Abgeordnetenhaus von Berlin — 7. Wahlperiode
70. Sitzung vom 10. November 1977
schon einmal Anfang Mai dieses Jahres anstand und das dann
infolge der Entwicklung nicht mehr zustande kam.
Ich meine, wir werden eines Tages daran gemessen werden,
wie wir in wesentlichen Grundsatzfragen unserer Stadt nach
außen zusammengestanden haben. Dies ist auch früher möglich
gewesen, daß ungeachtet der politischen Gegensätze es in den
Grundsatzfragen der Stadt zu einer Übereinstimmung kam.
Die Bedrohung unserer Stadt ist nicht dadurch weniger
geworden, daß wir das Berlin-Abkommen haben und es uns
heute vielfach sehr viel besser geht als in früheren Zeiten. Die
Bedrohung unserer Stadt können wir auf die Dauer erfolgreich
nur alle gemeinsam abwenden.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeordneter
Lummer.
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Für den Beitrag des Abgeordneten Oxfort bin ich sehr dankbar,
weil er, wie mir scheint, das Problem in seinem Kern getroffen
hat. Denn es geht nicht darum — wie der Kollege Ehrke glaubte
ausführen zu müssen —, als würde hier irgend jemandem etwas
unterstellt.
(Na, na! bei der SPD)
Der Anlaß war eine Bemerkung des Bundeskanzlers, die auf
das Viermächte-Abkommen Bezug nimmt, ohne dieses Vier-
mächte-Abkommen korrekt wiederzugeben. Es fehlt eine be
stimmte Vokabel, und die Frage ist, ob diese Vokabel von
Bedeutung ist oder nicht für den Gesamtzusammenhang und
seine Bewertung.
Das Problem besteht doch offensichtlich darin, daß die
Sowjetunion bestimmte Bemühungen anstellt, das Viermächte-
Abkommen falsch zu interpretieren. Ich will mich in meinem
Beitrag jetzt nur auf diesen Komplex, der den völkerrechtlichen
Teil der Sache anbetrifft, beschränken, und nicht die Linie auf
greifen, die Herr Oxfort hier dargestellt hat im Hinblick auf
die staatsrechtliche Seite, die es gibt. Es ist korrekt, eine solche
Betrachtung anzustellen, hinzuweisen auf denkbare Gefahren,
wenn . . . Ich beschränke mich hier auf den einen Aspekt der
völkerrechtlichen Seite.
Die Sowjetunion bemüht sich also, das Abkommen in einem
ganz bestimmten Sinne falsch zu verstehen, zunächst einmal,
indem sie von sich aus die eine oder andere Regelung als beson
ders wichtig oder unwichtig und eine bestimmte als Kern
bestimmung bezeichnet. Die Sowjetunion sagt — das ist gele
gentlich zurückgewiesen worden — Kernbestimmung sei die
Tatsache — jetzt zitiere ich Abrassimow —, Berlin sei kein
Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland. Die Sowjetunion
bemüht sich, diese Position herauszuarbeiten, indem sie be
ständig, notorisch daran festhält, bei der Wiedergabe des
Vertragtextes bestimmte Worte wegzulassen. Das ist einmal
jenes — was oft genug zitiert worden ist und worüber es hoffent
lich keinen Streit mehr gibt — „so wie bisher" und „weiterhin"
in dem Gesamtzusammenhang. Das ist erwähnt worden in dem
Beitrag, den der Regierende Bürgermeister im Europa-Archiv
veröffentlicht hat, auch an anderen Stellen. Es gehört aber auch
jener Begriff dazu, der darauf verweist, die Westsektoren
Berlins seien kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik. Und
genau dieses Wort hat auch der Bundeskanzler weggelassen
— wie Herr Abrassimow.
Ich muß also jetzt eine Bemerkung dazu machen, warum
ich die Verwendung eines solchen Wortes im Viermächte-
Abkommen für bedeutsam halte. Ich verstehe das zunächst
einmal als eine einschränkende Bemerkung, als einen Gegen
satz zu der Auffassung, daß Berlin überhaupt kein Teil der
Bundesrepublik Deutschland sei; es ist eben nur kein konstitu
tiver Teil. Dieser Begriff ist sicherlich im Völkerrecht nicht
sehr gängig, auch vielleicht unscharf, aber man muß ihn wohl
im Hinblick auf das verstehen, was Herr Dr. Biel gesagt hat,
nämlich auf die alliierten Vorbehalte und ihre Formulierungen.
