Abgeordnetenhaus von Berlin - 8. Wahlperiode
10. Sitzung vom 27. September 1979
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Boroffka
A) noch das Unvermögen, damit fertig zu werden. Ich glaube, daß
dieses nicht die richtige Politik ist.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen: Wenn jetzt
hier vorgetragen werden würde — und, Herr Senator, Ihr Senats
direktor hat gestern ähnliches angedeutef -, in Berlin sei alles
gut und man stehe ganz großartig da, so bekunde ich hier schon
meine Zweifel. Gestern ist veröffentlicht worden, daß die Berliner
Chemie im ersten Halbjahr einen Umsatz von 1 Milliarde DM hatte.
Und ich kann mir nicht verstellen, daß hier nicht — aus der Ver
gangenheit zumindest noch — Relikte vorhanden sind, die es aus
zuräumen gilt. Wir hoffen, daß hier Klärung hineinkommf. - Vielen
Dank!
< Beifall bei der CDU >
Stellv. Präsident Sickert; Das Wort zur Beantwortung hat Herr
Senator Pätzold.
Pätzoid, Senator für Gesundheit und Umweltschutz: Herr Präsi
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz gewiß sind
die Ereignisse in Hamburg Anlaß dafür, in der Bevölkerung in allen
Bundesländern Fragen autzuwerfen, Beunruhigung hervorzurufen,
die Sorge aufkommen zu lassen, ob denn auch anderswo als in
Hamburg alles mögliche getan oder wenigstens halbwegs getan
worden ist. Ich bin dankbar dafür, daß der Sprecher der
Opposition für die Begründung der Großen Anfrage das Thema
sehr sachlich angegangen ist: ein solches Thema ist auch aus
meiner Sicht nicht dafür geeignet, mit Polemik Beunruhigungen,
die vorhanden sind, etwa zu schüren, sondern wir sollten das, was
aufgearbeitet werden muß, auch so sachlich wie möglich aufzu
arbeiten versuchen.
Die Zeit für die Vorbereitung einer Antwort auf eine dringliche
Anfrage ist naturgemäß kurz. Ich meine trotzdem, daß es richtig
. ist, daß der Senat auf die — wenn auch zeitlich knapp gestellte —
j“' Anfrage heute schon antwortet, und daß es dann auch wohl der
Logik der Dinge entspricht, daß man sich wegen der Übersicht
lichkeit in einer komplizierten Materie bemüht, nicht über alles
und jedes zu sprechen, sondern die Grundlinien dessen, was der
Senat dazu zu sagen hat, herausstellt.
Ich sage gleich vorweg - neben dem, was ich zu einzelnen der
von Ihnen gestellten vier Fragen noch ausführen möchte —, daß
eben nicht nur Hinweise von Bürgern, sondern auch von Bürgern,
die Abgeordnete sind — wie eben von Ihnen, Herr Boroffka —, auf
jeden Fall weiter verfolgt werden sollten — dann, wenn es
möglicherweise erste Hinweise oder „Wiederaufnahme“-Hinweise
sind. Und ich würde auch Wert darauf legen, daß vielleicht Fragen
zu einer größeren Zahl von Details sehr bald mit den beteiligten
Verwaltungen in einem dafür zuständigen Ausschuß des Abgeord
netenhauses geklärt werden. Hier muß Offenheit herrschen, hier
muß Klarheit herrschen, und ich möchte mich dafür einsetzen.
Ich will aber auch dazu sagen, daß sich natürlich alle, die heute
Verantwortung fragen, darum bemühen, sich dessen zu verge
wissern, daß auch in der Vergangenheit alles Notwendige ge
schehen ist, obwohl heute sicher ein geschärfteres Umwelt
bewußtsein Grundlage unserer Bemühungen ist. Und deshalb
haben wir, ohne daß es des Hamburger Anstoßes eigentlich
bedurfte, aber doch, um auch jeder gebotenen Sorgfaltspflicht
nachzukommen, noch einmal alle beteiligten Senatsverwaltungen
"zusammengerufen. Wir haben sie noch einmal von uns aus
aufgefordert, uns zu bestätigen, daß es in Berlin keine etwa nicht
berücksichtigten Hinweise gibt - Hinweise, denen nicht nach
gegangen worden wäre. Wir wollen ganz bewußt das nicht auf die
Senatsverwaltungen beschränken, sondern wir haben für die
nächsten Tage auch noch einmal alle Bezirksverwaltungen neben
den Senatsverwaltungen eingeladen, um uns vorsorglich bestäti
gen zu lassen, daß alles Notwendige getan worden ist. Sollte sich
dabei an irgendeiner Stelle herausstellen, daß etwas nachgebes-
serf werden müßte, wird das selbstverständlich veranlaßt werden.
Dies vorausgeschickt, möchte ich dann zu Beantwortung der im
einzelnen gestellten Fragen kommen — in, ich sage es noch
einmal, zwar präzisen, aber doch knappen Skizzenstrichen.
