Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
61. Sitzung vom 9. Juni 1977
Es ist natürlich das gute Hecht der Opposition, da zu
kritisieren, wo Kritik angebracht ist.
(Abg. Wronski: Das ist sogar ihre Pflicht!)
Und es hat — ich will das für meine Person ganz deutlich
betonen — Anlaß zu Kritik gegeben, ganz sicher. Wir
wissen zum Beispiel, daß Anhaltspunkte dafür vorliegen,
daß eine Einzelfallentscheidung nicht korrekt getroffen
worden ist. Und wir haben vom Senat eine Stellungnahme
dazu gehört. Wir wissen, daß diesem Einzelfall nachgegan
gen wird und daß auch Konsequenzen daraus gezogen wer
den, daß nämlich die Zulassung zum Freigang im therapeu
tischen Vollzug jetzt in Zukunft abhängig sein wird von
der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Dieses ist doch eine
Aussage, und dieses ist doch eine Konsequenz. Warum
gehen Sie darauf nicht ein? Aber für Sie reicht das eben
nicht, das gibt eben für eine Öffentlichkeitskampagne nicht
genügend her, und da müssen Sie eben maßlos überziehen,
so wie schon im Vorfeld der heutigen Diskussion mit Ihrer
— ich möchte beinahe sagen — unsinnigen Rücktritts
forderung und wieder mit Ihrer heutigen Polemik.
Meine Damen und Herren! Da sagt der Kollege Rösler —
und darauf möchte ich eingehen —: Wer im Urlaub eine
Straftat begeht
Stellv. Präsident Baetge: Entschuldigen Sie, Herr Ab
geordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage ?
Dr. Gerl (SPD): Ja!
Stellv. Präsident Baetge: Bitte schön, Herr Rzepka!
Rzepka (CDU): Herr Kollege Dr. Gerl, warum ver
schweigen Sie hier, daß von vier Fällen, die wir im Aus
schuß aufgegriffen haben, bei zwei Fällen Fehlverhalten
der Zuständigen festgestellt worden ist? Denn auch die
Ausführung eines Mörders, der seinem bewachenden
Beamten entkommen Ist, ist ja nach Aussagen der Justiz
verwaltung offensichtlich auf ein Fehlverhalten zurück
zuführen, und die anderen beiden Fälle sind noch zu
prüfen.
Stimmen Sie mit mir darin überein, daß auch in diesen
beiden Fällen bisher noch nicht ausgeschlossen werden
kann, daß ein Fehlverhalten vorliegt, so daß Ihre Bewer
tung hier nicht zutreffend ist ?
Dr. Gerl (SPD): Herr Kollege Rzepka, ich sage Ihnen:
Es gibt Anhaltspunkte für Fehlverhalten in Einzelfällen.
Aber was Sie machen, ist eine Generalisierung. Sie ver
suchen nämlich, die ganze Urlaubspraxis in Verruf zu brin
gen. Und dagegen muß man sich deutlich zur Wehr setzen.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P. —
Abg. Rzepka; Die sind doch die Spitze des Eisbergs!)
Meine Damen und Herren, der Kollege Rösler hat hier
gesagt — ich habe mir das notiert —: Wer im Urlaub eine
Straftat begeht, der hätte nicht in Urlaub geschickt werden
dürfen. — So einfach ist das! Und der Kollege Honig nennt
dies gestern im Ausschuß für Justiz eine Vielzahl von
Gesetzesverletzungen! Das ist doch geradezu absurd; denn
das setzt doch voraus, daß es möglich sei, eine solche
Prognose mit absoluter Sicherheit richtig im voraus zu
treffen. Die Erfahrung, die man nachträglich macht, die hat
man eben nicht vorher. Eine Prognose mit absoluter Sicher
heit richtig im voraus zu treffen, dies ist niemandem mög
lich. Nun haben wir inzwischen auch die Zahlen vorzuliegen,
Die Öffentlichkeit nimmt sie hoffentlich zur Kenntnis, auch
die Relationen zu anderen Bundesländern. Und da wissen
wir ja — Herr Kollege Rzepka. Sie haben darauf hinge
wiesen —, da wird nicht im gleichen Umfang von der Mög
lichkeit der Urlaubsgewährung Gebrauch gemacht wie hier.
Aber wir wissen, daß es selbst bei dieser beschränkten
Möglichkeit auch Mißerfolge gibt. Nun möchte ich Sie
fragen: Nennen Sie das auch Gesetzesverletzungen?
(Abg. Rzepka: Aber nicht so hohe Quoten!)
— Doch, prozentual sogar höhere Quoten. — Nennen Sie
das auch Gesetzesverletzungen, wenn dort in Einzelfällen
Mißerfolge zu verzeichnen sind ?
Stellv. Präsident Baetge: Erlauben Sie eine Zwischen
frage der Frau Abgeordneten Greift ?
Dr. Gerl (SPD): Ja!
Stellv. Präsident Baetge: Bitte, Frau Abgeordnete Greift,
Sie haben das Wort.
Frau Greift (CDU): Herr Kollege Dr. Gerl, Sie sagen,
eine eindeutige Prognose ist nicht abzugeben. Ist Ihnen
bekannt, ob der Herr Senator für Justiz die Witwe des
Polizisten aufgesucht und ihr erklärt hat, wie sich das mit
dem Strafvollzug verhält und daß Prognosen nicht abge
geben werden können ?
Dr. Gerl (SPD): Frau Kollegin Greift, ich komme auf
den Punkt. Ich verstehe natürlich, daß Sie dies besonders
herausstellen wollen, weil es ja auch öffentlichkeitswirksam
ist, daß man auch an die Opfer denken muß.
(Frau Abg. Greift: Ach, ist das liebenswürdig!)
Das finde ich richtig, das finde ich vollkommen richtig.
Lassen Sie mich dazu Stellung nehmen. Ich finde es voll
kommen richtig — das sage ich mit vollem Ernst —, daß
man an die Opfer denken muß. Aber lassen Sie sich auch
etwas anderes sagen: Man muß auch an die potentiellen
Opfer denken; man muß nämlich auch an diejenigen den
ken, die dann zu Opfern werden können, wenn nicht reso
zialisierte Strafentlassene zu Rückfalltätern werden. Daran
müssen Sie denken, daß nämlich ohne Resozialisierungs
vollzug andere gefährdet werden durch Strafentlassene, die
dann eine höhere Rückfallgefährlichkeit aufweisen.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Stellv. Präsident Baetge: Erlauben Sie noch eine Zwi
schenfrage ?
Dr. Gerl (SPD): Nein, jetzt möchte ich zum Abschluß
kommen. — Nach den Erkenntnissen aller Fachleute und
aller politischen Kräfte im Bund, die dieses Strafvollrugs-
gesetz beschlossen haben, sogar mit Ihrer Unterstützung,
sind Urlaub und Freigang notwendige Instrumente eines
Resozialisierungsvollzugs. Wenn alle Fachleute auf diese
Notwendigkeit hinweisen, dann ist es einfach nicht zu ver
stehen, daß Sie heute hier diese Pauschalisierung an den
Tag legen und damit im Grunde wieder zurückwollen hinter
das Gesetz, das Sie einmal mit beschlossen haben. Dies ist
heute jedenfalls deutlich geworden. Sie' wirken mit Ihrer
heutigen Polemik einer Einsicht und Zielsetzung entgegen,
die Sie zu besitzen vorgeben. Wir halten dies dann nicht
mehr für glaubwürdig.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Stellv. Präsident Baetge: Meine Damen und Herren, das
Wort hat der Abgeordnete Krüger.
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