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Volume Nr. 66, 22. September 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin — 7. Wahlperiode 
66. Sitzung vom 22. September 1977 
neuen Wohnungen für die nächsten Jahre bleibt eine Aussage, 
die wir in der Enquete-Kommission wegen der Bevölkerungs 
entwicklung alle unterstützt haben. Das hängt aber auch von 
der Frage der Finanzen ab. Hier geistert doch die Zahl im Raum 
herum, daß die Nachfinanzierung der Bauten, die seit 1971 im 
sozialen und im steuerbegünstigten Wohnungsbau errichtet 
worden sind, 19 Milliarden DM erfordert — eine Zeitbombe, die 
uns höchstwahrscheinlich alle noch in Schrecken versetzen 
wirdl Wer dieses Problem kennt, kann nicht ohne Rücksicht 
auf die Finanzierungsmöglichkeiten sagen: Bitte, auf alle Fälle 
in den nächsten Jahren 10 000 Wohnungen mehr! 
Lassen Sie mich zum Tiefbau einige Worte sagen. Der 
Tiefbau lebt doch weitgehend von der öffentlichen Hand. Wir 
wollen hier nicht die Bilder von ein oder zwei Bauarbeitern auf 
ganzen Bauabschnitten überzeichnen. Das ist ein Industrie 
zweig, der durch Aufträge der öffentlichen Hand über Jahre 
hinweg kontinuierlich ausgelastet war. Wir haben bereits 
gestern im Hauptausschuß gesagt: Ein Tiefbauarbeiter ist 
praktisch ein im öffentlichen Dienst mittelbar Beschäftigter — 
der kann also ruhig schlafen und die Unternehmungen können 
das auch. Als wir gestern — das darf ich hier noch einmal 
wiederholen — die Tiefbaumaßnahmen abgesegnet hatten, 
haben wir dem Senat bedeutet, daß er diese Baumaßnahmen 
praktisch wie mit einer Notermächtigung versehen behandeln 
kann, damit die Tiefbauwirtschaft weiß, daß die Auftragslage 
für diesen Bereich abgesichert ist. 
Und nun darf ich etwas zu diesem oft zitierten Wertaus 
gleichsprogramm — WAP — sagen: Das wird als eine ganz neue 
Sache verkauft. Das tut man natürlich, damit die Leute 
zuhören. Aber so neu ist das gar nicht. In Artikel 73 unserer 
Verfassung steht geschrieben, daß in den Bezirken eine 
gerechte soziale und gleichmäßige kulturelle Betreuung ge 
sichert sein soll. Und weil das so ist, haben wir seit Jahren eine 
überbezirkliche Dringlichkeitsliste für die einzelnen Fach 
bereiche — von den Schulen bis hin zu den Sportplätzen. Das 
wird auch künftig durchgehalten. Die Frage ist doch nur: Was 
geschieht mit zusätzlichen Mitteln, die wir eventuell daneben 
bereitstellen können? Und wenn da vom Senat gesagt wird: 
Wir werden in den benachteiligten Bezirken einiges verbes 
sern und auffrischen, dann kann ich nur sagen: Aber 
selbstverständlich! Ich möchte meine Wohnung in Zehlendorf 
auch nicht mit einer Hütte am Görlitzer Bahnhof tauschen! Das 
muß man doch auch sehen, daß es da Unterschiede gibt, die 
nach einem Ausgleich verlangen. Ich habe das gestern schon 
deutlich gemacht; die SPD ist doch nicht so töricht, daß sie sich 
nur auf die Arbeiterbezirke stützt, und die Türken sie be 
klatschen, und daß sie im übrigen der CDU die bürgerlichen 
Bezirke überläßt, die dann dort rumläuft und erzählt, dieser 
Senat habe die Zukunft abgebläsen. Davon kann keine Rede 
sein. — Nur eins, glaube ich, werden wir uns gemeinsam 
ansehen müssen. Ob dieses Nebeneinander von WAP und 
ZIP — einige sagen schon Cevapcici — 
(Abg. Franke: Nun sprich mal Deutsch!) 
