Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
5S. Sitzung vom 30. April 1977
bereinigen müssen, ehe Sie glaubwürdig vor den Wähler
treten und sagen können. Sie wären die Besseren in diesem
Hause.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeord
neter Diepgen.
Diepgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Bei den ersten Redebeiträgen der Koalitionsfraktio
nen hatte man den Eindruck, daß offensichtlich der Ver
such unternommen wurde, durch das Ausweichen in sehr
gewagte juristische und politologische Argumente die
Angst vor dem Wähler zu kaschieren.
Ich bin dem Herrn Kollegen Hucklenbroich allerdings
sehr dankbar, daß er ein ganz klein wenig diese taktische
Linie hier durchbrochen hat. denn aus seinem Redebeitrag
ist eines deutlich geworden — und das wäre vielleicht
sonst in der Debatte nicht so klargeworden: Es ist nicht
nur der innere Zustand der Sozialdemokratischen Partei,
der das Scheitern dieses Senats und das Scheitern dieser
Senatskoalition bewirkt hat, sondern hier gibt es eine
klare Mitverantwortung der F.D.P. an all dem, was an
Fehlleistungen dieser Senat gebracht hat.
(Beifall bei der CDU)
Es gibt auch eine klare Mitverantwortung der F.D.P.
an den Grundlinien der Politik dieses Senats, die eben nicht
dazu führen, daß Berlin aus all dem herausgeführt wird,
was es an Sumpf, an Skandalen, an Mißwirtschaft und an
Fehlleistungen in der letzten Zeit gegeben hat. Es ist so,
daß sich diese F.D.P. aus Angst vor dem Wähler mögli
cherweise wiederum als Steigbügelhalter bewährt, oder
richtiger — noch ist die Abstimmung über den neuen
Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters
nicht vorbei —, daß diese F.D.P. sich offenbar bewähren
will als Steigbügelhalter für eine im Kern verfehlte
Politik.
(Beifall bei der CDU)
Nun wird hier in dieser Diskussion der Versuch ge
macht, die CDU als eine Partei mit der fehlenden inhalt
lichen Alternative sozusagen abzuqualifizieren. Der CDU
wird der Vorwurf gemacht, sie würde nur miesmachen.
(Abg. Baetge: So ist es!)
Ich muß eine Gegenfrage stellen: Wie sind denn die
Reaktionen der SPD, die Reaktionen der Koalitionsfrak
tionen zu verstehen, das gesamte Personalkarussell, das
sich zur Zeit dreht, wenn nicht auch Sie der Auffassung
gewesen wären, nicht der Auffassung sind, nicht der fe
sten Überzeugung wären, daß all das, was die CDU hier
in diesem Abgeordnetenhaus an Kritik vorgetragen hat,
eben richtig ist.
(Beifall bei der CDU)
Wenn wir schon einmal bei inhaltlichen Fragen sind —
und Peter Lorenz hat hier eine Fülle von Einzelthemen
aufgeworfen: Warum stehen denn einzelne Senatoren
nach wie vor zur Disposition, wenn nicht diese Fraktion
und Ihre Fraktion der Auffassung wäre, daß sie in Ihrer
Politik gescheitert sind? Warum sind Sie denn der Auf
fassung — oder kommt das einfach vom Himmel ohne
jede sachliche Begründung —, daß der Herr Senator für
Wissenschaft und Kunst seinen Hut nehmen soll, wenn
nicht aus der festen Überzeugung, daß dieser Senator die
Universitäten nicht bewegt hat, daß er Freiheit von For
schung und Lehre nicht sichergestellt hat, daß er diese
Stadt, die geistiges und kulturelles Zentrum werden soll,
die nationale Aufgabe aller Deutschen sein soll, nicht vor
wärtsgebracht hat? überhaupt nichts hat er gebracht, und
das ist die Kritik, die die CDU vorgetragen hat. Sie be
stätigen diese Kritik durch Ihre Politik hier selbst, aber
eben nur in Teilbereichen.
(Abg. Momper: Sie haben einen Auflösungsantrag
gestellt, begründen Sie den doch mal!)
