Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
68. Sitzung vom 13. Mai 1977
haben, und denen mitunter selbst jeglicher Bezug zum
Fach Sport fehlt. Insoweit ist dieser Umstand, auch im
Hinblick auf die Unfallgefahr während des Sportunter
richts und die Gefahr möglicher gesundheitlicher Schädi
gungen für die Kinder durch unsachgemäße Anleitung und
Hilfestellung, ein emstzunehmender Faktor.
Genaue Zahlen zu diesem Problemkreis, die eine Situa
tionsanalyse ermöglichen, konnte der Senat bisher leider
nicht auf den Tisch legen. Durch den Einsatz der Sport
lehrer aus den unterschiedlichsten Ausbildungsgängen, ist
zudem das Unterrichtsbild, sind Qualität, Niveau, didak
tisch-methodische Auffassung, Zielsetzung und Unter
richtsintensität so heterogen, wie die Herkunftsinstitution
der Lehrkräfte selbst. Da wir zur Zeit außerdem kein
obligatorisches Weiterbildungssystem haben, durch das die
Lehrkräfte unterschiedlicher Ausbildung einheitlich auf den
Schulsportbedarf fortgebildet werden könnten, bleibt dieser
Zustand auch weiterhin erhalten.
Darüber hinaus fehlt es an praktikablen Unterrichts
hilfen, denn die vorliegenden Rahmenrichtlinien und Stoff
pläne können dieser Forderung nach Praxisbezogenheit
nicht standhalten. Die Lehrer stehen damit — von den
Verantwortlichen alleingelassen — vor der beinahe un
überwindbaren Situation, in zu wenigen Sportstunden mit
Klassenverbänden, die als Übungseinheiten zu groß sind
und in denen vom Bewegungsgehemmten bis zum Bewe
gungsbegabten alles vertreten ist, in teilweise zu kleinen
oder mehrfach belegten Hallen, der Wichtigkeit für Spiel
und Bewegung für die Gesamtentwicklung des Kindes in
angemessenem Umfange Rechnung zu tragen. Unter dieser
Voraussetzung ist verständlich, wie wenig der Schulsport
seine vorrangige Aufgabe, nämlich Sport unter dem Ge
sundheitsaspekt zur Lebensgewohnheit zu entwickeln, er
füllen kann.
Ich verhehle daher nicht, daß wir der Beantwortung der
gestellten Fragen mit gewisser Spannung entgegensehen,
denn die bildungspolitischen Vorgaben zum Schulsport sind
mehr als dürftig. So sucht man sie zum Beispiel vergebens
in den Materialien zur Regierungserklärung. Auch die
Schulentwicklungspläne I und H helfen hier nicht weiter.
Sie enthalten in Sachen Schulsport nur wenige dürre
Zeilen, die sich in technischen Beschreibungen von Einzel
maßnahmen ergehen. Zwar wird man unter anderem mit
der Tatsache vertraut gemacht, daß noch 12 Grundschulen
ohne Turnhallen sind und 29 andere Schulen eine Halle mit
einer im gleichen Gebäudetrakt untergebrachten anderen
Schule teilen müssen. Aber in der Frage der konkreten
Behebung dieses Mangels ist eine weitere Fehlanzeige zu
konstatieren. Der Senat bleibt darüber hinaus die Antwort
schuldig, welchen Orientierungsmaßnahmen er bisher für
einen erfolgreichen Schulsport in Berlin setzt und wie er
aufgrund seiner aufgestellten Kriterien die Schulsport
situation in Berlin beurteilt. Denn entspricht zum Beispiel
gerade der Sportunterricht in der Elementarerziehung dem
natürlichen Bewegungsdrang der Kinder, ihrer kindlichen
Spontaneität, und sind vor allem die dort unterrichtenden
Lehrer und Vorklassenleiter während ihrer Ausbildung,
gerade auch in der Bewegungserziehung, entsprechend
ausgebildet worden? Wird sinnvollerweise der Sportunter
richt an Sonderschulen ausschließlich von Lehrern erteilt,
die auch therapeutische und heilpädagogische Grundkennt
nisse erworben haben? Dies alles sind inhaltliche Fragen,
auf die wir uns eine Antwort erhoffen.