eine bekömmliche Mischung ist. Ich habe Angst, das wird ein 
Programmsalat, den wir nicht verdauen können, und den 
werden wir uns sehr genau angucken müssen: Was wird da 
eventuell unter der Decke gespielt, und was ist davon 
praktisch überhaupt machbar? Und ich bin ganz zufrieden, daß 
wir darüber noch eine besondere Vorlage bekommen. Der 
Kollege Ehrke hat das bereits angesprochen: Konjunkturpoli 
tische Maßnahmen — und zu denen sind ja die Regierungen 
nach dem Gesetz über Stabilität und Wachstum verpflichtet — 
(Abg. Ehrke: So ist es! — 
Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 
kann man nur temporär begrenzt ansetzen. Wir müssen an 
dem Normalhaushalt, der uns heute vorliegt, bei der mittel 
fristigen Finanzplanung festhalten. Wirtschaftlichkeit und 
Sparsamkeit müssen weiter das Gebot der Stunde sein, auch 
beim Null-Stellenplan — dazu will ich nachher noch etwas 
sagen. Aber bei den zusätzlichen Maßnahmen muß sicherge 
stellt sein, daß man die auch mal zurückfahren kann — sonst 
sind ja die Konjunkturpolitiker arbeitslos. Bei einer Stagnation 
oder bei einer Rezession immer nur „volle Pulle" rein und 
Konjunkturspritzen verabreichen, aber dann bei Überhitzung 
die unangenehme Seite der Medaille, nämlich das Zurück 
fahren, einfach vergessen, das wäre keine Konjunkturpolitik, 
jedenfalls keine antizyklische Politik, wie sie der Bundes 
gesetzgeber von uns fordert. Ich glaube deshalb, wir sollten 
darauf sehen, daß die zeitlich begrenzten Maßnahmen, um die 
es dabei geht, nicht nur im investiven Bereich, sondern auch 
im personellen Bereich deutlich als ein Sondertatbestand 
ausgewiesen werden. 
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf das 
eingehen, was der Kollege Diepgen hier zur Stellenplanpolitik 
gesagt hat. Für den Normalhaushalt muß gelten, daß wir den 
Stellenplan dort, wo Streichungen möglich sind, auch zurück 
nehmen. Wir haben darüber oft genug gesprochen. Und wenn 
mich etwas an der Vorlage stört, Herr Senator, dann ist es 
dieser Satz zur Stabilisierung der Beschäftigungslage: 
In diesem Zusammenhang muß auch der Verzicht auf den 
größten Teil der seit 1976 durchgeführten personalwirtschaft 
lichen Maßnahmen im öffentlichen Dienst gesehen werden. 
Nein, so ist das nicht, daß wir wegen der absinkenden 
Konjunktur jetzt mit öffentlichen Mitteln Highlife machen. Auf 
diese Maßnahmen muß verzichtet werden, weil sie nicht mehr 
greifen und sich abgenutzt haben, und weil andere aktuelle 
Maßnahmen eher Abhilfe versprechen. Die antizyklische Kon 
junkturpolitik darf nicht dazu herhalten, daß sich das schlechte 
Beispiel vom Heizer auf der Elektrolok im öffentlichen Dienst 
wiederholt. Und deshalb lassen Sie mich heute zum normalen 
Haushalt sagen — gerade der Herr Regierende Bürgermeister 
würde sich einen Gefallen tun und als Wirtschafter für die 
Senatskanzlei gut beraten sein, wenn er den übrigen Verwal 
tungen mit einer sparsamen Personalwirtschaft ein Beispiel 
geben würde. 
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 
Dann möchte ich im Zusammenhang mit Ihrem Hinweis auf 
die Beschäftigungspolitik eines noch einmal ganz deutlich 
sagen: Man kann nicht die Zahl der in der Industrie Beschäftig 
ten schematisch der Zahl der Beschäftigten im öffentlichen 
Dienst gegenüberstellen. 
(Abg. Ehrke: So ist es!) 
Wir sind überall auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft 
und zu schrumpfenden Beschäftigtenzahlen in der gewerb 
lichen Wirtschaft, auch dort, wo sie floriert. Wir müssen auch, 
wenn wir „Staat" sagen, daran denken, daß wir Dienstleistun 
gen erbringen, die gar nicht spezifisch hoheitlich sind und auch 
nicht überall vom öffentlichen Dienst erbracht werden müssen. 
So kann man zum Beispiel Kindertagesstätten und Kranken 
häuser nach dem Subsidiaritätsprinzip auch privat führen. Das 
alles einfach aufzurechnen, ist unfair. Sie können nur Protest 
schreien — wenn der Stellenplan für den Verwaltungsdienst 
erweitert wird —, und dann schreien wir mit. 
Stellv. Präsident Baetge: Erlauben Sie eine Zwischenfrage 
des Abgeordneten Wronski? 
Hucklenbroich (F.D.P.): Aber gern! 
Stellv. Präsident Baetge: Bitte sehr, Herr Wronski! 
Wronski (CDU): Können Sie sich vorstellen, daß Dienst 
leistungen auch nichtstaatlich organisiert werden können? 
Hucklenbroich (F.D.P.): Genau dies sagte ich eben. Und, 
Herr Kollege Wronski, wenn wir in der Lage sind, die private 
Initiative, die Hinwendung an den anderen und zum sozialen 
Engagement wieder stärker zu fördern, gerade, nachdem die 
Familie versagt hat, dann bin ich voll dabei. 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Ich finde das gar nicht gut, daß wir alles in öffentlicher Regie 
machen. Wir werden uns auch kritisch ansehen müssen — dann 
allerdings mit kritischem Blick auf die Gesamtbevölkerungs- 
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