Zwischenlösungen anbieten. Und Senator Rasch hat hier 
auch das geeignete Konzept beschrieben: das Eingehen auf die 
sehr unterschiedlichen Vorbedingungen, mit denen Schüler heute 
auf die Hauptschule kommen, durch organisatorische und curri- 
culare Veränderungen. Ich glaube, das ist ein gutes Konzept. Wir 
werden diese Maßnahmen dann im einzelnen noch im Ausschuß 
B) zu prüfen haben. Richtig ist, daß keine Schulart, weder die Real 
schule noch die Gesamtschule, gegenwärtig und wohl auch für die 
nächsten Jahre in der Lage wäre, ohne selbst schweren Schaden 
zu nehmen, diese Hauptschule aufzulösen und die Schüler zu 
übernehmen. 
Dies darf aber freilich nicht den Blick für eine Diskussion ver 
stellen, die sich auf das gesamte Schulwesen richtet, auch auf das 
Gymnasium. 
Hierher gehört dann auch ein Wort zur Ausländerfrage. Wer 
Integration ernsthaft will, der kann Aus- und Absonderung nicht 
dulden. 
[Vereinzelter Beifall bei der SPD] 
Über Vorlaufklassen hinaus dürfen auf Dauer Ausländerklassen 
nicht gebildet werden. Dann ist freilich nötig, daß die Hauptschule 
nicht allein die Last der Integration zu tragen hat. 
[Vereinzelter Beifall bei der SPD] 
Die Realschule und das Gymnasium haben ihren Beitrag ebenso 
zu leisten wie die Gesamtschule. Dazu werden wir freilich nur 
dann kommen, wenn wir zum Beispiel unsere türkischen Schüler 
optimal fördern. Hierzu werden wir demnächst von unserer Frak 
tion aus sehr detaillierte Vorschläge unterbreiten. Dazu wird aber 
auch gehören, daß Aussonderungsmechanismen insbesondere 
des Gymnasiums so umgestaltet werden, daß sie nicht auch da 
greifen, wo ausländische Schüler ungeachtet ihrer Intelligenz und 
ungeachtet ihres Leistungswillens notwendige Defizite haben - 
beispielsweise im sprachlichen Bereich. Die zahlreichen Fälle, in 
denen hochintelligente Türken an der deutschen Grammatik und 
damit am deutschen Schulwesen scheitern, müssen der Vergan 
genheit angehören. 
[Beifall bei der SPD] 
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete Ditt- 
berner. 
Dr. Oittberner (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Ich glaube, wenn wir heute dieses wichtige Thema für die 
Stadt diskutieren, dann ist es auch notwendig, einmal zu über 
legen, wo denn nun eigentlich aufgrund der zahlreich gemachten 
Äußerungen der Fraktionsvertreter Unterschiede festzustellen 
sind und wo gemeinsame Positionen zu erkennen sind; denn das 
ist ja eigentlich die Voraussetzung dafür, Entscheidungen zu 
treffen. Ich meine, insbesondere aus den Reden von Herrn Rasch, 
von Herrn Hauff und von Herrn Lehmann-Brauns herausgehört 
zu haben, daß sie alle - entweder explizit, ausgesprochen, oder 
implizit, nicht so direkt ausgesprochen - gesagt haben, wir 
können das Problem der Hauptschule nicht isoliert sehen, son 
dern wir müssen es im Gesamtzusammenhang des Schulsystems 
sehen. Und das ist ja auch ein wesentlicher inhaltlicher Punkt 
unserer Debatte hier gewesen. 
Nun habe ich die Stellungnahmen der bisherigen SPD- und 
F.D.P.-Sprecher so verstanden, daß sie gesagt haben, die Haupt 
schule ist nun zur Zeit leider, aus Gründen, die in der Vergangen 
heit zu suchen sind, nicht Teil der integrierten Gesamtschule, sie 
ist infolgedessen benachteiligt: eine Zustandsbeschreibung. Aber, 
alle haben das auch betont, die Situation der Hauptschule müsse 
verbessert werden, und das, was Herr Lehmann-Brauns hier ver 
mutet hat als Position der anderen Parteien ist bisher jedenfalls 
ganz eindeutig nicht gesagt worden; In der derzeitigen Situation 
müssen wir sie einfach abschaffen. Ich höre, daß Herr Longolius 
sich noch zu Worte gemeldet hat. Er wird sicherlich zu diesem 
Thema einiges sagen. 
