Abgeordnetenhaus von Berlin — 8. Wahlperiode
16. Sitzung vom 13. Dezember 1979
636
Präsident Lorenz
(A) Hierzu;
1. Betragliche Änderungen des Hauptausschusses
nach Drucksache 8/236
3. Sachbeschluß des Hauptausschusses
nach Drucksache 8/235, Nr. 6
Das Wort hat Herr Abgeordneter Lummer.
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Das Etafrecht gilt gemeinhin als das vornehmste Recht des Parla
ments. Durch die Bewilligung finanzieller Mittel soll das Handeln
der Regierung positiv oder negativ beeinflußt und das Handeln
des Staates inhaltlich eingegrenzt werden. Die ständig wachsen
den Volumen der öffentlichen Haushalte und die ständig gewach
senen Staatsaufgaben könnten den Eindruck erwecken, daß der
Handlungsspielraum der Parlamente sich auch ständig ausge-
weifet habe. Demgegenüber ist jedoch eine Entwicklung feststell
bar, die von einer immer stärkeren Festlegung der Mittel gekenn
zeichnet ist. Ein großer Teil der Mittel ist von vornherein blockiert
und entzieht sich den Entscheidungen in den Etatberatungen, es
sei denn, die Parlamente könnten sich dazu entschließen, echte
Aufgabenkürzungen ins Auge zu fassen. Ein zusätzlicher Druck,
den Handlungsspielraum der Parlamente einzuschränken, ist
dadurch entstanden, daß die öffentliche Hand — und dies gilt ganz
allgemein für den Bund und die Länder — sich immer mehr ver
schuldet hat. Die wachsende Verschuldung bewirkt, daß immer
größere Anteile des Haushalts aufgewendet werden müssen, um
die Schulden zu bezahlen und sie zu tilgen. Die öffentlichen Hände
haben sich, wenn man das historisch betrachtet — abgesehen von
Kriegszeiten —, geradezu beispiellos verschuldet. Und niemand
kann heute mit solchen Wachstumsraten rechnen, daß eine Be
seitigung der Schulden gewissermaßen auf normale Art und Weise
erfolgen könnte. Jeder muß heute erkennen, daß einschneidende
(B) und ungewöhnliche Schritte dann nötig sein werden, wenn man
die Verschuldung ernsthaft abzubauen gedenkt.
< Beifall bei der CDU >
Eine Wiederherstellung geordneter Verhältnisse geht nicht ohne
erhebliche Schwierigkeiten vonstatten. Nichtsdestoweniger möch
te ich deutlich machen, daß es eine zweifellos verkürzte, wohl
auch oberflächliche Betrachtung wäre, wenn man in dem Prozeß
der Verschuldung lediglich ein finanztechnisches Problem er
blicken würde. Es ergeben sich zumindest zwei ernst zu nehmen
de politische Probleme daraus, die die Parlamente sehen und
worauf sie eine Antwort finden müssen. Das erste ist dieses:
Verschuldung auf Dauer in der jetzt vorhandenen und steigenden
Größenordnung bedeutet, die Zukunft zugunsten der Gegenwart
zu verpfänden. Man muß sich fragen, ob das eigentlich noch zu
verantworten ist, wenn wir künftigen Generationen in dieser Weise
und in diesem Umfang den Handlungs- und Gestaltungsspielraum
einfach wegnehmen.
< Beifall bei der CDU >
Wer sich für eine dauerhafte Verschuldung entscheidet, entschei
det sich für eine wesentliche Einschränkung der Alternativen
künftiger Generationen! Und das ist ein besorgniserregendes
Phänomen, auch wenn man sich unseren Haushalt und seine Ent
wicklung anschaut.
Das zweite durch die Verschuldung entstehende Problem ist
nach meinem Dafürhalten noch gravierender. Praktisch ging die
Verschuldung mit einem Anwachsen der Staatsaufgaben einher.
Die immens wachsende Verschuldung hängt geradezu ursächlich
mit den finanziellen Anforderungen einer im Galopp durchgesetz
ten Reformpolitik Anfang der siebziger Jahre zusammen. Durch
die enorme Ausweitung der Sfaatstätigkeit wird aber das Verhält
nis von Staat und Bürger nachhaltig beeinflußt. Der Einfluß des
Staates wächst, und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der
Bürger nehmen ab. Man richtet sich weitgehend darauf ein, unab
hängig von eigenen Leistungen vom Staat gesichert zu werden.
Die immer weitergehende Ausweitung staatlichen Handelns in
Richtung einer Allzuständigkeit bedeutet schließlich aber auch
einen Souveränitätsverlust für die Bürger und für die Parlamente;
und das — glaube ich — ist ein Problem, das man nicht über
sehen darf. Deshalb ist die Rückkehr zu einer geordneten Finanz
politik, die dadurch gekennzeichnet wird, daß niemand über seine
Verhältnisse lebt, auf seiten der öffentlichen Hand dringend ge
boten. Und die Möglichkeiten, dieses zu tun, sind zweifellos sehr
gering.
