Abgeordnetenhaus von Berlin — 8. Wahlperiode
9. Sitzung vom 13. September 1979
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Boroffka
(A) Wir sind bei diesem Standpunkt geblieben. Wir tragen diese
Verantwortung der Planungsschlamperei nicht mit!
Ein zweites: Sie fügten an: Der lange Weg der CDU hinsichtlich
Atomkraft. — Verehrter Herr Dr. Kunze: Die erste Partei, die in
dieser Stadt über diese Frage zum ersten Mal öffentlich nach
gedacht hat, und zwar unter Zuhilfenahme der Fachleute, war die
CDU, und wenn ich mich richtig erinnere, im Jahre 1968. An
gesichts der Milliarden, die später Regierungen, die von der
SPD und der F.D.P. getragen worden sind, dafür ausgegeben
haben, war es ja wohl nicht falsch, zu überlegen, ob dergleichen
sinnvoll sei oder nicht. Und da8 es nicht sinnvoll ist, solange
Sicherheitsfragen nicht gelöst sind, ist seit langem der erklärte
Standpunkt der CDU. Ich bitte, die CDU nicht falsch in Anspruch zu
nehmen, das ist an sich auch sonst nicht Ihre Art, Herr Dr. Kunze.
Eine dritte Sache, die ein wenig geradegerückt werden muß,
Herr Kollege Momper, ist Ihr Angriff gegen den Kollegen
Wronski hinsichtlich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Nun
wissen Sie gerade deshalb, weil wir gestern darüber gesprochen
haben, daß die Situation des Landes Berlin — Sie haben es nach
her auch kaschiert angesprochen — besonders dadurch gravie
rend erschwert ist, daß wir Belastung von außen hereinbekom
men. über die wir keine Verfügungsgewalt haben. Ich wiederhole
noch einmal hier in der Öffentlichkeit, was ich gestern öffentlich
vor dem Ausschuß unwidersprochen erklärt habe, daß gerade in
Belastungssituationen — und auf die muß die Genehmigung ab
gestellt werden - die Belastung, die in die Stadt einfließt, 50 %
der hier vorhandenen ausmacht: 50 % nachweislich! Ich habe
Ihnen gestern diese Zahlen genannt, ich habe Ihnen das Literatur
zitat genannt, es kommt aus dem Meßnetz, das wir hier haben.
Und dies ist eindeutig.
< Momper (SPD); Wo haben Sie diese Ausbreitungs-
rechung denn gemacht? >
Und wenn das so ist, daß 50 % der Belastung von außen
kommt, dann ist in der Tat zu überlegen, wie hier dann noch die
vollen Forderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zum
Tragen kommen können zum Wohle der Bevölkerung. Vielleicht
muß man dann auf seiten der Bundesregierung den Verhandlungs
katalog mit der DDR um entscheidende Punkte erweitern.
< Beifall bei der CDU >
Aber lassen Sie mich nun noch einige allgemeine Bemerkungen
machen. Herr Kollege Dr. Kunze, und auch Sie, Herr Kollege
Momper, haben ja lange Ausführungen zur sparsamen Energie
verwendung gemacht. Ich bin übrigens dankbar, daß der Herr
Wirtschaftssenator diese rationelle Energieverwendung als „nicht
rationalisieren“ deutlich gemacht hat. Darin können wir überein
stimmen, denn es ist selbstverständlich, daß man Energie sparsam
verwenden soll. Dies ist im übrigen gang und gäbe. Nur, Herr
Kollege Dr. Kunze, gibt es viele Möglichkeiten, den entstehenden
Energiebedarf zu decken. Die erste Möglichkeit — Sie haben sich
lange darüber ausgelassen - ist, zum Sparen aufzurufen. Ich
glaube aber, wir sind uns darüber einig, daß dies nur in dem
Umfang geschehen kann, in dem die Bürger dieser Stadt dies
wollen.
< Dr. Kunze (F.D.P.): Natürlich! >
Und da es in dieser Richtung bisher keinerlei Aktivitäten gibt und
keinerlei konkrete Pläne für Sparmaßnahmen, kann man hierauf
auch nicht abstellen, der Herr Bürgermeister hat dies erklärt.
Zweitens — auch darauf haben Sie lange Ausführungen ver
wendet — kann man alternative Darbietungen versuchen, zum
Beispiel Solarenergie — bringt aber nicht viel, das wissen wir
beide oder Wärmerückgewinnung und ähnliche Prozesse —
bringt auch nicht viel, kann man aber probieren. Es gibt aber
nicht einen einzigen konkreten, faßbaren Plan, in dem Zeit
abläufe hierfür deutlich werden. Es gibt lediglich hypothetische
Überlegungen, daß dergleichen überlegt werden muß, mehr nicht!
