Abgeordnetenhaus von Berlin — 7. Wahlperiode
70. Sitzung vom 10. November 1977
Ich möchte eine weitere Bemerkung zum Thema „Verfaßte
Studentenschaft" machen. Zuerst einmal; Selbstverständlich ist
dies keine Weltanschauungsfrage. Es ist eine wichtige Sach
lage. Ich halte es auch nicht für die wichtigste Frage, die jetzt
im Zusammenhang mit diesem Gesetz zu entscheiden ist. Es ist
eine wichtige Frage, aber nicht die entscheidende Frage des
Gesetzes. Nur, wir müssen uns zuerst einmal, wenn wir über
„Verfaßte Studentenschaft“ reden, Herr Kollege Dr. Heyden
und Frau Kollegin Dr. Besser, über eine klare Stellungnahme
auch der Parteien einigen. Ich stelle fest, daß die sozialliberal
regierten Länder inzwischen eine eindeutige Stellung bezogen
haben, während bei der Union das noch nicht der Fall ist.
Bayern hat die Verfaßte Studentenschaft abgeschafft, Baden-
Württemberg will sie jetzt abschaffen, Rheinland-Pfalz, Frau
Kollegin Laurien, verteidigt die Verfaßte Studentenschaft,
andere CDU-Länder auch. Sie hatten sie in ihrem Entwurf drin,
sie wollen sie jetzt wieder herausstreichen.
(Abg. Dr. Heyden: Eben!)
Da ist wahrscheinlich ein Gespräch auf Fraktionsvorsitzenden
ebene fällig, um eine einheitliche Position der Union herzu
stellen. Bisher höre ich von Ihnen sehr Unterschiedliches. Ich
habe da nichts dagegen. Das ist ja auch denkbar. Es weist nur
darauf hin, daß dies nicht so eine Grundsatzfrage sein kann,
sondern eine politische Zweckmäßigkeitsfrage ist, die offen
sichtlich unterschiedliche Konzeptionen erlaubt.
Stellv. Präsident Sickert: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Glotz, Senator für Wissenschaft und Forschung: Selbst
verständlich!
Stellv. Präsident Sickert: Bitte, Herr Boroffka!
Boroffka (CDU): Herr Senator Dr. Glotz! Wenn es eine Frage
der politischen Zweckmäßigkeit und keine Grundsatzfrage ist,
würden Sie mir dann in der Auffassung zustimmen, daß bei der
Entscheidung über „Verfaßte Studentenschaft, ja oder nein"
auch die örtlichen Zustände eine wesentliche Rolle spielen?
Dr. Glotz, Senator für Wissenschaft und Forschung: Selbst
verständlich, Herr Kollege Boroffka, könnte es auch regionale
Gründe geben, für oder gegen eine Verfaßte Studentenschaft
zu sein. Ich sehe aber einen ausschlaggebenden regionalen
Unterschied nicht, sagen wir zwischen der Universität Heidel
berg und der Universität Berlin, auch zwischen der Universität
München, die ich ja seit vielen Jahren kenne, und der Univer
sität Berlin, und zwar trotz bestehender Differenzen. Ich meine,
das Hauptproblem ist doch dieses: In den großen Universitäten
stehen zigtausend Studenten dem Staat gegenüber — und dies
als ungegliederte Gruppe, die in ihrer Meinungs- und Willens
bildung nur auf die Universitätsgremien angewiesen ist, die ja
letztlich nur über die Anstellung eines Assistenten oder über
die Beschaffung eines Großgerätes entscheiden, was die politi
schen und emotionalen Bedürfnisse von 22jährigen nicht be
friedigt. Hier haben auch Sozialdemokraten ihre Position ver
ändern müssen, das sehe ich ganz eindeutig. Dieses Bedürfnis
nach einer Möglichkeit der Willensbildung, glaube ich, drängt
sich auf bei so großen Massenuniversitäten, wie wir sie in Ber
lin, wie wir sie aber auch in vielen anderen Bundesländern
haben. Deswegen meine ich nicht, daß regionale Unterschiede
für oder gegen diese Position sprechen können. Wenn wir da
erst einmal die Studenten selbst befragen und sagen, es muß
eine große Gruppierung, ein großer Teil der Studentenschaft,
sich positiv dafür entscheiden, damit wir überhaupt dazu kom
men, dann ist dies nur ein demokratisches Grundprinzip, das
dabei verwirklicht wird. Wenn jeder Student, der in die Hoch
schule kommt, Beitrag zahlen muß in einer Zwangskörper
schaft, dann, meine ich, ist es legitim, zuerst einmal, wenn sie
wieder eingeführt wird, nachdem sie abgeschafft war in Berlin,
zu fragen, wie sieht es eigentlich aus? Und diejenigen, die dafür
sind, sollen ruhig mobilisieren innerhalb der Studentenschaft,
damit für diese Verfaßte Studentenschaft dann die Position be
zogen wird. Ich meine also, daß wir hier einen vernünftigen
Weg gefunden haben. Aber noch einmal: Es ist dies eine poli
tische Sachfrage.
