Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
12. Sitzung vom 25. Oktober 1979
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Frau Brinckmeier
(A) die zu ernsten Gesundheitsschäden und einer Kriminalisierung
von Frauen in einer existentiellen Notlage geführt haben und das
werdende Leben eben keineswegs schützen. Für viele Frauen
bestand nur die Chance, dem psychologischen Belastungsdruck
dadurch zu entfliehen, indem sie ein Flugticket nach Holland
oder eben England kauften; und für die nicht so Privilegierten
war der einzige und oft auch letzte Ausweg der Weg zu den
sogenannten Engelmacherinnen. Die Problematik des Schwanger
schaftsabbruchs ist nicht durch das Gesetz geschaffen worden
— sie war von vornherein da —, sondern das Gesetz hat zur Ver
minderung und zur Kontrollierbarkeit eines großen Elends, nämlich
dem Abbruch im Dunkeln, beigetragen.
< Beifall bei der SPD >
Die augenblickliche heftige Kritik der Gegner eines Schwanger
schaftsabbruchs gründet sich vor allem auf die Statistik über den
legalisierten Abbruch, besonders auf dem hohen Anteil nach der
Notlagenindikation. Es ist aber keinesfalls erwiesen, daß die Zahl
der Abtreibungen tatsächlich zugenommen hat. Pro familia,
immerhin eine Einrichtung mit großer Erfahrung auf diesem
Gebiet, vermutet zum Beispiel auch im Hinblick auf internationale
Vergleichswerfe, daß die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche
seit Jahren zurückgeht, daß aber wegen der Liberalisierung und
der Legalisierung die Statistik natürlich mehr Fälle erfaßt als
früher. Die Hellziffer, kann man sagen, wächst, weil ihr eben ein
großer Teil der früheren Dunkelziffer zugeschlagen wird. Ähnlich,
so argumentiert Pro familia, sei auch der Anteil an den legalen
Abbrüchen, die mit schwerwiegender Notlage gerechtfertigt wer
den, nur scheinbar größer, weil diese Indikation, seit sie im Gesetz
vorgesehen ist, auch als solche genannt und nicht mehr wie
früher unter anderen Indikationen verschleiert werde.
In der neu aufgeflammten Debatte um den legalen Schwanger
schaftsabbruch wird häufig mit der Unterstellung gearbeitet, eine
Abtreibung sei nicht nur nicht strafbar, sondern die Schwangere
habe einen Rechtsanspruch auf die Vornahme einer Abtreibung.
Mit einer solchen Argumentation wird die Rechtslage in ein
vollkommen falsches Licht gerückt. Es darf doch nicht vergessen
4 werden, daß nur unter bestimmten Voraussetzungen von einer
Strafe abgesehen wird, dann nämlich, wenn ein Schwanger
schaftsabbruch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und
zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren, nach ärztlicher
Beratung und Stellung bestimmter Indikationen gerechtfertigt
werden kann.
Ein Aspekt wird bei der heftig geführten Debatte leider immer
wieder vergessen, und da setzt unser Antrag an, nämlich, daß
in vielen Fällen, in denen die Fortsetzung der Schwangerschaft
wegen einer persönlichen oder sozialen Notlage der Schwangeren
bedroht ist, das Leben des Ungeborenen durch eine einfühlsame
und helfende Beratung erhalten werden kann. Damit rückt die
Beratung in den Mittelpunkt der insgesamt, wie wir meinen, auf
Lebensschutz gerichteten Maßnahmen.
Wir erwarten in dem von uns gewünschten Bericht eine Dar
stellung dessen, was zusätzlich zu den Gesundheitshilfen zur
Verbesserung der sozialen Lage von Schwangeren und in
diesem Zusammenhang zur Sicherung und Förderung werdenden
Lebens für erforderlich gehalten wird, was bisher dazu veranlaßt
wurde und weiterhin veranlaßt werden soll.
Ich darf kurz im Antragstext fortfahren: „Dabei sollen alle
Erfahrungen und kritischen Ansätze aus der öffentlichen An
hörung der Sachverständigen bei der Beratung des Entwurfs des
Gesetzes über die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs
im Oktober 1978 detailliert aufgegriffen werden." Wenn man sich
an diese Anhörung erinnert oder aber das Wortprotokoll dieser
Anhörung noch einmal liest — wie ich das machen mußte, weil
ich im Oktober vergangenen Jahres diesem Hause noch nicht
angehörte —, bleibt doch der Eindruck einer sehr starken Betrof
fenheit haften, welchen Hindernissen und Schwierigkeiten wer
dende Mütter nach wie vor ausgesetzf waren. Die Anhörung
machte deutlich, daß die soziale Not teilweise leider immer noch
so groß war, daß es für viele nach wie vor keine Alternative
zum Abbruch gab. Kriterien waren finanzielle Schwierigkeiten,
mangelnde Wohnverhältnisse, gefährdete Ausbildungssituation,
fehlende Krippenplätze, Angst vor dem Verlust des Arbeits
platzes und dergleichen mehr. Die Anhörung hatte aber auch
deutlich gemacht, daß man hilfesuchende Schwangere gegen
die öffentlich vielfach geäußerte Unterstellung, sie handelten nur
aus Egoismus, in Schutz nehmen muß. Der übliche Sprach
gebrauch von der sozialen Indikation verkürzt die Problematik
allzu schnell auf eine Geldfrage; doch ist die Wirklichkeit, bei der
es zu schwersten seelischen Konflikten der Schwangeren kom
men kann, vielschichtiger und mit Geld eben allein nicht zu lösen.
