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Volume Nr. 58, 12. Mai 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
68. Sitzung vom 13. Mai 1977 
haben, und denen mitunter selbst jeglicher Bezug zum 
Fach Sport fehlt. Insoweit ist dieser Umstand, auch im 
Hinblick auf die Unfallgefahr während des Sportunter 
richts und die Gefahr möglicher gesundheitlicher Schädi 
gungen für die Kinder durch unsachgemäße Anleitung und 
Hilfestellung, ein emstzunehmender Faktor. 
Genaue Zahlen zu diesem Problemkreis, die eine Situa 
tionsanalyse ermöglichen, konnte der Senat bisher leider 
nicht auf den Tisch legen. Durch den Einsatz der Sport 
lehrer aus den unterschiedlichsten Ausbildungsgängen, ist 
zudem das Unterrichtsbild, sind Qualität, Niveau, didak 
tisch-methodische Auffassung, Zielsetzung und Unter 
richtsintensität so heterogen, wie die Herkunftsinstitution 
der Lehrkräfte selbst. Da wir zur Zeit außerdem kein 
obligatorisches Weiterbildungssystem haben, durch das die 
Lehrkräfte unterschiedlicher Ausbildung einheitlich auf den 
Schulsportbedarf fortgebildet werden könnten, bleibt dieser 
Zustand auch weiterhin erhalten. 
Darüber hinaus fehlt es an praktikablen Unterrichts 
hilfen, denn die vorliegenden Rahmenrichtlinien und Stoff 
pläne können dieser Forderung nach Praxisbezogenheit 
nicht standhalten. Die Lehrer stehen damit — von den 
Verantwortlichen alleingelassen — vor der beinahe un 
überwindbaren Situation, in zu wenigen Sportstunden mit 
Klassenverbänden, die als Übungseinheiten zu groß sind 
und in denen vom Bewegungsgehemmten bis zum Bewe 
gungsbegabten alles vertreten ist, in teilweise zu kleinen 
oder mehrfach belegten Hallen, der Wichtigkeit für Spiel 
und Bewegung für die Gesamtentwicklung des Kindes in 
angemessenem Umfange Rechnung zu tragen. Unter dieser 
Voraussetzung ist verständlich, wie wenig der Schulsport 
seine vorrangige Aufgabe, nämlich Sport unter dem Ge 
sundheitsaspekt zur Lebensgewohnheit zu entwickeln, er 
füllen kann. 
Ich verhehle daher nicht, daß wir der Beantwortung der 
gestellten Fragen mit gewisser Spannung entgegensehen, 
denn die bildungspolitischen Vorgaben zum Schulsport sind 
mehr als dürftig. So sucht man sie zum Beispiel vergebens 
in den Materialien zur Regierungserklärung. Auch die 
Schulentwicklungspläne I und H helfen hier nicht weiter. 
Sie enthalten in Sachen Schulsport nur wenige dürre 
Zeilen, die sich in technischen Beschreibungen von Einzel 
maßnahmen ergehen. Zwar wird man unter anderem mit 
der Tatsache vertraut gemacht, daß noch 12 Grundschulen 
ohne Turnhallen sind und 29 andere Schulen eine Halle mit 
einer im gleichen Gebäudetrakt untergebrachten anderen 
Schule teilen müssen. Aber in der Frage der konkreten 
Behebung dieses Mangels ist eine weitere Fehlanzeige zu 
konstatieren. Der Senat bleibt darüber hinaus die Antwort 
schuldig, welchen Orientierungsmaßnahmen er bisher für 
einen erfolgreichen Schulsport in Berlin setzt und wie er 
aufgrund seiner aufgestellten Kriterien die Schulsport 
situation in Berlin beurteilt. Denn entspricht zum Beispiel 
gerade der Sportunterricht in der Elementarerziehung dem 
natürlichen Bewegungsdrang der Kinder, ihrer kindlichen 
Spontaneität, und sind vor allem die dort unterrichtenden 
Lehrer und Vorklassenleiter während ihrer Ausbildung, 
gerade auch in der Bewegungserziehung, entsprechend 
ausgebildet worden? Wird sinnvollerweise der Sportunter 
richt an Sonderschulen ausschließlich von Lehrern erteilt, 
die auch therapeutische und heilpädagogische Grundkennt 
nisse erworben haben? Dies alles sind inhaltliche Fragen, 
auf die wir uns eine Antwort erhoffen. 