Damals sind bestimmte Bestimmungen der deutschen Verfas
sung nicht außer Kraft gesetzt worden, sondern sie sind sus
pendiert worden; das heißt, die Alliierten wollten damit deut
lich machen, daß die vollständige Integration Berlins als Land
der Bundesrepublik zumindest zeitweise verhindert wird. Sie
haben das näher ausgeführt und einmal auf die Bemerkung
bezogen: Berlin darf nicht vom Bund aus regiert werden. Und
es ist in anderen Passagen ausgeführt worden, daß Berlin als
Land insoweit nicht unmittelbar in die Organisationsstruktur
des Bundes eingeht. Was ist das Ziel der Alliierten dabei ge
wesen? Was wollten sie erreichen und was nicht? Die Alliierten
wollten damit erreichen, daß die Aufhebung des Besatzungs-
status für ganz Berlin durch deutsches Recht verhindert wird,
um ihre Position hier in Berlin zu wahren. Nur darum ging es.
Das heißt, ihr Ziel war, die vollständige Integration zu verhin
dern, um ihre Restposition in Berlin im völkerrechtlichen Rah
men auch gegenüber der Sowjetunion wahren zu können. Und
sie haben von daher bewußt — sage ich jetzt mal — alles zuge
lassen, was außerhalb des Konstitutiven liegt, was nicht un
mittelbar in diesem Sinne den Verfassungsrahmen anbetrifft.
Und hier ist nun der Punkt, wo es wieder politisch wird und
ich zu dem Faden zurückkomme, den ich aufgenommen habe.
Es ist das Offenkunde Bemühen der Sowjetunion, auch gegen
die Bindungen tätig zu werden, die außerhalb des Konstitutio
nellen, nämlich im vorparlamentarischen Raum liegen, jene
totale Integration und Zugehörigkeit, die im vorparlamenta
rischen, vorstaatlichen Raum liegt, aufzufädeln, aufzubröseln,
kaputtzumachen. Das ist ihr Ziel; und das ist offenkundig auch
der Grund, weshalb die Sowjetunion ihrerseits geflissentlich
den Begriff „konstitutionell" bei der Zitierung vermeidet.
(Abg. Thomas: Herr Kollege,
gebrauchen Sie um Gottes willen nicht andauernd
den Begriff „konstitutionell"! Das heißt konstitutiv!
Den Unterschied werden Sie ja wohl kennen! —
Zuruf von der CDU: Aber Sie nicht!)
— Entschuldigung, Herr Thomas, wenn ich einen Fehler mache,
habe ich die Angewohnheit, ihn — im Gegensatz zu anderen —
auch zuzugeben. Ich komme auf dies Thema noch zurück. —
Ich möchte mir in diesem Zusammenhang erlauben — um diese
These zu unterstreichen —, eine Passage aus einem jüngst
erschienenen Text des Max-Planck-Instituts zu zitieren
(Rbm Stobbe; Wenn der Kanzler es sagt! —
Heiterkeit bei der SPD)
— Ja, bloß der gibt's nicht zu, Herr Stobbe, das ist doch der
Punkt, um den es hier geht. Es geht doch nicht darum, daß man
keine Fehler machen kann; hier geht es darum, ob man bereit
und fähig ist, vielleicht sogar die Kraft hat, zu sagen: Ich habe
mal was falsch gemacht!
(Beifall bei der CDU)
Ich komme darauf zurück, Herr Stobbe, haben Sie gar keine
Sorge. - Ich wdll diese Passage zitieren, nicht zuletzt auch des
halb, weil gerade dieses Buch mir von einem der Berater des
Regierenden Bürgermeisters als aussagekräftig anempfohlen
ist. Hier in diesem Buch von Schiedermayr heißt es zu diesem
Sachverhalt wie folgt;
Das Abkommen, das in diesem Zusammenhang
— Bindungen —
wohlweislich den Terminus „konstitutiv" verwendet, ver
bietet den Westmächten lediglich eine einseitig vorgenom
mene volle Eingliederung West-Berlins als Land in den
Staatsverband der Bundesrepublik. Von einer solchen Ein
gliederung West-Berlins in den Staatsverband der Bundes
republik kann jedoch in all den oben beschriebenen Fällen
— das sind Angriffe der Sowjetunion gegen Veranstaltungen
im vorparlamentarischen Raum —
keine Rede sein. Etwas anderes wird, wenn man es genau
nimmt, auch noch nicht einmal von der Sowjetunion und
der DDR behauptet. Bezeichnenderweise ist in den Erklä
rungen, auf die es in diesem Zusammenhang ankommt,
regelmäßig davon die Rede, daß West-Berlin kein Teil der
Bundesrepublik sei oder nicht zu dieser gehöre,
— in den sowjetischen Äußerungen —
während der Begriff „konstitutiv" geflissentlich ausgelas
sen wird. Offensichtlich ist man also auf der östlichen Seite
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