Ich sagte, daß in den Kriegszeiten der deutsche Staat sich
massiv verschuldete. Er hat jeweils nach den beiden letzten Krie
gen diese Verschuldung dadurch abgeworfen, daß er zu einer
Geldentwertung Zuflucht genommen hat. Dies ist sicherlich kein
geeignetes Mittel für uns hier und heute.
Ein zweiter Weg ist eine Erhöhung der Steuern und der Abgaben.
Dies wäre angesichts der Staatsquote am Bruttosozialprodukt,
die wir heute schon feststellen können, unvertretbar, und unver
tretbar auch im Hinblick auf die bereits jetzt existierende Steuer
last. Wenn man aber diese Wege nicht gehen will, dann bleibt nur
noch der Versuch, eine Verminderung der öffentlichen Ausgaben
herbeizuführen; und dies ist eine schwere, aber ganz gewiß
unvermeidbare Aufgabe.
Ich will hier deutlich machen, daß wir, unbeschadet unserer
Rolle als Opposition, die Koalitionstraktionen auf einem solchen
Wege begleiten würden. Das können Sie als Angebot verstehen,
schmerzliche Einschränkungen im öffentlichen Haushalt nicht als
Anlaß für Kritik unsererseits zu nehmen. Das sollte aber wohl
auch eine Aufforderung sein, diesen Weg konsequent zu be
schreiten.
Ich glaube, daß wir in diesem Zusammenhang noch etwas be
achten müssen, was in der Vergangenheit auch in diesem Parla
ment gelegentlich unter nicht ganz zutreffenden Wertungen und
Gesichtspunkten diskutiert worden ist. Es ist immer gesagt wor
den, daß die Investitionsausgaben im Haushalt eine positivere
Wertung verdienten als die anderen. Inzwischen liest man landauf,
landab kritische Beiträge, ob denn diese Betrachtungen so ganz
ihre Richtigkeit haben, sicherlich aus verschiedenen Gründen,
aber unter anderem auch wegen der damit zusammenhängenden
Folgekosten.
< Hucklenbroich (F.D.P.): Genau! >
Wenn man sich heute etwa für Investitionen bei Theatern, Museen,
Hallenbädern oder sonst was entscheidet, dann entscheidet man
sich gleichzeitig für einen Anstieg der Personalkosten morgen —
und dies ist ein Anstieg auf Dauer. Das kann eine Belastung
werden, die zusätzlich den Handlungsspielraum einschränkt. Mir
scheint, daß lange Zeit dieses Problem der Folgekosten schlicht
und einfach verdrängt worden ist. Aber ein realistischer Blick
gerade auf die Folgekosten im Zusammenhang mit dem Kongreß-
zenfrum macht deutlich, daß die Bedeutung der öffentlichen In
vestitionen sicher oft überschätzt worden ist. Nicht nur die kon
sumtiven, sondern auch die investiven Ausgaben verdienen einen
kritischen Blick, weil Folgekosten als Dauerbelastungen entstehen
können, die den Spielraum des parlamentarischen Handelns, des
politischen Handelns einzuschränken geeignet sind. In dieser
Einschränkung des politischen Handlungsspielraums für das Par
lament heute und für die Generationen zukünftig liegt nach meinem
Dafürhalten die eigentliche Problematik der gegenwärtigen Etat
beratungen, nicht nur hier, sondern auch anderswo.
Es ist nicht zu verkennen, daß es Ansätze gibt, die darauf
hinauslaufen, durch Aufgabeneinschränkungen mehr Handlungs
spielraum zu gewinnen; aber diese Ansätze sind sehr gering. Auch
der Hauptausschuß ist bei seinen Beratungen sicher in die richtige
Richtung gegangen; aber man kann allenfalls von einem kleinen
Schritt auf einem sehr steinigen Weg sprechen.
2. Änderungen des Hauptausschusses zum Stellenplan
nach Drucksache 8/236
Es könnte jemand hier den Einwand machen, davon ist Berlin
weniger als alle anderen betroffen, und dieser Einwand hat durch
aus seine vordergründige Richtigkeit. Aber die Tatsache, daß der
Bund in besonderer Weise von der Verschuldung betroffen ist,
die Tatsache, daß ständig wachsende Anteile der Bundeshilfe
feststellbar sind, macht deutlich, daß dieses Problem auch für
Berlin ein zentrales und gravierendes Problem ist. Wer eine wei
tere Verschuldung in Kauf nehmen will, der ist letzfendlich bereit,
eine ernste Finanzkrise hinzunehmen. Dies — meine ich — muß
man wissen und auch sagen.