Abgeordnetenhaus von Berlin — 8. Wahlperiode
16. Sitzung vom 13. Dezember 1979
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RBm Stobbe
Bevor ich auf einige Punkte im einzelnen eingehe, die uns in der
Stadt drücken, über die wir uns auseinandersetzen, möchte ich an
einer Stelle eine Zurückweisung gegenüber den Ausführungen, die
Herr Lummer hier gemacht hat, vornehmen. Ich fand das, was er
etwa zum Krankenstand in Berlin vorgetragen hat, in der Art einer
primitiven konservativen Philosophie nichts anderes als eine
Verhöhnung der Berliner Arbeitnehmer.
< Beifall bei der SPD >
Wenn man über dieses Thema spricht, dann sollte man
wenigstens darauf hinweisen, wie hier in Berlin der Industrialisie
rungsgrad ist, dann sollte man auf die Produktivifätsleistung der
Berliner Arbeitnehmerschaff hinweisen, dann sollte man darauf
hinweisen, daß wir in Berlin die höchste Frauenerwerbsquote
haben
< Beifall bei der SPD >
— und nur, wenn Sie diese sozialen Faktoren und diese wirtschaft
lichen Faktoren alle mit einbeziehen, können Sie sich ein Urteil
über diese Frage erlauben.
< Unruhe bei der CDU >
Aber in dieser anmaßenden Art darüber zu sprechen — dabei muß
ich bleiben —, das ist eine Verhöhnung der Arbeitnehmer.
< Beifall bei der SPD >
Das, was Sie an anderer Stelle geforder haben, Herr Lummer, das
haben Sie an dieser Stelle selbst wieder eingerissen.
< Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU >
Und wenn man wiederum in einer Art konservativer Primitiv
ideologie über Erziehung spricht oder über Jugendkriminalität, wie
Sie das getan haben, aber vor allen Dingen in der Art und Weise,
wie Sie es getan haben, dann kann ich das nur als eine
Verhöhnung der Berliner Eltern und auch der Berliner Lehrer
zurückweisen.
< Beifall bei der SPD — Zwischenrufe von der CDU —
Franke (CDU): Gehen Sie doch nach Hause! >
Wenn man sich anhört, in welcher Art und Weise Sie, Herr
Kollege Lummer, über die Fragen der Staatsverschuldung und
über die wachsenden Aufgaben des Staates reden, wenn man das
in Verbindung zu Ihren Ausführungen zu dem Bereich bringt, den
ich eben angesprochen habe, dann wird deutlich, was Sie im
Grunde genommen sagen wollen. Sie wollen die Sozialdemokratie,
Sie wollen die sozialliberale Koalition in unserer Stadt für jedes
Problem, das es in der Gesellschaft gibt, verantwortlich machen.
Das ist im Grunde genommen das, was Sie Vorhaben.
< Schmitz (CDU): Mittelmaß >
Sehen Sie! Und dahinter verbirgt sich eine Vorstellung, die ich nur
tumb nennen kann, eine Verkennung der sozialen und wirtschaft
lichen Realitäten, der Notwendigkeiten, die heute einem moder
nen Staat zukommen und damit auch einer modernen Stadt, die
ich insgesamt nur zurückweisen kann.
< Beifall bei der SPD —
Franke (CDU); Da haben Sie doch keine Ahnung von! >
Wenn wir uns nun einzelnen Punkten zuwenden, um die die
Auseinandersetzung geht —
< Franke (CDU): Holt doch den Versager endlich mal
runter von da oben! >
Der Senat wird wegen seiner Stellenplanpolitik kritisiert. Wir
haben während der Hauptausschußberatungen bei mehreren
Ressorts die Kritik der Opposition über die Stellenausweitungen
gehört. Wir hören dieser Tage durch die ÖTV den Vorwurf zu
großer Sparsamkeit gerade in diesem Bereich. Lassen Sie mich
die Gelegenheit benutzen, noch einmal ganz deutlich zu machen,
was wir getan haben und was wir auch weiterhin tun werden. Wir
haben entsprechend den Schwerpunkten der Regierungserklärung
unter Kürzung sehr viel weitergehender Forderungen den Stellen
plan überall dort maßvoll ausgeweitet, wo sich unmittelbare
Wirkungen für den Bürger ergeben. In diese Richtung wird die
Stellenplanpolitik des Senats auch in den kommenden Jahren
weitergetührt, weil es vernünftig ist. Auch mit dem Blick auf die
Entwicklung anderer Länder ist unser Vorgehen nach meiner (C)
festen Überzeugung sachgerecht, und es besteht kein Grund,
unsere Position zu ändern.