Wie will der Senat, der stets und zu jeder Gelegenheit 
die Chancengleichheit proklamiert, die eklatanten Ausfall- 
und Mangelerscheinungen gerade in den berufsbildenden 
Schulen entschuldigen? Weiterhin folgt daraus die Frage: 
In welcher Form der Senat in dieser Legislaturperiode 
überhaupt tätig geworden ist, um darauf hinzuwirken, daß 
die schon seit Jahren andauernden Mißstände im Schul 
sport nicht weiterhin auf dem Rücken der Lehrer und 
Schüler ausgetragen werden? Wir weisen bereits jetzt 
vorsorglich darauf hin, daß hierzu mögliche Hinweise auf 
die angespannte Finanzlage Berlins nicht für die Beant 
wortung ausreichen können. Ein solches „Sich-aus-der- 
Affäre-Ziehen“ würde den Vorwurf der Ideen- und Kon- 
zeptionslosigkeit des Senats bestätigen, denn 
(Beifall bei der CDU) 
es dürfte eine ganze Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten 
geben, die nicht in erster Linie Geld, sondern ernsthaftes 
Bemühen und sachliches Engagement der politisch Ver 
antwortlichen erfordern. 
Aus alledem wird für meine Fraktion deutlich, daß der 
Schulsport in Berlin — jenseits von Bildungseuphorie und 
Reformeifer — auf dem büdungspolitischen Abstellgleis 
gelandet ist, denn es fehlt bisher an überzeugenden Pro 
grammen und Alternativen und es mangelt letztlich an 
einer geschlossenen, langfristigen Konzeption des Senats, 
die die derzeit vorhandene Stückwerksituation endlich 
ablöst. 
(Beifall bei der CDU) 
Dieser Eindruck kann auch nicht durch die sportlichen 
Aktivitäten des Schulsenators beim Schwimmen um Schar 
fenberg verwischt werden. 
(Heiterkeit bei der CDU) 
— Es ist mir klar, daß die Vertreter der F.D.P.-Fraktion 
sowieso im Schwimmen sehr kundig sind, das müssen sie 
ja bei der politischen Lage! — 
(Beifall bei der CDU — Abg. Schwarz: 
Das soll der Lummer mal nachmachen!) 
Insofern hofft die CDU-Fraktion, daß diese parlamenta 
rische Initiative ein Signal setzt für eine neue Entwick 
lung im Schulsport, die, so hoffen wir, seiner gesellschafts 
politischen Bedeutung in Zukunft gerecht wird. — Ich 
danke Ihnen. 
(Beifall bei der CDU — 
Zuruf von der SPD: Gut gelesen!) 
Präsident Lorenz: Das Wort zur Beantwortung hat Herr 
Senator Rasch! 
Rasch, Senator für Schulwesen: Herr Präsident! Meine 
Damen und Herren! Ich höre schon regelrecht auf mun 
ternde Zurufe aus dem Plenum. Die sechs Stunden haben 
sich also schon ausgewirkt, nach dem Motto: Rasch vor — 
noch ein Tor! — Selbstverständlich, wir schießen nur Tore 
ins Schwarze! 
(Zurufe von der CDU: 
Eigentore! — Tore von Toren!) 
Meine Damen und Herren, Sie sprachen von Toren und 
nicht von Eigentoren! — Ich finde es sehr interessant, daß 
Sie in ganz bestimmten Problembereichen — was sonst 
nicht der Fall ist — dem Bundeskanzler Schmidt eine 
enorme Glaubwürdigkeit unterstellen. 
(Abg. Landowsky: So fair sind wir!) 
Sie sollten das öfter tun, sonst werden Sie unglaubwürdig. 
(Beifall bei der P.D.P. und der SPD) 
Ich finde es gut, daß seit den Olympischen Spielen von 
Mexiko die Diskussion um den Schulsport nicht zur Ruhe 
gekommen ist. Hier ist auch das Schlagwort von der 
Schulsportmisere aufgegriffen worden, das in aller Öffent 
lichkeit seine Runde gemacht hat. Das ist kein Berliner 
Schlagwort, dies ist ein Schlagwort, das allgemein geprägt 
worden ist und mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. 
Ich begrüße es deshalb, daß wir heute, trotz unserer 
langen Vorrunde heute morgen, die Gelegenheit haben, die 
Situation des Schulsports zu diskutieren und hoffe, daß wir 
damit eine der Sache dienende Diskussion einleiten können, 
die letztendlich eine Verbesserung in diesem so wichtigen 
Bildungsbereich zur Folge hat. 
Bei der Diskussion in der Öffentlichkeit treten völlig 
unterschiedliche Ansätze zutage. Dem einen ist der Schul 
sport zu wenig leistungsorientiert, die anderen möchten 
auf jede Leistungsforderung verzichten. Hochleistungs 
orientierte Sportverbände sehen die Aufgabe der Schule 
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