Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
60. Sitzung vom 2. Juni 1977
Und dieses scheint mir bezeichnend zu sein für einen Hauch
von Resignation im berlinpolitischen Teil, den wir be
dauern, der einen Bruch darstellt zum vorherigen Bürger
meister Schütz, in der letzten Zeit jedenfalls, und den
möchten wir in der Praxis korrigieren.
(Beifall bei der CDU)
Stellv. Präsident Baetge: Meine Damen und Herren! Herr
Lummer hat die Redezeit um 2% Minuten überzogen. Den
anderen Rednern steht selbstverständlich diese Überziehung
von 2V 2 Minuten auch zu.
(Beifall bei der SPD)
Herr Abgeordneter Lummer! Sie haben während Ihrer
Ausführungen geäußert — ich zitiere —;
Reden Sie nicht so dusselig dazwischen.
Dieses möchte ich ausdrücklich rügen, Das ist unparla
mentarisch.
(Beifall bei der SPD)
Das Wort hat nun der Regierende Bürgermeister.
Stobbe, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden es
mir abnehmen, daß ich sehr gespannt auf diese Debatte
war und daß ich mich gefreut habe über die Unterstützung
von seiten der Koalitionsfraktionen und daß ich auch mit
besonderer Erwartung zugehört habe, was die beiden Füh
rer der Opposition der Berliner CDU zur Regierungserklä
rung und zur Senatsneubildung zu sagen hatten. Und ich
will das hier in Erinnerung rufen mit vollem Bewußtsein
— ich habe das, was ich in der Regierungserklärung ge
sagt habe, ernst gemeint, das Wort von der fairen Zusam
menarbeit in diesem Haus, und ich will jetzt nach diesen
beiden Diskussionsbeiträgen prüfen, wie denn das zu be
werten ist, was gesagt worden ist, und ich komme, obwohl
ich Zwischentöne nicht überhört habe, alles in allem zu
folgendem Ergebnis: Wir haben einen neuen Senat ge
macht, Sie haben die alten Reden gehalten.
(Beifall bei der SPD und der P.D.P.)
Nehmen wir mal das Thema „Berlin und Berlinpolitik“.
Ich fand zunächst mal sehr bemerkenswert, wie unter
schiedlich die Diktion von Herrn Lorenz und von Herrn
Lummer in dieser Frage war. Bei Herrn Lorenz habe ich
mindestens den Versuch der Anerkennung gespürt, daß in
der Regierungserklärung die drei wichtigen Eckdaten unse
rer Politik, nämlich Selbstbehauptungswille der Berliner,
Bindungen zum Bund und Anwesenheit der Alliierten, so
drinstehen, unverrückbar wie seit eh und je, daß im Grunde
genommen an der Stelle, wenn dieses Haus Gemeinsamkeit
wünscht, Gemeinsamkeit sein könnte.
(Zustimmung des Abg. Peter Lorenz)
Unterschiedliche Positionen haben wir und werden wir
behalten in dem, was mobil und machbar ist in der vor uns
liegenden Zeit. Und auch da habe ich bei dem Redner der
CDU, Herrn Lorenz, gespürt, daß er die sehr nüchterne
Sprache der Regierungserklärung zu diesem Punkt, insbe
sondere auch was die Rolle Berlins im Gefüge von Ost und
West angeht, eher verstanden hat als beispielsweise Herr
Kollege Lummer. Ich sage das nicht, um billig zu dividie
ren. Ich habe das so empfunden, und das Hohe Haus möge
mir das so abnehmen.
Wo liegen die Streitpunkte? — Wenn ich in der Regie
rungserklärung formuliere, mit einer nüchternen Beschrei
bung der Lage allein ist nicht alles gesagt, was uns be
wegt, wird darin deutlich, daß Berlin mehr ist, mehr Auf
gabe ist als so eine applanierte Beschreibung, dann sollte
das von der CDU gesehen werden;
(Zustimmung des Abg. Peter Lorenz)
denn darin steckt auch, Herr Kollege Lummer, daß das,
was Sie kritisiert haben, mit dem Prinzip Hoffnung, daß
dies eben der Platz ist und bleiben wird, so wie die Lage
ist, von dem aus im Grunde genommen die deutsche Frage
offengehalten wird und der alle, die mit Deutschland etwas
zu tun haben, zur ständigen Auseinandersetzung mit
Deutschland zwingt, was ohne das freie Berlin möglicher
weise nicht der Fall gewesen wäre.
(Beifall bei der SPD)
Auf diesem Hintergrund müßte es doch eigentlich möglich
sein, den Streit über die realen Möglichkeiten, die bei der
jetzigen Lage drin sind, nicht so sehr zu belasten mit dem,
was zum Beispiel Herr Kollege Lummer als der zweite
Führer der Opposition hier gesagt hat: Sie sagen heute,
Sie hätten sich immer eingesetzt für bessere Verträge. Das
war’s doch nicht. Sie wollten gar keine Verträge! Dm war
die Lage!
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Sie haben diese Politik frontal bekämpft, mit einer Emo
tionalisierung frontal bekämpft, von Beginn der Ostpolitik
an. Und die Änderung der Lage ist eingetreten seit die Ver
träge da sind und seit Sie Realismus genug beweisen, um
zu sagen, wir müssen uns auf diese Plattform stellen, und
schon wird die Kritik anders, und man sagt, ja, wir wollen
die Verträge, bloß anders.
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürgermei
ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage ?
Stobbe, Regierender Bürgermeister; Nein, bitte nicht.
(Zurufe von der CDU)
— Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lummer hatte
eben während seiner Rede auch eine Zwischenfrage abge
lehnt. Nun seien Sie doch mal ruhig und hören Sie doch
mal zu, meine Damen und Herren von der Opposition. —
Wenn das so ist, dann lassen Sie uns in diesem Punkt, in
dem wir ganz offensichtlich zwischen Freien Demokraten
und Sozialdemokraten auf der einen Seite und Christlichen
Demokraten auf der anderen Seite unterschiedlicher Auf
fassung sind, bitte mit eben jener Nüchternheit reden im
Interesse unserer Stadt, die die Regierungserklärung an
dieser Stelle auszeichnet. Das wäre angemessen für einen
vernünftigen StU in diesem Hause.
Ich muß eine Frage an Sie richten. In der Regierungs
erklärung befindet sich eine klare Begrüßung der Erklä
rung von London, die die Drei Mächte gemacht haben, zu
sammen mit der Bundesregierung. Wenn der Regierende
Bürgermeister vor dem Abgeordnetenhaus eine solche Er
klärung begrüßt, deren Inhalt wir alle kennen, warum kann
die Opposition
(Abg. Lummer: Das hat das ganze Haus
doch in der letzten Sitzung getan!)
an einer solchen
(Abg. Lummer; Am Schluß der letzten Sitzung!)
— warum kann an einer solchen Stelle die Opposition nicht
wenigstens erkenntlich machen, daß sie an dieser Stelle in
deutlicher Übereinstimmung mit dem Regierenden Bürger
meister ist ?
(Weiterer Zuruf des Abg. Lummer)
Haben Sie getan, das war nach der Regierungserklärung.
Ja, die Abstimmung war nach der Regierungserklärung.
Als ich das hier gesagt habe, haben Sie geschwiegen. Und
das heißt, daß Sie vielleicht doch nicht — auch an den
Eckdaten nicht — mitgehen wollen.
(Abg. Wronskl: Das ist ja tiefenpsychologisch!)
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