Dann zum Schluß: Herr Kollege Dr. Heyden, ich freue mich,
daß Sie betont haben, daß in einer ganzen Reihe von Punkten
Konsens zwischen den Fraktionen besteht. Ich darf Ihnen ein
fach informativ und nur stichworthalber sagen, wir wollen ja
die Debatten im Ausschuß nicht vorwegnehmen;
Erstens: Es wird selbstverständlich wissenschaftliche Mit
arbeiter mit Zeitverträgen geben müssen.
Zweitens: über die Frage, ob man sozusagen sanftere Sank
tionen noch einfügen soll in das Ordnungsrecht, also auch den
Verweis, kann man natürlich diskutieren. Ich wollte klar
stellen, daß das Ordnungsrecht sich gegen Gewaltanwender
in der Universität wendet, und diese kleinen Gruppen sind
normalerweise nicht mit Verweisen zu beeindrucken. Aber
wenn starke Gruppierungen — wie sich das andeutet — der
Meinung sind, man braucht auch diese sanfteren Sanktionen,
ist dies durchaus auch denkbar, sie wieder in das Gesetz ein
zufügen.
Drittens; Schon jetzt steht im Gesetz, Herr Kollege
Dr. Heyden, drin, daß selbstverständlich mit einem entspre
chenden Quorum die Studentenschaft eine Verfaßte Studenten
schaft auch abschaffen könnte, wenn sie sie wieder abschaffen
will. Das heißt also, daß dieses in die Möglichkeit gestellt ist.
Vielleicht ist dies rechtstechnisch unklar ausgedrückt, dann
können wir es gern klarstellen und können es gern noch
etwas deutlicher sagen.
Ich möchte zum Schluß ausdrücklich, Herr Kollege
Dr. Heyden, Ihre Bereitschaft und die Ihrer Fraktion begrüßen,
auch zur Debatte in die Hochschule hineinzugehen. Lassen Sie
mich etwas scherzhaft sagen, weil Sie mir gestern so freund
schaftlich eine Sendung von Plakaten zugestellt haben, die Sie
am frühen Morgen mit einigen Kollegen in der Universität
abgerupft haben —-
(Abg. Rösler; Ist der Strafantrag schon gestellt?
— Nein, nein. Ich beabsichtige nicht, deswegen Strafanträge
zu stellen. Wissen Sie, ich behalte mir Strafanträge für wirklich
gefährliche Situationen vor und bin dagegen, das bei allen
möglichen Gelegenheiten zu tun.
Herr Kollege Dr. Heyden, Sie haben leider auch ein paar
ganz harmlose Plakate abgepflückt, auf denen eigentlich nur
Ankündigungen stehen, daß die Juso-Hochschulgruppe oder
LHV oder dieser oder jener dann und dort eine Veranstaltung
machen, über die war ich eigentlich nicht so entsetzt, während
es andere gibt, die in Tat sehr problematisch sind.
(Frau Abg. Greiff: Kommt drauf an, wo
Sie hängen!)
Alle Fraktionen, Frau Kollegin Greiff, mißbilligen es, wenn
Wände dazu benutzt werden, darauf irgendwelche Verzierun
gen anzubringen. Diese Kommunikationsform ist niemand
von uns recht, wenn es auch nicht alle gleich tragisch nehmen.
Allerdings, wie gesagt, einige der Plakate, die Sie eingesam-
melt haben, finde ich harmlos. Ich finde, harmlose Plakate
sollten Sie ruhig in der Universität hängen lassen.
(Frau Abg. Greiff: Kommt darauf an, wo sie hängen!)
Aber wie dem immer auch sei, das ist ja nicht so wichtig, und
das ist ja ein immer wieder vorkommender Scherz, den ich
ganz gut
(Frau Abg. Greiff: Das war kein Scherz!)
Nur, Herr Kollege Dr. Heyden, darüber sind wir beide uns
einig, und darüber freue ich mich, diese Art von Aktivität
ersetzt naürlich nicht die stetige und ernsthafte Debatte, die
wir da führen müssen,
(Heiterkeit bei der SPD)
und deswegen lassen Sie mich ernsthaft am Schluß sagen:
Wir müssen — glaube ich — deutlich machen, daß der Gesetz
entwurf, so wie er vorliegt, änderbar ist. Ich möchte dies hier
ausdrücklich sagen. Das, was in dem Gesetz steht, soweit der
Spielraum des Landesgesetzgebers reicht, ist änderbar. Ich sage
das für den Senat zur Oppositionsfraktion hin. Wir werden
Debatten haben. Ich sage es aber auch zur Studentenschaft
hin. Wir werden die Einzelvorschläge ernsthaft prüfen. Es
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