Wir sind auch fest davon überzeugt, daß die Dimensionierung
des Haushaltsplans 1980 konjunkturgerecht und der wirtschaft
lichen Lage der Stadt angepaßt ist, wenngleich wir keineswegs
verschweigen wollen, daß das innere Gefüge des Haushalts
Probleme bereitet, was den wachsenden Anteil der Bundeshilfe,
den wachsenden Ausgabendruck und die nicht adäquat steigen
den Berliner Einnahmen angeht. Natürlich muß in diesem Zusam
menhang auch über Staatsverschuldung geredet werden. Wir
werden im Laufe der Debatte durch den Finanzsenator auf Ihre
Vorhaltungen, Herr Lummer, eine sachgerechte Antwort geben.
Aber das, was Sie mit Blick auf Berlin und das Verhalten einer
Landesregierung ausgeführt haben, wird nicht glaubwürdiger
durch das Verhalten Ihrer eigenen Parteifreunde in Bonn, die nach
jahrelangem Druck auf eine notwendige Konsolidierung jetzt im
Wahljahr auf Steuererleichterungen pochen.
< Beifall bei der SPD — Lummer (CDU): Wir waren längst
vorher für Steuererleichterungen! >
Wir wissen, daß wir in den kommenden Jahren viel Disziplin
brauchen werden, um die wegen der besonderen Lage Berlins
ohnehin schwer zu gestaltende Balance immer wieder erneut
herzustellen, aber ich bin der festen Überzeugung, daß das auch
in der Zukunft gelingen wird.
Ein anderer Punkt: Die Lösung der Wohnungsprobleme und eine
besondere Ausländerintegration sind ganz zweifellos Aufgaben,
die uns in den kommenden Jahren mit besonderer Intensität
beschäftigen müssen. Wir haben gestern einige Lösungsvor
schläge der Opposition zur Wohnungspolitik gehört. Ich bin sicher,
daß wir uns das ganze nächste Jahr mit dieser Frage weiter
beschäftigen müssen, um uns dabei den politischen Standpunkt
Berlins zu erarbeiten.
Ich wäre dankbar, wenn das Haus die in der Regierungserklä
rung genannten Maßnahmen, nämlich Aufstockung des Neubau-
Volumens, mehr familiengerechte Wohnungen, Steigerung des
Eigentumanteils, Ausweitung der Modernisierung, Schutz des
Mieters vor Spekulationen, dabei ausdrücklich in seine Über
legungen mit einbeziehen würde.
< Landowsky (CDU): Hat er alles
aus unserem Programm! >
Ich halte eben in einem Satz vorher gesagt, daß wir uns in vielen
Punkten einig sind, Kollege Landowsky. Ich weiß gar nicht,
worüber Sie sich dann noch beklagen. Denn wir haben in der Stadt
über Jahrzehnte, ich darf Sie noch einmal daran erinnern, die
politische Praxis gehabt, daß sich Berlin — etwa in Fragen der
Mietpreisbindung seinen Standpunkt auf einer Dreiparteienbasis
gesucht hat. und aus gutem Grund - war ja auch letztlich ein
Ansatzpunkt dafür - sollten wir bei diesem Stück Gemeinsamkeit
auch in den kommenden Jahren bleiben. Wir werden sie ganz
gewiß brauchen.
Der Senat wird sich, nachdem er neue Leitlinien zur Ausländer
infegration beschlossen hat, in den ersten Monaten des neuen
Jahres mit fünf Durchführungsvorlagen befassen, die mit Blick auf
einen ersten Nachtrag 1980 und auf den Haushalt 1981 sozusagen
administrative Schlußfolgerungen aus dem ziehen, was wir poli
tisch für möglich und notwendig halten, um das Zusammenleben
zwischen Deutschen und Ausländern in der Stadt zu verbessern
und den Berlinern in den belasteten Innenstadtbezirken zu helfen.
Wir werden dem Abgeordnetenhaus nach Abschluß der Senats
beratungen, das heißt, auch nach Abschluß der Beratungen mit
den Bezirken, die wir zur Durchführung dieser Politik brauchen,
eine Vorlage zur Kenntnis geben, die das Abgeordnetenhaus
befähigt, diesen für den inneren sozialen Frieden der Stadt so
wichtigen Komplex zusammenhängend zu diskutieren.
Ein weiterer Punkt: Natürlich sind IBA und Bundesgartenschau
Kernfragen der Stadtpolitik in den nächsten Jahren. Der Senat hat
immer gewußt, daß es hier nicht um Schönwetterpolifik geht,
sondern um das Durchstehen von harten Konflikten, und er hat
auch immer gewußt, daß nach der Konzeption und Präsentation
unvermeidlich jene konfliktreiche Rüttelphase kommt, in der das