Natürlich ist es leicht und besonders edel, die Welt mit ab
strakten Prinzipien in Ordnung zu bringen und Not, Verstrickung
in Ängste und Situationen, die vielleicht nur betroffene Frauen
beurteilen können, eben nicht zur Kenntnis zu nehmen oder nicht /
zur Kenntnis nehmen zu wollen. Nicht strafrechtliche Repressio
nen, sondern konkrete materielle und ideelle Hilfen sind not
wendig. Es geht um sozial begleitende Maßnahmen, wie den
Ausbau sozialpolitischer und familienpolitischer Gesetze, den
Ausbau von Beratungsstellen, die durch eine verantwortungs
bewußte Aufklärung helfen, daß Kinder zur Welt kommen können
und unerwünschte Schwangerschaften eben gar nicht erst
entstehen.
Die Anhörung im Oktober vergangenen Jahres hat natürlich
auch gezeigt, daß die gesetzlich vorgeschriebenen Beratungs
möglichkeiten noch Fehler und Mängel aufzeigen, also ver
besserungsbedürftig sind. Die Koalition hat diese kritischen An
merkungen damals sehr wohl verstanden und versprochen, sich
für die Sache einzusetzen. Sie hat den Senat eindringlich auf
gefordert, im Rahmen seiner bestehenden Möglichkeiten für
Abhilfe zu sorgen. Mit diesem unseren Antrag fassen wir in
diesem Sinne noch einmal nach und erbitten einen Bericht
— eben in 12 Monaten — unter Berücksichtigung der damals auf
geworfenen Fragen und der im Antragslext noch zusätzlich
erbetenen Auskünfte. — Vielen Dank!
< Beifall bei der SPD und bei der F.D.P. >
Stellv. Präsident Sickert: Ich eröffne die Beratung. Das Wort
hat Frau Wiechatzek.
Frau Wiechatzek (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Dem Diktat der Uhr folgend, will ich mich auf einige kurze
Bemerkungen beschränken, die aber beim vorliegenden Antrag
aus der Sicht der CDU notwendig sind.
Greift man das Thema „§ 218“ auf, so wird man häufiger belehrt,
doch nicht die zurückliegenden Diskussionen neu zu entfachen.
Doch gerade die Frage des Schwangerschaftsabbruchs kann ja
nicht nur einfach zu den Akten gelegt werden, denn es handelt sich
hierbei letztlich nicht nur um eine politische Frage, sondern um ein
Problem, das die moralischen Grundbegriffe unserer Gesellschaft
berührt. Wir wissen inzwischen, daß im vergangenen Jahr im
gesamten Bundesgebiet über 70 000 legale Schwangerschafts
abbrüche durchgeführt worden sind, davon ca. 50 000 — also
etwa 70% — aus sozialen Gründen. Diese so deprimierende
Zahl — und das in einem Sozialstaat wie dem unsrigen - müßte
uns allen zu denken geben; denn unser Ziel muß es doch sein,
die Lebenssituation für Mutter und Kind so zu gestalten, daß eine
Gefährdung der Schwangeren, bedingt durch soziale Notlagen,
ausgeschlossen ist. Der Schwangerschaftsabbruch kann nur der
letzte Ausweg sein und darf es auch weiterhin nur bleiben. Dabei
kommt natürlich zweifellos einem qualifizierten Angebot an
Beratungsmöglichkeiten eine große Bedeutung zu. Was aber
nützen die besten Beratungsmöglichkeiten, wenn es an flankie
renden Maßnahmen fehlt?
< Beifall bei der CDU >
Bereits in einer Kleinen Anfrage vom Oktober 1978 habe ich den
Senat darauf hingewiesen, daß gerade im Zuge des reformierten
§ 218 es an flankierenden Maßnahmen fehlt, speziell für den
Problemkreis alleinstehender Mütter. Ich habe damals auf die
Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche hingewiesen. Wohn-
berechtigungsscheine mit einer Dringlichkeitstufe gibt es für Ehe
paare und Verlobte, für alleinstehende Mütter erst im vierten
Schwangerschaftsmonat. Ein Schwangerschaftsabbruch muß aber
bereits vorher erfolgen. Wir alle wissen aber, obwohl diese
Praxis nach wie vor so gehandhabt wird, daß einer der häufigsten
Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch gerade eine un-