Was die Frage 1 angeht, so darf ich darauf hinweisen, daß im (C)
Rahmen von Produktionsverfahren vielfältige, auch gefährliche
Stoffe eingesetzt werden, auch erzeugt und gelagert werden, und
dies natürlich auch in Berlin. Hier führen das Landesamt für
Arbeitsschutz und technische Sicherheit und der Gewerbeaußen
dienst der Polizei regelmäßige Kontrollen durch. Die Beseitigung
der Abfälle - Einsammlung, Beförderung, Behandlung, Lagerung
und Ablagerung — unterliegt dem Abfallbeseitigungsgesetz des
Bundes, das ein systematisches Netz von Sicherungen eingeführt
hat. Danach ist insbesondere die Beseitigung von sogenannten
Sonderabfällen, die in besonderem Maße gesundheits-, luft- oder
wassergefährdend sind, nachweispflichtig. Damit soll — aus
gehend von einem gesetzeskonformen Verhalten der Bürger, dem
auch Straf- und Bußgeldandrohungen dienen und das der Gesetz
geber unterstellt — eine weitgehende Sicherheit für die Umwelt
erreicht werden.
Gesetze und Uberwachungsmaßnahmen — das lehren alle
Erfahrungen — können jedoch nicht völlig ausschließen, daß es
gelegentlich auch zu wilden Ablagerungen oder anderem Fehl
verhalten kommt; deshalb ist besondere Sorgfalt geboten. Ande
rerseits wird jeder verstehen, daß nicht hinter jedem Bürger, der
vielleicht etwas im Keller hat, auch jeweils ein Polizist und
vielleicht noch ein Psychologe gestellt werden könnte.
Ein gesondertes Problem sind Waffen- und Munitionsreste aus
dem Zweiten Weltkrieg. In Berlin sind seit Kriegsende systema
tisch Boden und Gewässer nach den vorliegenden Erkenntnissen
aut solche Reste abgesucht worden. Die letzten Absuchungen
werden in den nächsten Jahren abgeschlossen sein. Eine absolute
Sicherheit wird es auch hier naturgemäß nicht geben können. Um
so wichtiger war und bleibt jeder einzelne helfende Hinweis aus
der Bevölkerung für zum Teil schon sehr lange zurückliegende
Ereignisse.
Zu Frage 2: Für die innerbetrieblichen Vorgänge nimmt das
Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit regel
mäßige Begehungen vor. Außerdem hat das Landesamt in geziel
ten Aktionen rund 700 Betriebe — zum Teil mehrfach - auf
Gefährdungen durch giftige Stoffe überprüft; solche Gefährdungen ( D )
haben sich nicht ergeben.
Für die Entsorgung von Sonderabfällen hat die Senatsverwal-
lung für Gesundheit und Umweltschutz die dafür in Betracht
kommenden mehr als 600 Betriebe ermittelt und überprüft. Bei
Mängeln wurde das Erforderliche veranlaßt. In einem schwer
wiegenden Fall von akuter Umwelfgefährdung mußte die Ab
räumung des Grundstücks durch die BSR im Wege der Ersafz-
vornahme veranlaßt werden.
Bei Gefährdung oder bereits eingelretener Verunreinigung des
Grundwassers hat die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungs
wesen nach den jeweiligen Erfordernissen insbesondere den
Austausch des verunreinigten Bodens sowie das Abpumpen des
Grundwassers bis zur Beseitigung der Verunreinigung veranlaßt.
Schließlich begeht der Gewerbeaußendienst der Polizei
Betriebe; Polizei und Feuerwehr greifen, wie in allen anderen
Bereichen auch, in akuten Fällen zur unmittelbaren Gefahren
abwehr ein.
Nach den Hamburger Ereignissen sind der Senatsverwaltung für
Gesundheit und Umweltschutz dankenswerterweise aus der Ber
liner Bevölkerung mehr als 20 Hinweise zugegangen. Alle diese
Hinweise konnten bereits soweit überprüft werden, daß min
destens eine erkennbare Gefährdung zu verneinen ist — nähere
Prüfungen, intensivere Bodenuntersuchungen gegebenenfalls Vor
behalten. Das gilt auch für eine frühere Zweigstelle der Ham
burger Firma Stoltzenberg im Bezirk Tiergarten.
Für Betriebe, die ein besonderes Gefährdungspotential dar
stellen, beabsichtigt die Bundesregierung - und darauf durfte ich
vorhin schon in der Fragestunde hinweisen —, veranlaßt durch die
Seveso-Katastrophe, den Erlaß einer auf § 7 des Bundesimmis
sionsschutzgesetzes gestützten Verordnung, die sogenannte Sför-
fallverordnung. Sie sieht für solche Betriebe verschärfte Anforde
rungen vor. Diese Verordnung wird voraussichtlich im Frühjahr
1980 in Kraft treten und auch eine Aufzählung hochgiftiger Stoffe
enthalten. Im Vorgriff auf diese Verordnung hat die Senatsverwal
tung für Gesundheit und Umweltschutz in Zusammenarbeit mit