Zu dieser Frage, und dies nur an dem Punkt: Was ist
eigentlich wichtig hierbei? Kann es eigentlich eine Neu
besinnung geben? Dann muß ich auch auf das eingehen,
was der Herr Kollege Hucklenbroich gesagt hat zu der
inhaltlichen Frage der Möglichkeiten der Entwicklung der
Stadt selbst — 2 Millionen —; dieses Thema haben Sie in
die Diskussion geworfen.
(Abg. Hucklenbroich:
Nee, Peter Lorenz hat das gesagt!)
Herr Kollege Hucklenbroich, für mich ist das ein ganz
bezeichnendes Beispiel für das Versagen und die fehlende
Kraft der Politik der Senatskoalition, und zwar beider
Fraktionen bzw. sämtlicher Gruppierungen in diesen bei
den Koalitionen. Meine Damen und Herren, hier wird doch
nicht mehr Politik betrieben, hier wird nur Statistik fort
geschrieben, hier gibt es keine Kraft mehr, sondern hier
gibt es nur noch eine Politik, die man kennzeichnen kann
mit den Begriffen der Resignation und der Lethargie.
(Beifall bei der CDU)
Und mit solchen Begriffen, mit einer solchen Politik werden
Sie diese Stadt Berlin nicht voranbringen können.
(Abg. Hucklenbroich:
Mit Gesundbeterei auch nicht!)
— Hier kommt der Zwischenruf „Gesundbeterei“. Wer ist
eigentlich hier In diesem Haus Gesundbeter? Wer ist
eigentlich nach Ihrem Redebeitrag, Herr Kollege Hucklen
broich, derjenige, der den ersten Preis in der Verbreitung
von Illusionen bekommt? Das sind doch mit Sicherheit
Sie! Sie glauben doch; Es ist alles besser. Wir schaffen
das sowieso. Dieser Senat wird jetzt kräftig. — Und wenn
man sich vorher in der SPD-Fraktion gestritten hat, dann
erklärt der Herr Ehrke: Wir sind eine einige Partei, wir
sind kraftvoll, wir haben das alles kraftvoll geschafft.
Seine Begründung: Man hat sich möglicherweise auf den
Kandidaten geeinigt, der die geringsten Widerstände
hervorruft. Aber der hat sich ja nicht ln der Vergangen
heit dadurch gekennzeichnet, daß er kraftvoll geführt hat,
sondern daß er sich nach Möglichkeit rausgehalten hat.
(Beifall bei der CDU)
Das ist das, was hier von dieser Partei immer wieder ge
bracht wird.
Es wird mit Recht darauf hingewiesen, daß die Maß
nahme der Auflösung des Abgeordnetenhauses ein ganz
einschneidender Schritt in einem Parlament ist. Es ist
sicherlich auch eine Maßnahme, die nur letzter Lösungs
versuch sein kann. Hier muß ich mich einmal an die SPD
und auch an denjenigen wenden, der glaubt, die Verant
wortung in der nächsten Zeit übernehmen zu können:
Glauben Sie wirklich, daß Sie Ihrer Partei — aber das
würde mich nicht so unbedingt interessieren —, sondern
daß Sie dieser Stadt Berlin einen Dienst erweisen, wenn
Sie im Grunde nur ein neues Etikett auf die alte Flasche
setzen? Herr Kollege Lummer hat schon dieses Beispiel
benutzt. Die Frage begründet sich schon allein durch das,
was Sie an neuen Personen anbieten wollen, die verhaftet
sind in all dem, was die Sozialdemokratische Partei, was
diese Koalition insgesamt an Schwierigkeiten hat. Glauben
Sie wirklich, daß dies für die Öffentlichkeit, für Berlin, für
den Ruf Berlins der neue Anfang sein kann ? Meine Damen
und Herren, ich sage Ihnen, daß dies kein neuer Anfang
sein kann, weil dies nämlich schon allein von der Glaub
würdigkeit her mit einem solchen Fehlbestand belastet
ist, daß ein Vorwärts im Sinne der Zukunftsmöglichkeiten
und der Chancen, die in dieser Stadt liegen, nicht gege
ben ist.
Nun wird hier immer gesagt, Herr Kollege Hucklen
broich, daß wir keine Alternativen haben; und Sie sagen,
Sie könnten deswegen einem Antrag auf Auflösung des
Parlaments nicht zustimmen, weil wir keine Alternativen
haben.
(Abg. Hucklenbroich; Richtig!)
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