Die CDU-Position habe ich so verstanden, daß von Herrn Leh 
mann-Brauns gesagt worden ist - im Grunde ist Herr Ulzen ja 
dann auch darauf eingegangen -, das dreigliedrige Schulsystem 
ist etwas, das erhalten werden sollte, was vielleicht auch gegen 
eine weltfremde Idee der Gesamtschule verteidigt werden sollte. 
Allerdings haben Sie auch betont - und das halte ich für sehr 
wichtig, insbesondere Herr Lehmann-Brauns hat das ausge 
führt -, Elemente der Gesamtschule - sage ich jetzt einmal mit 
meinen eigenen Worten - seien durchaus begrüßenswert. Auch 
Herr Ulzen hat das ja in den vergangenen schulpolitischen Debat 
ten immer wieder angesprochen: zum Beispiel die Möglichkeit 
flexiblerer Übergänge, zum Beispiel die Elemente, wie sie ja ge 
wollt sind, die darin bestehen, daß für unterschiedliche Begabun 
gen unterschiedliche Voraussetzungen, spezifische Angebote 
gemacht werden. Die CDU sagt dann, in dieser Situation soll die 
Hauptschule verbessert werden, damit andere Schulen nicht 
mit ihren Problemen zusätzlich belastet werden, damit andere 
Schultypen nicht mit den Problemen, die sich jetzt nun einmal 
in der Hauptschule angesammelt haben, belastet werden. 
Jedenfalls sagen beide - Koalition und Opposition -, daß wir 
eine Verbesserung bei diesem Schulsystem nötig haben. Jetzt 
muß man natürlich darüber diskutieren - nicht hier, sondern in 
den weiteren Erörterungen anderenorts -, ob nicht auf beiden 
Seiten Mißverständnisse, vielleicht auch ideologische Grund 
positionen vorhanden sind, über die man sich erst mal klar werden 
muß, bevor man sie ausräumen oder in Rechnung stellen kann. 
Das Mißverständnis, daß sich zum Beispiel mir aufdrängt bei 
dem, was ich hier von der CDU und auch in früheren Debatten 
gehört habe, könnte in etwa sein, daß man sagt, die CDU will 
vielleicht doch das dreigliedrige Schulsystem erhalten, um die 
soziale Schichtung in unserer Bundesrepublik, um die sozialen 
Unterschiede, die wir haben, zu fundamentieren, zu festigen. 
[Zurufe von der CDU] 
- Ich sage ja, das könnte man aus manchem, was hier gesagt 
worden ist, heraushören, dazu müßte man noch mehr hören. 
Umgekehrt wird ja SPD und F.D.P. vorgeworfen, sie wollten die 
Gesamtschule um der Gleichmacherei willen. Als das hier gesagt 
worden ist. haben die Fraktionen der SPD und der F.D.P. auch 
protestiert. Die F.D.P. meint, gerade mit der Gesmtschule, mit 
einem differenzierten Gesamtschulangebot - wie wir es zur Zeit 
noch nicht haben - kann man eigentlich individuelle Fähigkeiten, 
Begabungen, Interessen sehr viel besser fördern als im herge 
brachten Schulsystem. So ist auch der Satz zu verstehen, die Ge 
samtschule ist die Schule der Zukunft. 
Ich meine, so wie die Debatte sich jetzt darstellt, haben wir doch 
eine Reihe von durchaus gleichen Grundpositionen. Aber es gibt 
aus der Vergangenheit, vielleicht auch aus der ideologischen 
Herkunft der Fraktionen noch einen tiefen Graben, der ausge 
leuchtet werden muß, möglicherweise nicht beseitigt werden 
kann, aber eben doch ausgeleuchtet werden muß. So kommt mir 
die Debatte heute vor wie die Sage von den beiden Königskindern, 
die nicht zueinander kommen können.
	        
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