Drittens: Die Möglichkeit des Verbundes ist lange hier disku
tiert worden, darüber brauchen wir nicht mehr zu reden, auch
hierfür gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, daß dergleichen
helfen kann. Und weil dreierlei Dinge nicht gehen, sagt der Senat
offenbar und sagen auch Sie als Koalitionsfraktionen, dann
brauchen wir uns um das vierte, um den Zubau, auch nicht mehr
zu kümmern. Was ist denn das für eine Politik? Da drei Dinge (C)
konkret nicht faßbar sind, muß man das vierte machen und sich
hier um alternative Standpunkte kümmern, unabdingbar! — Und
jetzt will ich Ihnen den Zeitablauf klarcnachen.
< Beifall bei der CDU — Zuruf des Abg. Momper (SPD) >
— Es gibt nur die vier Möglichkeiten, kommen Sie hier rauf und
nennen Sie eine fünfte, die gibt es nicht! — Nun will ich Ihnen den
Zeitablauf deutlich machen: Die Bewag hat beim Senat 1972
beantragt, den Standort Oberhavel in das Genehmigungsverfahren
einzubeziehen; 1972 der Antrag! Und heute hören wir nunmehr
- ich hoffe, daß dies verbindlich ist und daß dies nicht mehr ver
schoben wird, Herr Bürgermeister Lüder -, daß 1985/86 die erste
Stufe in Betrieb genommen wird: Das sind 13 Jahre!
< Momper (SPD): Wollen Sie, daß das früher steht? >
Nun stellen wir uns mal vor, wir fangen heute an mit Diskussionen
um den nächsten Standort und rechnen 13 Jahre weiter. Wir
können doch rechnen, das ist dann 1992. Da das aber nicht
absehbar ist, sage ich: Es ist verantwortungslos, die Frage der
Auswahl weiterer Standorte noch länger hinauszuzögern! Dies
ist verantwortungslos für diese Stadt, es sei denn, Sie haben der
Öffentlichkeit vorenthaltene Informationen über andere Möglich
keiten der Deckung.
Damit komme ich aut einen weiteren Punkt. Hier ist mehrfach
deutlich gemacht worden, daß wir Prognosen des Senats haben.
Ich bin dankbar, hier bestätigen zu können, daß die Aussagen
des Senats über Zuwachsraten und die der CDU identisch sind.
Daß allerdings die Aussagen der beiden Koalitionsfraktionen
hiervon abweichen.
< Momper (SPD): Wir sind sparsamer! — Heiterkeit
bei der CDU >
Ich sage: Prognosewerte sind immer Werte, die eine gewisse
Bandbreite haben. Das ist logisch. Es sei denn, daß man ent
weder Informationen hat, daß die Prognosewerte real - und Sie
verwandten mehrfach das Wort, Herr Momper — tatsächlich gar
nicht in der Mitte der Bandbreite liegen, sondern woanders, dann (0'< j-,
bitte ich aber herzlich darum, daß Sie Ihre Information deutlich
machen, oder aber Sie wollen hier aus politischen Gründen
eine Abweichungswahrscheinlichkeit in eine Richtung deutlich
machen, die Sie rational überhaupt nicht begründen können. Ich
glaube, das letztere ist eher der Fall.
< Momper (SPD): Wo werd’ ich denn! >
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen zur Fernwärme
versorgung, die hier so sehr gelobt worden ist und von der wir
soeben gehört haben, daß erst 20 % der fernwärmewürdigen
Gebiete überhaupt angeschlossen sind. Ich habe bewußt da
zwischengefragt, von wann die Studie ist, Herr Bürgermeister
Lüder. Sie stammt, wenn ich richtig informiert bin, aus dem
Jahre 1976. Inzwischen sind die Erkenntnisse über die Möglich
keiten der Isolierung sehr viel weitergegangen. Das heißt, es sind
heute sehr viel mehr Gebiete fernwärmewürdig, selbst in der
bisherigen Konzeption der Großkraftwerke, als seinerzeit an
genommen. Das heißt, man muß davon ausgehen, daß nicht mehr
als 15 % der fernwärmewürdigen Gebiete tatsächlich angeschlos
sen sind. 20 % waren es bei dem damaligen Konzept. Ich wäre
dankbar, wenn man hier nicht weiter mit Zeiträumen von 13 und
15 Jahren wie bei der Kraftwerksplanung weiterplanen würde.
< Beifall bei der CDU >
Präsident Lorenz: Das Wort hat der Abgeordnete Gerald
Lorenz.
Lorenz, Gerald (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Zunächst zu dem Punkt, in dem wir alle übereinstimmen: Die
gesicherte Energieversorgung der Stadt ist für die Wirtschafts
kraft, für die Erhaltung der Arbeitsplätze, für die Schaffung neuer
Arbeitsplätze und für die Versorgung der Bevölkerung absolut not
wendig und vorrangig — diese Zielsetzung ist völlig unbestritten.
Eine ganz andere Frage Ist die Entkopplung von Wirtschafts
wachstum und Energieverbrauchswachstum. Beispielsweise
gehen Investitionen zur Energieeinsparung in das Sozialprodukt