Wie will der Senat, der stets und zu jeder Gelegenheit
die Chancengleichheit proklamiert, die eklatanten Ausfall-
und Mangelerscheinungen gerade in den berufsbildenden
Schulen entschuldigen? Weiterhin folgt daraus die Frage:
In welcher Form der Senat in dieser Legislaturperiode
überhaupt tätig geworden ist, um darauf hinzuwirken, daß
die schon seit Jahren andauernden Mißstände im Schul
sport nicht weiterhin auf dem Rücken der Lehrer und
Schüler ausgetragen werden? Wir weisen bereits jetzt
vorsorglich darauf hin, daß hierzu mögliche Hinweise auf
die angespannte Finanzlage Berlins nicht für die Beant
wortung ausreichen können. Ein solches „Sich-aus-der-
Affäre-Ziehen“ würde den Vorwurf der Ideen- und Kon-
zeptionslosigkeit des Senats bestätigen, denn
(Beifall bei der CDU)
es dürfte eine ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten
geben, die nicht in erster Linie Geld, sondern ernsthaftes
Bemühen und sachliches Engagement der politisch Ver
antwortlichen erfordern.
Aus alledem wird für meine Fraktion deutlich, daß der
Schulsport in Berlin — jenseits von Bildungseuphorie und
Reformeifer — auf dem büdungspolitischen Abstellgleis
gelandet ist, denn es fehlt bisher an überzeugenden Pro
grammen und Alternativen und es mangelt letztlich an
einer geschlossenen, langfristigen Konzeption des Senats,
die die derzeit vorhandene Stückwerksituation endlich
ablöst.
(Beifall bei der CDU)
Dieser Eindruck kann auch nicht durch die sportlichen
Aktivitäten des Schulsenators beim Schwimmen um Schar
fenberg verwischt werden.
(Heiterkeit bei der CDU)
— Es ist mir klar, daß die Vertreter der F.D.P.-Fraktion
sowieso im Schwimmen sehr kundig sind, das müssen sie
ja bei der politischen Lage! —
(Beifall bei der CDU — Abg. Schwarz:
Das soll der Lummer mal nachmachen!)
Insofern hofft die CDU-Fraktion, daß diese parlamenta
rische Initiative ein Signal setzt für eine neue Entwick
lung im Schulsport, die, so hoffen wir, seiner gesellschafts
politischen Bedeutung in Zukunft gerecht wird. — Ich
danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU —
Zuruf von der SPD: Gut gelesen!)
Präsident Lorenz: Das Wort zur Beantwortung hat Herr
Senator Rasch!
Rasch, Senator für Schulwesen: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich höre schon regelrecht auf mun
ternde Zurufe aus dem Plenum. Die sechs Stunden haben
sich also schon ausgewirkt, nach dem Motto: Rasch vor —
noch ein Tor! — Selbstverständlich, wir schießen nur Tore
ins Schwarze!
(Zurufe von der CDU:
Eigentore! — Tore von Toren!)
Meine Damen und Herren, Sie sprachen von Toren und
nicht von Eigentoren! — Ich finde es sehr interessant, daß
Sie in ganz bestimmten Problembereichen — was sonst
nicht der Fall ist — dem Bundeskanzler Schmidt eine
enorme Glaubwürdigkeit unterstellen.
(Abg. Landowsky: So fair sind wir!)
Sie sollten das öfter tun, sonst werden Sie unglaubwürdig.
(Beifall bei der P.D.P. und der SPD)
Ich finde es gut, daß seit den Olympischen Spielen von
Mexiko die Diskussion um den Schulsport nicht zur Ruhe
gekommen ist. Hier ist auch das Schlagwort von der
Schulsportmisere aufgegriffen worden, das in aller Öffent
lichkeit seine Runde gemacht hat. Das ist kein Berliner
Schlagwort, dies ist ein Schlagwort, das allgemein geprägt
worden ist und mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt.
Ich begrüße es deshalb, daß wir heute, trotz unserer
langen Vorrunde heute morgen, die Gelegenheit haben, die
Situation des Schulsports zu diskutieren und hoffe, daß wir
damit eine der Sache dienende Diskussion einleiten können,
die letztendlich eine Verbesserung in diesem so wichtigen
Bildungsbereich zur Folge hat.
Bei der Diskussion in der Öffentlichkeit treten völlig
unterschiedliche Ansätze zutage. Dem einen ist der Schul
sport zu wenig leistungsorientiert, die anderen möchten
auf jede Leistungsforderung verzichten. Hochleistungs
orientierte Sportverbände sehen die Aufgabe der Schule
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